Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wenn Hüfte und Knie wie eingerostet sind
Die Corona-Krise sorgt in Memmingen für OP-Stau – Seit Montag wird wieder operiert
MEMMINGEN - Völlig neue Erfahrungen mussten wegen der CoronaKrise auch Professor Dr. Christian Schinkel und sein Team machen. Schinkel ist seit elf Jahren Chefarzt der Unfallchirurgie, der Handchirurgie und der Orthopädie am Memminger Klinikum.
Sämtliche planbaren Operationen wurden landesweit für zwei Monate abgesagt, um Kapazitäten für die Intensivpflege bei Covid 19-Patienten freizuhalten. Nur noch Tumor- und akute Schmerzpatienten sowie aktuelle Frakturen wurden operiert. Die sachlich begründete Zentralisation auf das Corona-Virus führte jedoch in den vergangenen Wochen zu einem beachtlichen Stau im regulären Operationsbetrieb. Dazu gehört auch der Gelenk-Ersatz an Hüfte und Knie, der in virusfreien Zeiten mehrmals täglich auf dem OP-Plan stand.
Gelenke ermöglichen es, dass wir uns bewegen können. Durch Gelenkflüssigkeit und Knorpel wird ein normaler Bewegungsablauf erst möglich. Gelenke haben quasi eine Stoßdämpferfunktion und geben durch die Gelenkbänder und die Gelenkkapsel den notwendigen Halt. Wenn das Gelenk an Arthrose erkrankt, beginnt dies mit einem Knorpelschaden und später mit einer Verdichtung des beteiligten Knochens, erklärt Professor Schinkel. Im Spätstadium werde der Knorpel komplett abgerieben, der sonst vorhandene Gelenkspalt verschwindet und die tangierten Knochen berühren sich direkt. Dies führt unweigerlich zu erheblichen Schmerzen beim Patienten.
Typisch für Knie- und Hüftarthrose ist der sogenannte „Anlaufschmerz“: Die ersten Schritte morgens nach dem Aufstehen sind mühsam und schmerzhaft, die Gelenke erscheinen wie eingerostet. Nach einer gewissen „Einlaufphase“werden die Beschwerden zumindest erträglicher. Die Ursachen einer Arthrose sind laut Schinkel vielfältig: Überlastung der Gelenke, Unfälle und angeborene Fehlformen wie O- oder XBeine. Auch Stoffwechselstörungen, falsche Ernährung und natürlich fehlende Bewegung können ursächlich sein, wenn Knie oder Hüfte allmählich ihren Dienst versagen.
Jährlich werden bundesweit etwa 240 000 Hüftprothesen und rund 150 000 Knieprothesen implantiert Tendenz steigend. Ein lukratives Geschäft für die Kliniken? Nein, sagt Professor Schinkel. Durch das Fallpauschalensystem könne lediglich kostendeckend gearbeitet werden. Grund sei vielmehr eine älter werdende Gesellschaft und das häufige Auftreten der Arthrose bei Patienten über 50 Jahren. Die Arthrose könne leider bis heute nicht geheilt werden.
In der klinischen Sprechstunde, die seit dem 11. Mai am Klinikum Memmingen wieder stattfindet, wird zunächst das Stadium der Arthrose mit dem Patienten erörtert. Befindet sich das Arthroseleiden noch in einem frühen Stadium, helfen Physiotherapie mit Heilgymnastik und Muskelaufbau. Zusätzlich können entzündungshemmende Medikamente und Knorpelschutzpräparate verschrieben werden. Auf diese Weise gelingt es häufig, das Fortschreiten der Arthrose zu verlangsamen.
Die Entscheidung zu einer Operation trifft immer der betroffene Patient.
Der richtige Zeitpunkt ist meist abhängig vom persönlichen Leidensdruck und einer deutlichen Verschlechterung der Lebensqualität. Wenn auch Schmerzmittel nicht mehr helfen und massive Probleme bei der Bewältigung des Alltags auftreten, ist die Entscheidung für eine Operation meist überfällig.
Seit fünf Jahren verfügt das Klinikum Memmingen über ein zertifiziertes Endoprothetikzentrum. „Wir arbeiten nur mit Prothesen führender Hersteller, von denen sehr gute Langzeitergebnisse vorliegen“, betont Professor Schinkel. Die Qualitätsstandards des Zentrums führen „zu außerordentlich guten Operationsergebnissen mit einer geringen Komplikationsrate“. Bereits unmittelbar nach der OP könne das Bein voll belastet werden.
Die Patienten bleiben im Schnitt eine Woche stationär im Klinikum und wechseln anschließend für drei Wochen in eine Reha-Klinik. Im Regelfall tragen die Patienten nach zehn Jahren noch zu über 95 Prozent der Hüftpatienten und über 90 Prozent der Kniepatienten die ursprüngliche Prothese ohne erneute Operation. Um eine bestmögliche Patientensicherheit zu gewährleisten, beteiligt sich das Memminger Klinikum freiwillig am deutschen Endoprothetikregister, das der Qualitätssicherung der verwendeten Implantate dient. Patientenbefragungen hätten eine sehr hohe Zufriedenheit mit Operation und Pflege ergeben, so Schinkel.
„Wer rastet, der rostet“: Dies gilt vor allem für die Gelenke, die durch Bewegung Gelenkschmiere produzieren. Professor Schinkel ist sich sicher, dass es jeder in der Hand hat, den Prozess des Gelenkverschleißes positiv zu beeinflussen: „In dem Sie Überlastung und Stürze so gut es geht vermeiden, Übergewicht durch gesunde Ernährung verhindern, die Gelenke ausreichend bewegen und die Muskulatur stärken.“Bei Sportarten empfehle er Schwimmen, Radfahren oder Nordic Walking, so der Mediziner.