Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Als der Buchhalter des Holocaust gefasst wurde

Im Mai 1960 verhaftete der israelisch­e Mossad den Kriegsverb­recher Adolf Eichmann – Der westdeutsc­he Geheimdien­st hatte ihn unbehellig­t gelassen

- Von Andrea Krogmann

JERUSALEM (KNA) - „Ich habe der Knesset mitzuteile­n, dass vor einiger Zeit israelisch­e Sicherheit­skräfte einen der größten Naziverbre­cher aufgespürt haben: Adolf Eichmann.“Mit diesen Worten an das Parlament sorgte Israels Ministerpr­äsident David Ben Gurion am 23. Mai 1960 weltweit für Schlagzeil­en.

Die Geschichte der Auffindung, Verhaftung und Entführung des NSVerbrech­ers, die sich stellenwei­se wie ein schlechter Actionthri­ller liest, gilt als eine der spektakulä­rsten Geheimdien­stoperatio­nen aller Zeiten. Der nachfolgen­de Prozess, der mit dem Todesurtei­l für Eichmann endete, wurde zu einem Meilenstei­n der Auseinande­rsetzung mit den Verbrechen der Nazis.

Am 24. Dezember 1944 setzte sich Adolf Eichmann ab. Einen Tag bevor die Rote Armee Budapest einschloss und der Deportatio­n der Juden dort ein Ende setzte, brach der Stratege der Vernichtun­g nach Deutschlan­d auf. Mit falschen Identitäte­n und Gelegenhei­tsjobs schlug er sich durch, wurde von den Amerikaner­n gefasst, entkam der Haft, versteckte sich weiter.

Über die sogenannte Rattenlini­e gelang ihm 1950 mit Hilfe ranghoher Kirchenver­treter via Italien die Flucht nach Argentinie­n. Als staatenlos­er Ricardo Klement, so der Pass des Deutschen Roten Kreuzes, lässt er sich in guter Gesellscha­ft in Buenos Aires nieder. Längst war das Land zur sicheren Anlaufstel­le für Tausende Gesinnungs­genossen geworden.

Zunächst schien die Geschichte seinem Sicherheit­sgefühl recht zu geben. Denn niemand interessie­rte sich für den in Solingen geborenen Elektriker, der als Architekt der „Endlösung der Judenfrage“gilt. Früh stand der Nazi auf der Liste der gesuchten Kriegsverb­recher.

Seit 1956 lag daher auch ein Haftbefehl vom Amtsgerich­t Frankfurt am Main vor.

Damals hatte der westdeutsc­he Geheimdien­st bereits seit vier Jahren Hinweise auf Eichmanns Aufenthalt­sort. An seiner Verhaftung jedoch hatte man kein Interesse.

So war es der damalige hessische Generalsta­atsanwalt Fritz Bauer, Sohn jüdischer Eltern, der durch mehrjährig­es Insistiere­n an der deutschen Justiz vorbei den israelisch­en Geheimdien­st Mossad ins Spiel brachte.

Andere Einzelpers­onen trugen Puzzleteil­chen bei: Etwa der nach Argentinie­n ausgewande­rte deutsche Holocaustü­berlebende Lothar

Hermann, dessen Tochter Sylvia eine Romanze zu Eichmanns Sohn Klaus pflegte. Oder Geheimagen­t Manus Diamant, der einer ehemaligen Geliebten Eichmanns ein Foto abschwatzt­e, und „Nazi-Jäger“Simon Wiesenthal mit seinen Recherchen.

Am 11. Mai 1960 griff der Mossad in Buenos Aires zu. Neun Tage und dessen schriftlic­hes Einverstän­dnis später brachte man Ricardo Klement alias Adolf Eichmann an Bord einer El-Al-Maschine nach Israel. Erst zwei Tage später trat Ben Gurion vor die Knesset mit den Worten: „Adolf Eichmann ist bereits in Haft und wird hier in Kürze nach dem Gesetz aus dem Jahr 1950 zur Verfolgung von NS-Verbrecher­n vor Gericht gestellt werden.“

Die Ankündigun­g war Schock und Genugtuung zugleich – und für Israelis der Zeit ein nachhaltig prägendes Ereignis, an das sich die meisten bis heute erinnern. 15 Jahre hat es gedauert, bis Adolf Eichmann zur Verantwort­ung gezogen wurde. Für Israel sollte es der einzige nennenswer­te Nazi-Prozess bleiben – und das einzige Todesurtei­l, das je vollstreck­t wurde.

Für die israelisch­e Gesellscha­ft eröffnete der Prozess erstmals einen Gesprächsr­aum für ein Thema, das bis dahin kaum jemand anzurühren wagte. „Für uns bedeutete der Prozess eine äußerst schmerzhaf­te Auseinande­rsetzung mit diesem Trauma, ja er kam einer gigantisch­en Unterbrech­ung jedweder Art von Verdrängun­g gleich“, erinnerte sich der frühere israelisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d, Avi Primor, in seiner Autobiogra­fie.

Auch für die Aufarbeitu­ng der Verbrechen in Deutschlan­d sei das Jerusaleme­r Verfahren maßgeblich gewesen, sagte die deutsch-jüdische Politologi­n Hannah Arendt, die als Prozessbeo­bachterin nach Israel gereist war, 1964 in einem Radiointer­view: „Ich bin der Meinung, dass der Eichmann-Prozess wirklich als ein Katalysato­r für die Prozesse in Deutschlan­d gewirkt hat.“

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FOTO: DPA

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