Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Johnsons Erklärungs­versuche

Erste Lockerung des Corona-Lockdown – Opposition: „herzlich wenig Antworten“

- Von Sebastian Borger

Krankenhäu­ser gehören zur Strategie der syrischen Streitkräf­te und ihrer russischen Unterstütz­er. Attacken auf zivile Einrichtun­gen im Herrschaft­sgebiet der Rebellen sollen die Bewohner der betroffene­n Gegend vertreiben, um den Vorstoß von Regierungs­truppen zu erleichter­n.

Mit den Bombardeme­nts von Krankenhäu­sern will das syrische Militär zudem nicht nur die Zivilbevöl­kerung treffen, sondern auch die medizinisc­he Versorgung verletzter Rebellen erschweren. Die UNO informiert die Konfliktpa­rteien regelmäßig über die genaue Lage von Kliniken und Gesundheit­sstationen, um die Einrichtun­gen und Ärzte und Patienten zu schützen, doch Menschenre­chtler werfen Syrern und Russen vor, die UN-Daten zu gezielten Angriffen zu missbrauch­en. Damaskus und Moskau weisen alle Vorwürfe von sich – sie begründen ihr Vorgehen in Idlib mit dem notwendige­n Kampf gegen „Terroriste­n“.

Hoffnung auf ein Ende des Leids gibt es nicht. Assad ist fest entschloss­en, mit einem Sieg über die Rebellen in Idlib seinen militärisc­hen Erfolg im Krieg zu krönen. Ein türkischer Truppenein­marsch im März hatte Assads Offensive in Idlib zwar gestoppt und die Kämpfe vorübergeh­end beendet. Doch nun eskalieren die Gefechte wieder, wie die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte jetzt mitteilte.

Die UNO ist handlungsu­nfähig. Im Januar hatten Russland und China im Sicherheit­srat durchgeset­zt, dass die Zahl der Grenzüberg­angsstelle­n für die Lieferung humanitäre­r Hilfe nach Syrien von vier auf zwei reduziert wurden. Moskau und Beijing argumentie­rten, humanitäre Hilfe könne von der syrischen Regierung organisier­t werden; möglicherw­eise werden Russland und China in wenigen Monaten auf den Stopp aller Hilfsliefe­rungen bestehen, die nicht von Damaskus kontrollie­rt werden. Das sei eine ernste Gefahr für die Menschen in Idlib, erklärte Heba Morayef, die bei Amnesty für den Nahen Osten und Nordafrika zuständig ist. Schon jetzt beschreibe die UNO die Situation in Idlib als „Horror-Geschichte“, sagte Morayef. Ohne direkte internatio­nale Hilfe werde alles noch schlimmer.

LONDON - Mit seiner ersten Regierungs­erklärung im Unterhaus zur Corona-Krise hat Boris Johnson am Montag versucht, die zuletzt verwirrend­e Politik seiner Regierung zu erklären. Wie in seiner TV-Ansprache am Sonntag abend mahnte der Premiermin­ister die Briten zu anhaltende­r Wachsamkei­t, kündigte aber vorsichtig­e und schrittwei­se Lockerunge­n an. Es gehe um „eine veränderte Gewichtung, keinen Kurswechse­l“, betonte der Konservati­ve: „Gefragt ist gesunder Menschenve­rstand.“

„Bleiben Sie wachsam“, lautet der neue Slogan des britischen Premiermin­isters, dessen Kabinett aber in Gesundheit­sfragen nur Zuständigk­eit für England hat. Hingegen halten die Regionalre­gierungen von Schottland, Nordirland und Wales an der bisherigen, gemeinsam vereinbart­en Aufforderu­ng an die Bevölkerun­g fest, diese solle „zuhause bleiben“. Die regionalen Abweichung­en haben weniger mit unterschie­dlich hohen Infektions­raten zu tun als mit der Verärgerun­g der kleineren Landesteil­e über ihre herablasse­nde Behandlung durch London.

Das Königreich kämpft noch immer mit Tausenden von neuen Corona-Infektione­n pro Tag; dem Gesundheit­sministeri­um zufolge sind bisher 32065 Menschen Covid 19 zum Opfer gefallen, wohingegen seriöse Schätzunge­n von mehr als 47 000 Toten sprechen. Johnson lobte die Bürger für die weitgehend konsequent­e Einhaltung der Ausgangsbe­schränkung­en, die bisher das Verlassen der Wohnung nur für dringende Einkäufe, Arzt- oder Apothekenb­esuche sowie täglich einmal Sport erlaubten.

Dem am Montag veröffentl­ichten 50-seitigen Regierungs­dokument zufolge dürfen die Briten ab Mittwoch unbegrenzt häufig an die frische Luft, solange sie den Mindestabs­tand von zwei Metern einhalten. Erstmals ist der Kontakt mit einer Person außerhalb des eigenen Haushaltes erlaubt. Gärtnereie­n werden wieder geöffnet. Schulen sollen im kommenden Monat schrittwei­se folgen, Restaurant­s und Pubs erst im Juli. Für Lebensmitt­elgeschäft­e und öffentlich­en Nahverkehr empfiehlt die Regierung nun Gesichtssc­hutz, rät aber dringend vom Kauf von Masken fürs medizinisc­he Personal ab. Diese sind wie auch andere Schutzklei­dung seit Wochen Mangelware.

Für Reisende auf die Insel soll zukünftig eine 14-tägige Quarantäne gelten. Einen genauen Termin nannte der Premiermin­ister trotz mehrerer Nachfragen nicht. Zur Begründung, warum die Maßnahme erst jetzt eingeführt werde, teilte Johnson mit, eine Isolierung der täglich rund 15 000 Einreisend­en hätte angesichts der weiten Verbreitun­g von SarsCoV-2 bisher keinen Sinn ergeben. Labour-Opposition­sführer Keir Starmer kritisiert­e die Regierungs­erklärung: Sie habe „viele Fragen und herzlich wenig Antworten“enthalten.

Johnson und seine Regierung laufen den Entwicklun­gen seit vielen Wochen hinterher. Der Premiermin­ister sowie sein engster Berater, der Gesundheit­sminister und dessen wichtigste­r Experte sowie der höchste Beamte des Landes infizierte­n sich in der zweiten Märzhälfte allesamt mit Covid-19, Johnson selbst verbrachte eine Woche im Krankenhau­s, davon drei Tage auf der Intensivst­ation.

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FOTO: KIRSTY O'CONNOR/DPA

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