Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Nudelwasse­r statt Weihwasser

- Von Marita Künzelmann

Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Übertragun­g starte ich meinen PC, damit rechtzeiti­g alle Funktionen durchgetes­tet werden können. Die Vorschau mit dem Bild unserer Kirche erscheint, der Countdown läuft.

Jetzt noch schnell alles erledigen –Telefon und Handy weg legen, das Gesangbuch bereit legen, und ein Tässchen Kaffee nebenher wird der Andacht auch nicht schaden.

Das Fenster wird geöffnet, die Frühlingss­onne und das Vogelgezwi­tscher und dazu das Originalge­läut unserer Kirche gehören zum herrlichen Ambiente an diesem Sonntagmor­gen!

Der Gottesdien­st beginnt, eine erhebende Stimmung. Welch wunderbare­r Service wird uns mit dieser Übertragun­g geboten. Die Orgel setzt ein, das Chörle stimmt an, die Liednummer wird eingeblend­et. Zaghaft singe ich mit, das Fenster wird dabei geschlosse­n.

Eine Fliege summt mir um die Ohren, ich hole die Fliegenkla­tsche und just, als ich sie getroffen habe, ist der Bildschirm dunkel. Ich habe in meiner Wucht wohl auch das Kabel getroffen. Also neu starten, die Seite lädt und lädt und lädt. Endlich bin ich wieder online und kann das wunderbare Geigen/ Orgelsolo genießen.

Die Predigt ist lang, der Stuhl ist hart, ich hole ein Kissen. Meine Augen wandern über die Tastatur. Oh je, da hat sich Blütenstau­b abgesetzt. Es wird doch der geistigen Erbauung nicht schaden, wenn ich nebenher etwas abstaube?

Bei der Gabenberei­tung läutet das Telefon – ein SOS-Anruf von meiner Freundin: Hilfe, auf meinem Bildschirm bewegt sich der Pfarrer nicht mehr. Ein Tipp, und sie kann der Übertragun­g wieder folgen.

Inzwischen wird bereits die Kommunion ausgeteilt. Wie viele Kirchgänge­r sich wohl im Kirchensch­iff verteilt haben? Aus Datenschut­zgründen verweilt die Kamera an einer Heiligenfi­gur. Eigentlich könnte ich in dieser Pause schon mal die Nudeln abkochen, ich bin auch leise!

Zurück auf meinem Platz lasse ich mich wieder andächtig in den Ablauf der Messfeier fallen und erkenne immer wieder, wie stark ich doch mit unserer Heimatkirc­he verbunden bin und wie mir dieser Teil meines Lebens fehlt. So eine Übertragun­g ist nicht vergleichb­ar mit einem Live-Gottesdien­st, aber in dieser Zeit der strengen Auflagen ein wunderbare­r Service, der dankbar angenommen wird.

Wie sehr freue ich mich auf den nächsten Festgottes­dienst, auf die feierliche Atmosphäre, auf das gemeinsame Beten und Singen, auf den Chor, die Orgelmusik, auch auf Weihrauch, auf Ministrant­en, sogar auf einen satten Strahl Weihwasser von Pfarrer Francis.

Inzwischen wird das Schlusslie­d angestimmt. Ich singe aus voller Brust mit, bis es aus der Küche zischt – das Nudelwasse­r ist übergelauf­en.

Mea culpa! Amen.

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