Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Vergrößerungspläne
WALDHÄUSER - Luchse und Wölfe leben dort, und sogar Arten, die es bundesweit nirgendwo sonst gibt: Der Bayerische Wald ist ein Tummelplatz rarer Tiere und Pflanzen. Im Nationalpark gedeihen sie fast völlig frei – was Zündstoff birgt.
Man glaubt sich im Märchen, so verwunschen sieht es aus: Überall liegen Smaragde herum, winzige und überlebensgroße. Drumherum lodern Flammen in die Luft, hellorange züngeln sie an morschen Baumstämmen empor. Doch nein, hier hat sich keine Grimm’sche Parallelwelt aufgetan – das ist der Bayerische Wald.
Wer dessen 1373-Meter-Gipfel Lusen vom Bergdorf Waldhäuser aus besteigt, der kraxelt eben vorbei an Granitfelsen voller Moos in Edelstein-Optik. Und daneben wachsen Klebrige Hörnlinge – zungenförmige Pilze in greller Farbe, im Volksmund auch Zwergenfeuer genannt. Urige Kulissen wie diese stehen im Osten des Freistaats unter dem höchsten
Naturschutzstatus: Das Gelände ist ein Nationalpark – der älteste Deutschlands. Am Mittwoch jährte sich seine Eröffnung zum 50. Mal.
Dass diese Premiere im Bayerischen Wald stattfand, hat mehrere Gründe, wie Vizechef Jörg Müller sagt. So habe ein weitsichtiger Landrat seine strukturschwache Region touristisch voranbringen wollen. Daneben hätten die räumlichen Gegebenheiten gestimmt. „Es gab einen großen, geschlossenen Staatswald direkt an der Staatsgrenze, welchen man ohne Einbeziehung privater Flächen zum Nationalpark ausweisen konnte.“Und da die Region recht spät besiedelt worden sei, hätten sich auch ein paar Urwaldreste erhalten, also Flächen frei von jedem menschlichen Eingriff.
Seit 50 Jahren wachsen diese Gebiete – denn im Nationalpark gilt großteils die Philosophie „Natur Natur sein lassen“. Auch Tiere dürfen leben nach Belieben. Zum Beispiel am Lusen hat das dazu geführt, dass aus einst grünenden Fichten fahle, kahle Stumpen ohne
Saft und Kraft geworden sind. Der Grund: Massenbefall durch den Borkenkäfer. Das von Forstwirten als Fraßschädling gefürchtete Insekt vernichtete in den 1990er-Jahren rund 7000 Hektar Wald.
Dass damals keine Gegenmaßnahmen ergriffen wurden, versetzte Ortsansässige in Rage. Der Wald sieche dahin, zürnte man, Holzbauern graute vor einem Übergreifen des Baumsterbens auf ihre Privatflächen. Seit Langem nun wird der Borkenkäfer in den Randzonen des Nationalparks bekämpft, damit er sich nicht grenzenlos verbreitet. Und längst ist das Gelände am Lusen wieder mannshoch bewuchert – aber nicht mehr nur von Nadelgewächsen, sondern etwa auch von Ebereschen. Heute, sagt Jörg Müller, gebe es nur noch vereinzelte Kritiker des Parks.
Für die Artenvielfalt eine gute Nachricht, sie ist dank des Nationalpark-Status gewachsen. So habe sich der Luchs wieder gut etabliert, sagt Müller. Im Bayerischen Wald und dem angrenzenden tschechischen Pendant Sumava weise man jährlich über 20 erwachsene Tiere nach. Zudem breite sich der Wolf aus. „Bisher leben aber nur eine Handvoll Tiere hier.“Auch die Botanik biete Besonderes, etwa die Vielteilige Mondraute. „Das ist ein vom Aussterben bedrohtes Rautenfarngewächs, ein echtes Eiszeitrelikt.“Sie lebe nirgendwo sonst in Deutschland.
Der 24 250 Hektar große Nationalpark Bayerischer Wald befindet sich im Osten Niederbayerns. Zusammen mit dem tschechischen Nachbar-Nationalpark bildet er das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas. 98 Prozent der Nationalparkfläche sind Wälder; zudem gibt es offene Hochmoore und ehemalige Bergweiden. Rund 10 000 Tier- sowie
4000 Pflanzenund Pilzarten leben dort. Jährlich kommen etwa 1,4 Millionen Besucher. Der Nationalpark soll der Natur großflächig eine Entwicklung ohne menschliches Zutun ermöglichen. Ferner dient er der Forschung, Erholung und Bildung und als Trinkwasserquelle. Der Nationalpark selbst ist nicht mehr einzigartig, heute gibt es bundesweit 15 weitere solche Schutzgebiete.
Alois Glück nennt den Bayerwald-Park daher eine „Pionierleistung, die in Deutschland und darüber hinaus ausgestrahlt hat“.
Der CSU-Mann war Präsident des Bayerischen Landtags sowie des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und gilt als einer der Wegbereiter moderner Umweltpolitik. Er erinnert sich, dass es gegen das Projekt anfangs massiven Widerstand gegeben habe. Denn der Wald sei die Grundlage für die Sägeindustrie und damit für viele Arbeitsplätze gewesen. Zudem hätten den Gedanken, Natur sich selbst zu überlassen, auch in der Umweltbewegung zunächst nur wenige Pioniere als Ziel gehabt. „Auch in den christlichen Kirchen war damals der Schöpfungsgedanke noch nicht ausgeprägt“, so Glück.
Dabei lehnt er es ab, den Nationalpark-Einsatz mit religiösen Argumenten zu begründen: „Ausprägungen des Naturschutzes sind keine Glaubensfrage, der Schutz der Natur und der natürlichen Lebensgrundlagen ist allerdings für Christen im Sinne der Generationengerechtigkeit eine fundamentale Verpflichtung.“Flammende Worte – passend für einen Ort, an dem die Zwergenfeuer flackern.
Deutschlands ältester Nationalpark soll größer werden – um gut 600 Hektar. Das verkündete Ministerpräsident Markus Söder zum 50. Jahrestag der Eröffnung am Mittwoch. Der Nationalpark Bayerischer Wald sei ein Schatz, den es zu schätzen und zu schützen gelte, sagte er.
Die Erweiterungsfläche liegt an der Grenze zum tschechischen Nationalpark Sumava. Insgesamt wird sich der Nationalpark Bayerischer Wald dann über knapp 25 000 Hektar erstrecken. Sieben Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen – darunter der Bund Naturschutz, Greenpeace und der Landesbund für Vogelschutz – gratulierten am Mittwoch zum Jubiläum und stellten in München zugleich ein Nationalpark-Bündnis vor. Damit setzen sie sich für die Errichtung eines dritten Nationalparks in Bayern ein. (dpa)