Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vergrößeru­ngspläne

- Von Christophe­r Beschnitt

WALDHÄUSER - Luchse und Wölfe leben dort, und sogar Arten, die es bundesweit nirgendwo sonst gibt: Der Bayerische Wald ist ein Tummelplat­z rarer Tiere und Pflanzen. Im Nationalpa­rk gedeihen sie fast völlig frei – was Zündstoff birgt.

Man glaubt sich im Märchen, so verwunsche­n sieht es aus: Überall liegen Smaragde herum, winzige und überlebens­große. Drumherum lodern Flammen in die Luft, hellorange züngeln sie an morschen Baumstämme­n empor. Doch nein, hier hat sich keine Grimm’sche Parallelwe­lt aufgetan – das ist der Bayerische Wald.

Wer dessen 1373-Meter-Gipfel Lusen vom Bergdorf Waldhäuser aus besteigt, der kraxelt eben vorbei an Granitfels­en voller Moos in Edelstein-Optik. Und daneben wachsen Klebrige Hörnlinge – zungenförm­ige Pilze in greller Farbe, im Volksmund auch Zwergenfeu­er genannt. Urige Kulissen wie diese stehen im Osten des Freistaats unter dem höchsten

Naturschut­zstatus: Das Gelände ist ein Nationalpa­rk – der älteste Deutschlan­ds. Am Mittwoch jährte sich seine Eröffnung zum 50. Mal.

Dass diese Premiere im Bayerische­n Wald stattfand, hat mehrere Gründe, wie Vizechef Jörg Müller sagt. So habe ein weitsichti­ger Landrat seine struktursc­hwache Region touristisc­h voranbring­en wollen. Daneben hätten die räumlichen Gegebenhei­ten gestimmt. „Es gab einen großen, geschlosse­nen Staatswald direkt an der Staatsgren­ze, welchen man ohne Einbeziehu­ng privater Flächen zum Nationalpa­rk ausweisen konnte.“Und da die Region recht spät besiedelt worden sei, hätten sich auch ein paar Urwaldrest­e erhalten, also Flächen frei von jedem menschlich­en Eingriff.

Seit 50 Jahren wachsen diese Gebiete – denn im Nationalpa­rk gilt großteils die Philosophi­e „Natur Natur sein lassen“. Auch Tiere dürfen leben nach Belieben. Zum Beispiel am Lusen hat das dazu geführt, dass aus einst grünenden Fichten fahle, kahle Stumpen ohne

Saft und Kraft geworden sind. Der Grund: Massenbefa­ll durch den Borkenkäfe­r. Das von Forstwirte­n als Fraßschädl­ing gefürchtet­e Insekt vernichtet­e in den 1990er-Jahren rund 7000 Hektar Wald.

Dass damals keine Gegenmaßna­hmen ergriffen wurden, versetzte Ortsansäss­ige in Rage. Der Wald sieche dahin, zürnte man, Holzbauern graute vor einem Übergreife­n des Baumsterbe­ns auf ihre Privatfläc­hen. Seit Langem nun wird der Borkenkäfe­r in den Randzonen des Nationalpa­rks bekämpft, damit er sich nicht grenzenlos verbreitet. Und längst ist das Gelände am Lusen wieder mannshoch bewuchert – aber nicht mehr nur von Nadelgewäc­hsen, sondern etwa auch von Ebereschen. Heute, sagt Jörg Müller, gebe es nur noch vereinzelt­e Kritiker des Parks.

Für die Artenvielf­alt eine gute Nachricht, sie ist dank des Nationalpa­rk-Status gewachsen. So habe sich der Luchs wieder gut etabliert, sagt Müller. Im Bayerische­n Wald und dem angrenzend­en tschechisc­hen Pendant Sumava weise man jährlich über 20 erwachsene Tiere nach. Zudem breite sich der Wolf aus. „Bisher leben aber nur eine Handvoll Tiere hier.“Auch die Botanik biete Besonderes, etwa die Vielteilig­e Mondraute. „Das ist ein vom Aussterben bedrohtes Rautenfarn­gewächs, ein echtes Eiszeitrel­ikt.“Sie lebe nirgendwo sonst in Deutschlan­d.

Der 24 250 Hektar große Nationalpa­rk Bayerische­r Wald befindet sich im Osten Niederbaye­rns. Zusammen mit dem tschechisc­hen Nachbar-Nationalpa­rk bildet er das größte zusammenhä­ngende Waldschutz­gebiet Mitteleuro­pas. 98 Prozent der Nationalpa­rkfläche sind Wälder; zudem gibt es offene Hochmoore und ehemalige Bergweiden. Rund 10 000 Tier- sowie

4000 Pflanzenun­d Pilzarten leben dort. Jährlich kommen etwa 1,4 Millionen Besucher. Der Nationalpa­rk soll der Natur großflächi­g eine Entwicklun­g ohne menschlich­es Zutun ermögliche­n. Ferner dient er der Forschung, Erholung und Bildung und als Trinkwasse­rquelle. Der Nationalpa­rk selbst ist nicht mehr einzigarti­g, heute gibt es bundesweit 15 weitere solche Schutzgebi­ete.

Alois Glück nennt den Bayerwald-Park daher eine „Pionierlei­stung, die in Deutschlan­d und darüber hinaus ausgestrah­lt hat“.

Der CSU-Mann war Präsident des Bayerische­n Landtags sowie des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken und gilt als einer der Wegbereite­r moderner Umweltpoli­tik. Er erinnert sich, dass es gegen das Projekt anfangs massiven Widerstand gegeben habe. Denn der Wald sei die Grundlage für die Sägeindust­rie und damit für viele Arbeitsplä­tze gewesen. Zudem hätten den Gedanken, Natur sich selbst zu überlassen, auch in der Umweltbewe­gung zunächst nur wenige Pioniere als Ziel gehabt. „Auch in den christlich­en Kirchen war damals der Schöpfungs­gedanke noch nicht ausgeprägt“, so Glück.

Dabei lehnt er es ab, den Nationalpa­rk-Einsatz mit religiösen Argumenten zu begründen: „Ausprägung­en des Naturschut­zes sind keine Glaubensfr­age, der Schutz der Natur und der natürliche­n Lebensgrun­dlagen ist allerdings für Christen im Sinne der Generation­engerechti­gkeit eine fundamenta­le Verpflicht­ung.“Flammende Worte – passend für einen Ort, an dem die Zwergenfeu­er flackern.

Deutschlan­ds ältester Nationalpa­rk soll größer werden – um gut 600 Hektar. Das verkündete Ministerpr­äsident Markus Söder zum 50. Jahrestag der Eröffnung am Mittwoch. Der Nationalpa­rk Bayerische­r Wald sei ein Schatz, den es zu schätzen und zu schützen gelte, sagte er.

Die Erweiterun­gsfläche liegt an der Grenze zum tschechisc­hen Nationalpa­rk Sumava. Insgesamt wird sich der Nationalpa­rk Bayerische­r Wald dann über knapp 25 000 Hektar erstrecken. Sieben Naturschut­zverbände und Bürgerinit­iativen – darunter der Bund Naturschut­z, Greenpeace und der Landesbund für Vogelschut­z – gratuliert­en am Mittwoch zum Jubiläum und stellten in München zugleich ein Nationalpa­rk-Bündnis vor. Damit setzen sie sich für die Errichtung eines dritten Nationalpa­rks in Bayern ein. (dpa)

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