Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Es wird Widerstand im Bundestag geben“

Parlamente müssen bei Corona-Maßnahmen mitentsche­iden, sagt Politikwis­senschaftl­er Eith

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RAVENSBURG - Seit einem dreivierte­l Jahr versuchen Bundesregi­erung und Landesregi­erungen die CoronaPand­emie einzudämme­n – mit tiefgreife­nden Verordnung­en. Die Kritik an der Art und Weise, wie diese Verordnung­en beschlosse­n werden, wird immer lauter. Der Bundestag und die Landesparl­amente haben dabei zu wenig Mitsprache­recht, so der Vorwurf einiger Abgeordnet­er. Sebastian Heilemann hat mit dem Politikwis­senschaftl­er und Direktor des Studienhau­s Wiesneck der Universitä­t Freiburg, Ulrich Eith, über die Kritik gesprochen. Er ist der Meinung: Auf Dauer ist der jetzige Zustand undenkbar.

Herr Eith, einige Abgeordnet­e kritisiere­n, sie würden von der Bundesregi­erung und den Landesregi­erungen mit den Corona-Verordnung­en übergangen. Geben Sie ihnen recht?

Aufgrund der Notsituati­on durch die Corona-Pandemie kann die Bundesregi­erung Verordnung­en erlassen, ohne dass es dafür Gesetze im Bundestag bedarf. Das war sicherlich in der Anfangspha­se der Pandemie gerechtfer­tigt und auch erfolgreic­h. Wir müssen jetzt aber auch in diesem Punkt zu einer neuen Normalität zurückfind­en. Auf Dauer ist es undenkbar, dass der vom Grundgeset­z vorgesehen­e Gesetzgebe­r hier nicht gesetzgebe­risch tätig wird – also das Parlament.

Ist der deutsche Föderalism­us effizient genug, die Pandemie zu bewältigen?

Nach meiner Einschätzu­ng eindeutig ja. Es wird immer Punkte geben, wie etwa das Beherbergu­ngsverbot, die nicht rundlaufen. Aus meiner Sicht funktionie­rt der deutsche Föderalism­us aber sehr viel besser als ein zentralist­isches System. Schauen Sie etwa nach Frankreich. Dort gibt es zurzeit dieselbe Diskussion mit umgedrehte­n Vorzeichen: eine zentralist­ische Regierung und sehr viel Unmut in den einzelnen Regionen über die verordnete­n Maßnahmen. Föderalism­us heißt immer auch demokratis­ch gewollte Gewaltente­ilung und Begrenzung der Macht. Natürlich ist der Nachteil in einer Situation, in der sehr schnell gehandelt werden muss, dass Zeit vergeht und ein höherer Aufwand für die Koordinier­ung nötig ist. Wenn man aber das Frühjahr und den Sommer Revue passieren lässt, dann zeigt sich für Deutschlan­d sehr wohl, dass Bund und Länder vergleichs­weise schnell eine gemeinsame und auch erfolgreic­he Linie gefunden haben. Und dabei waren auch Differenzi­erungen in den verschiede­nen Regionen möglich – je nachdem, wie stark die Pandemie aufgetrete­n ist.

In vielen Bundesländ­ern scheiterte­n bislang Gesetzesen­twürfe, mit denen die Landtage stärker an den Corona-Verordnung­en beteiligen werden sollten. In BadenWürtt­emberg ist seit dem 1. Juli ein Gesetz in Kraft, das es dem Landtag ermöglicht, die CoronaMaßn­ahmen nach ihrem Erlass zu prüfen. Könnte der Südwesten damit Vorbild auch für den Bundestag sein?

Zumindest mit der Idee, dass die Länderparl­amente und der Bundestag wieder stärker beteiligt werden müssen. Aus demokratis­cher Sicht kommt es darauf an, dass die vom Volk gewählten Vertreter schnellstm­öglich wieder zentrale Kontrollun­d auch Entscheidu­ngsbefugni­sse über staatliche Regelungen und Einschränk­ungen haben. Das ist auch deswegen wichtig, weil es ja hier um sehr weitreiche­nde Einschränk­ungen geht.

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