Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Der nächste Skandal
Infront-Vertrag: Dem DFB wird millionenschwere Steuerhinterziehung vorgeworfen
FRANKFURT (dpa/SID) - Die Fahnder kamen am Morgen – und nahmen jede Menge Akten mit. Wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Mittwoch bei einer großangelegten Aktion die Geschäftsräume des Deutschen Fußball-Bundes sowie Privatwohnungen von ehemaligen und aktuellen Verbandsfunktionären in insgesamt fünf Bundesländern durchsucht.
Der Vorwurf: Die Verantwortlichen sollen Erlöse aus der Bandenwerbung von Heimländerspielen der Nationalmannschaft in den Jahren 2014 und 2015 „bewusst unrichtig als Einnahmen aus der Vermögensverwaltung erklärt haben“, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Damit sei der DFB einer Besteuerung in Höhe von etwa 4,7 Millionen Euro entgangen.
Wieder mal ist der größte Sportverband der Welt wegen Altlasten aus der Vergangenheit im Visier der Ermittler. DFB-Boss Fritz Keller kündigte an, die Ermittlungen „allumfänglich unterstützen“zu wollen. „Ich bin für Aufklärung, um eine saubere Zukunft für den Fußball zu haben“, sagte der 63-Jährige. Keller steht seit September 2019 an der Spitze des DFB, bei dem er zuvor kein Spitzenamt inne hatte.
„Die wegen des Verdachts der fremdnützigen Hinterziehung von Körperschafts- und Gewerbesteuern in besonders schweren Fällen geführten Ermittlungen richten sich gegen sechs ehemalige bzw. gegenwärtige Verantwortliche des DFB“, teilte die Behörde mit. An den Razzien in Hessen, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz waren 200 Beamte von Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung, Bundeskriminalamt und Bundespolizei beteiligt.
Im Kern geht es bei den Vorwürfen um einen Passus in einem am 11. Dezember 2011 zwischen dem DFB und Infront geschlossenen Vertrag, in dem sich die Schweizer Vermarktungsagentur auf Wunsch des DFB dazu verpflichtet haben soll, keine Rechte an der Bandenwerbung bei Heimländerspielen der Nationalmannschaft an Konkurrenten des damaligen Generalsponsors (Mercedes) und Generalausrüsters (adidas) zu vergeben.
Dadurch soll der DFB trotz der Verpachtung der Rechte über seine Sponsorenverträge aktiv bei der Vergabe der Bandenwerbeflächen mitgewirkt haben. Die Einnahmen hätten daher nach Ansicht der Staatsanwaltschaft
nicht der steuerfreien Vermögensverwaltung, sondern dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zugeordnet werden müssen. „Nach den bisherigen Ermittlungen besteht der Verdacht, dass die Beschuldigten von dieser steuerlichen Unrichtigkeit wussten, sie aber bewusst wählten, um dem DFB einen Steuervorteil von großem Ausmaß zu ermöglichen“, erklärte Oberstaatsanwältin Nadja Niesen. Namen von Verdächtigen teilte sie nicht mit.
Infront wies jegliche Verantwortung von sich. „Die steuerliche Deklaration von Einnahmen aus Vermarktungsverträgen
ist Sache des Empfängers, also des ursprünglichen Rechtehalters DFB. Infront hat keine Kenntnis darüber, wie die Einnahmen aus Bandenwerbeverträgen aufseiten des DFB steuerlich behandelt wurden“, sagte Sprecher Jörg Polzer. Das Unternehmen sei von den Ermittlungen nicht betroffen.
Fest steht: Der Deal zwischen dem Verband und Infront wurde in der Amtszeit von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ausgehandelt. Der 69Jährige war später jedoch über die Sommermärchen-Affäre um eine immer noch nicht aufgeklärte Zahlung von 6,7 Millionen Euro im Zusammenhang mit der Heim-WM 2006 gestolpert und am 9. November 2015 zurückgetreten. „Bei mir hat keine Durchsuchung stattgefunden. Ich habe auch ansonsten keinerlei Kenntnis“, sagte Niersbach.
Das Amt übernahmen Ende 2015 interimsmäßig die damaligen Vizepräsidenten Reinhard Rauball und Rainer Koch. Schatzmeister war zum fraglichen Zeitpunkt Reinhard Grindel, dem im April 2016 – nach dessen Aufstieg zum DFB-Präsidenten – Stephan Osnabrügge nachfolgte. Als Generalsekretär fungierte Helmut Sandrock, der im März 2016 von Friedrich Curtius abgelöst wurde. Präsident, Generalsekretär und Schatzmeister sind beim DFB für die Abzeichnung der Steuererklärung verantwortlich.
Mit seiner Bandenwerbung, ein wichtiger Teil der Vermarktung des Weltmeisters von 2014, steht der DFB schon länger in der Kritik. Erst kürzlich hatten der Verband und Infront ihre Zusammenarbeit nach fast 40 Jahren beendet. Grund laut DFB: „Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Zustandekommen und der Erbringung von Vertragsleistungen“sowie „unrechtmäßiger Einflussnahme auf DFB-Vertreter“. Eine Untersuchung des Beratungsunternehmens Esecon hatte zudem ergeben, dass Infront 2013 bei der Vertragsverlängerung den Zuschlag für das Geschäft erhielt, obwohl ein Konkurrent bis zu 18 Millionen Euro mehr geboten habe. Infront hatte die Vorwürfe zurückgewiesen und die Kündigung durch den DFB nicht anerkannt – am 11. September kam es zu der Trennung, die „einvernehmlich“genannt wurde.
Die Vorwürfe der Steuerhinterziehung lassen den Verband erneut in einem schlechten Licht erscheinen. Der DFB kämpft immer noch mit den Nachwehen der Affäre um die WM 2006. Bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft ist noch ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen die ehemaligen Top-Funktionäre Theo Zwanziger, Horst R. Schmidt und Niersbach anhängig.
Der DFB will die Vorgänge nochmals eingehend untersuchen lassen. „Es ist höchst unbefriedigend, ja frustrierend, dass wir noch immer kein abschließendes Bild rund um die Abläufe der WM 2006 haben. Damit will ich mich nicht abfinden“, sagte DFB-Boss Keller. Nun muss er sich mit weiterem Ungemach beschäftigen.
Der Deutsche Fußball-Bund sorgte bereits vor den Steuerhinterziehungsvorwürfen für diverse Affären. Ein Überblick:
Die Aufarbeitung der WM-Vergabe für 2006 läuft noch immer. Warum 6,7 Millionen Euro zum katarischen Skandalfunktionär Mohamed bin Hammam flossen, ist unklar. Der Vorwurf des Stimmenkaufs steht im Raum, auch wenn OK-Chef Franz Beckenbauer dies bestreitet. Der damalige Präsident Wolfgang Niersbach trat zurück.
2005 stand Schiedsrichter Robert Hoyzer im Fokus des bisher größten Wettskandals im deutschen Fußball. Er manipulierte mehrere Partien und saß wegen Beihilfe zum Betrug 14 Monate hinter Gittern. 67 000 Euro hatte er von der Wettmafia erhalten, dem DFB musste er später 750 000 Euro Schadenersatz zahlen.
Im Juni 2014 wurde der DFB durch einen Disput unter Spitzenfunktionären erschüttert. Das DFBPräsidium forderte Ex-Chef Theo Zwanziger öffentlich zum Rücktritt aus dem Exekutiv-Komitee der FIFA auf. Vorausgegangen war eine Serie öffentlicher Attacken Zwanzigers gegen Nachfolger Wolfgang Niersbach. Er warf ihm „Heuchelei“vor und prangerte seine Vergütung als ehrenamtlicher Präsident an. Zwanziger folgte der Rücktrittsforderung nicht, er ging erst 2015.
Im April 2019 wurde dem damaligen DFB-Chef Reinhard Grindel eine Uhren-Affäre zum Verhängnis. Der heute 59Jährige nahm vom ukrainischen Funktionär und Multimillionär Grigori Surkis illegalerweise eine 6000 Euro teure Luxusuhr an. Zudem hatten Berichte über ein vermeintlich verschleiertes Zusatzeinkommen beim DFB von 78 000 Euro den Druck erhöht, sodass Grindel als Präsident zurücktrat. Acht Tage später legte er seine Ämter bei der FIFA und der UEFA nieder. Kürzlich hat Grindel, dem Ex-Weltmeister Mesut Özil im Zuge der Erdogan-Affäre 2018 Rassismus vorwarf, sein Fehlverhalten eingestanden. (SID)