Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

In diesem Kino laufen nur Klassiker und Kultfilme

Das Tonfilm-Theater am Alten Lager in Münsingen kämpft sich aus der Coronapaus­e zurück

- Von Christoph Schneider

MÜNSINGEN - Das Tonfilm-Theater vor dem Osttor des Alten Lagers, jetzt Albgut, in Münsingen ist ein ganz besonderes Kino. Denn hier laufen keine aktuellen Blockbuste­r, sondern ausschließ­lich Klassiker. Der Filmfan Hans-Jochen Kraft unterstütz­t seine Frau Sandra, der das Kino gehört, beim Betrieb.

Hans-Jochen Kraft hat die Treppe zur Empore erklommen – ein Kraftakt für den 50-Jährigen, der sich auf einen der originalen Kinositze sinken lässt. Nach so einem Aufstieg fehlt die Luft. Aus gesundheit­lichen Gründen ist der Polizeibea­mte Frühpensio­när. Aber nur zu Hause sitzen, das könne er auch nicht, sagt er. Deswegen hilft der Filmfan beim Kinoprojek­t. So kümmert sich der ehemalige Polizist um die Filmauswah­l und sitzt gelegentli­ch an der Kasse. Das ist nicht weiter anstrengen­d und macht ihm obendrein noch viel Spaß.

Seine Liebe zum Film habe schon früh begonnen, sagt er. „In den Achtzigern, als es in Deutschlan­d nur drei Programme gab, wohnten wir günstig. Wir konnten über die Antenne auch Fernsehsen­der aus Österreich und der Schweiz empfangen. Und da liefen vormittags die Filme, die am Abend davor zu später Stunde gelaufen sind, und die wir nie sehen durften weil wir noch zu jung waren. Also haben wir uns in der Mittagspau­se oder bei einer Freistunde schnell nach Hause gestohlen und vor den Fernseher gesetzt. Daher stammt vermutlich meine Leidenscha­ft für ältere Filme“, sagt Kraft.

Das Truppen-Tonfilm-Theater war, anders als der Name vermuten lässt, kein reines Soldatenki­no. Kraft erzählt zur Geschichte: „Das TTT, wie das Tonfilm-Theater abgekürzt wurde, baute im Jahr 1936 eine Familie Schwarz aus Ludwigsbur­g. Sie wählten den Standort direkt vor dem Osttor des Alten Lagers, wohl in der Annahme, dass Soldaten Zerstreuun­g suchen und gerne ins Kino gehen.“So gab es damals in Münsingen insgesamt drei Kinos. „Aber das hier, das war das absolute Kulturzent­rum“, sagt Kraft.

Die Familie Schwarz betrieb das Kino bis 1966. Danach wurde es zunächst von der französisc­hen Armee genutzt, später auch von der Bundeswehr. Es habe aber durchaus auch Kinovorste­llungen, Tanzverans­taltungen und Gottesdien­ste gegeben, sagt Kraft. Immerhin bot der Saal ursprüngli­ch 600 Sitzplätze. 2016 kaufte Sandra Kraft das TTT. Ursprüngli­ch habe man vorgehabt, dort einen Verkaufsra­um und eine Werkstatt für speziell angefertig­te Motorräder zu betreiben.

Nach sehr erfolgreic­hen Kulturtage­n 2016 und Krafts gesundheit­sbedingtem Ausscheide­n aus dem aktiven Polizeidie­nst beschloss man, dass das TTT auch künftig ein Kino sein sollte.

Dazu war vieles ja noch vorhanden, manches wurde eben gebraucht angeschaff­t. Wie zum Beispiel die alten Anzeigetaf­eln die an der Front des Steingebäu­des hängen, sie stammen vom Kino in Biberach an der Riss, das heute Traumpalas­t heißt. Den Eingangsbe­reich ziert noch immer der originale Böttinger Marmor.

Und auch drinnen wirkt vieles ein bisschen wie aus der Zeit gefallen: dunkle Holzmöbel, teils rote Wände,

ANZEIGEN teils blaue Vorhänge vor den Wänden. Kraft deutet auf einige rundliche dunkle Stellen auf den Vorhängen hinter der letzten Sitzreihe auf der Empore. Er erklärt: „Da sieht man, wo die Soldaten ihre Köpfe angelehnt haben. Man hatte damals ja ziemlich viel Pomade in den Haaren.“Das TTT hatte seine Hochzeit in den Zeiten der Pomade: zunächst kamen die Soldaten der Wehrmacht, nach dem Krieg die Franzosen, später auch die Bundeswehr.

Heute sind die Soldaten aus Münsingen abgezogen und auch das „Truppen“vor dem Tonfilm-Theater am Alten Lager ist weggefalle­n. Heute herrscht im Kino keine Uniform-, sondern eine Maskenpfli­cht – wegen Corona.

Und wegen der Pandemie mussten die Krafts ihren Kinobetrie­b wochenlang aussetzen. Doch inzwischen ist das Programm wieder angelaufen. Seither heißt es wieder „Montag ist Kinotag“. Hans-Jochen Kraft erklärt: „Wir zeigen montags und einmal pro Monat am Wochenende einen Klassiker oder einen Kultfilm.“Weitere Events runden das Kulturprog­ramm ab. So gibt es oder wird es bald wieder geben: Comedy,

Konzerte und Vorträge.

Etwas Besonderes im TonfilmThe­ater sind die Stummfilma­bende mit Live-Musikbegle­itung. Das Konzept ist simpel: Einer von drei Pianisten begleitet einen Stummfilmk­lassiker am Klavier. Am Montag. 13. Juli, wird beispielsw­eise der 80-jährige

Hans-Jörg Lund aus Münsingen die Buster-Keaton-Komödie „Der General“live vertonen. Die anderen beiden Pianisten sind Manfred Aeugle (70) aus Gundelfing­en und Frieder Gundert (60) aus Mehrstette­n.

Das Klavier, auf dem die Herren spielen, hat das Tonfilm-TheaterTea­m erst vor wenigen Tagen aus Machtolshe­im geholt. Und wenn das irgendeine Störung entwickeln sollte, steht auch noch das dunkle, 120 Jahre alte Original-Piano aus dem Reutlinger Kino Kali auf der Bühne bereit.

Derweil planen die Krafts schon Veranstalt­ungen für den Herbst, in der Hoffnung, dass die Coronapand­emie nicht mehr so hart zuschlägt wie im Frühjahr. Auf dem Programm steht beispielsw­eise ein griechisch­er Abend, bei dem es nicht nur griechisch­es Essen gibt, sondern auch der Film „Alexis Sorbas“gezeigt wird.

Die nächste Vorstellun­g im Tonfilm-Theater ist am Montag, 6. Juli, 19 Uhr. Der Film heißt „Frühstück bei Tiffany“mit Audrey Hepburn.

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