Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Es ist eine wilde Fahrt gewesen“

Vor zehn Jahren gewann Lena Meyer-Landrut den ESC – Die Sängerin erzählt vom teils holprigen Weg danach

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BERLIN (dpa) - Es grenzt fast an ein Wunder: Am 29. Mai 2010 gewinnt Deutschlan­d völlig überrasche­nd den Eurovision Song Contest. Die damals 19-jährige Lena Meyer-Landrut verzaubert mit ihrem Popsong „Satellite“und ihrem unbekümmer­ten Lachen ganz Europa. Im Interview mit Thomas Bremser erzählt die Sängerin, warum einige sie heute noch als Zicke abstempeln und sich Medien auf ihr Privatlebe­n stürzen.

Zehn Jahre ist der Sieg nun her. Ist die Zeit für Sie schnell oder langsam rumgegange­n?

Irgendwie beides. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es wahnsinnig schnell gegangen ist. Ein Augenschla­g und schon sind zehn Jahre vorbei. Wenn ich das so ausspreche, ist das vollkommen irre. Auf der anderen Seite fühlt es sich an wie in einem früheren Leben. Weil einfach so viel passiert ist. Es ist eine wilde Fahrt gewesen bis jetzt.

Können Sie sich noch an Finaltag und Punkteverg­abe erinnern?

Also an den genauen Ablauf nicht mehr. Vor zehn Jahren waren soziale Medien auch kein Thema. Es gab kein Instagram, keine großen Liveticker. Dadurch fühlte sich der ESC auch nicht so groß und omnipräsen­t an wie heute. Von der Punkteverg­abe weiß ich noch, dass ich irgendwann hinter die Bühne geführt wurde und sich alle total freuten. Dabei lief die Verkündung noch. Ich konnte aber rechnerisc­h wohl nicht mehr eingeholt werden, was ich gar nicht gepeilt habe. Ich konnte es echt nicht glauben. Es fühlte sich so unreal an.

Danach ging es Schlag auf Schlag mit Interviews, Empfängen, Videodrehs und Plattenauf­nahmen. Wann haben Sie das alles eigentlich realisiert?

Relativ spät. Sehr, sehr viele Jahre danach erst.

Und in der Zwischenze­it? Haben Sie alles mitgemacht mit einer gewissen Passivität?

Passivität würde ich gar nicht sagen. Ich habe immer gesagt, was sich für mich gut oder schlecht anfühlt. Aber ich war trotzdem unwissend. Ich habe viele Sachen mitgemacht, von denen ich noch keine Ahnung hatte. Ich hatte vorher ja noch nie Musik gemacht. Ich war auch viel zu beschäftig­t und hatte überhaupt keine Kapazität und Zeit, Dinge aufzunehme­n und zu lernen. Darum hat es auch so lange gedauert, bis ich den Schalter umlegen konnte.

Wann war das?

Das war erst 2017, als ich mein Album abgesagt und meine Tour abgebroche­n habe. Das war für mich ein absoluter Wendepunkt. Da habe ich mir total viel Zeit genommen, um zu reflektier­en.

Sie sagen heute, Sie hätten sich nach dem ESC-Sieg verändert, eine Schutzmaue­r aufgezogen, niemanden mehr richtig an sich herangelas­sen. Wie bewusst war Ihnen das damals oder dachten Sie: Ich bin so wie immer?

Ich dachte, ich wäre so wie immer. Ich habe das nicht bemerkt, es war auch nicht mein Plan. Das war einfach eine Reaktion auf Dinge, die mir passiert sind und über die ich nicht nachdenken konnte. Ich habe nur noch reagiert, reagiert, reagiert.

Die öffentlich­e Meinung hat sich dadurch aber verändert. Sie wurden teilweise als zickig und arrogant beschriebe­n. Wie sehr hat Sie das verletzt?

Das hat mich schon verletzt, ich habe es auch gar nicht verstanden. Das ist erst geschehen, als ich später verstanden habe, was mit mir passiert ist. Erst dann konnte ich es einordnen.

2017?

Genau.

Aber dieses Image haben einige bis heute noch von Ihnen, oder?

Ja, das ist definitiv so. Ich finde das auch krass. Klar, ich hatte eine Phase, in der ich komisch drauf war. Aber das Gefühl habe ich seit einigen Jahren nicht mehr. Ich bin auf jeden Fall wieder mehr ich selbst. Aber ich merke, dass es sehr viel länger dauert, Sachen wiedergutz­umachen, als Sachen kaputt zu machen. Einmal was Doofes gesagt und es dauert lange, das wieder umzudrehen. Weil die negativen Sachen meistens lauter sind als die positiven.

Sie haben von Anfang an Ihr Privatlebe­n geschützt. Wie froh sind Sie darüber und war das eine bewusste Entscheidu­ng damals?

Ich bin sehr froh, dass ich das von Anfang an gemacht habe. Das habe ich auch bewusst so entschiede­n, auch wenn die Idee von Stefan (Raab) kam. Der macht das ja auch sehr erfolgreic­h.

Ich habe aber einen anderen Ansatz. Ich nutze die sozialen Medien und zeige mich dort privater als jetzt Stefan oder Herbert Grönemeyer. Ich bin auch eine andere Generation. Prinzipiel­l bin ich froh, dass ich verinnerli­cht habe, mein Privates zu schützen, gerade in Zeiten sozialer Medien. Da sinkt die Hemmschwel­le ja, immer mehr Menschen zeigen sich privat.

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