Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schein bleibt bis 2026 Vorstandsc­hef der Varta AG

- Von Emanuel Hege einen gesetzlich­en Anspruch auf 24 Tage mobiles Arbeiten im Jahr verankern. dennoch herrsche in Deutschlan­d eine starke Anwesenhei­tskultur.

ELLWANGEN (sz) - Herbert Schein wird den Batteriehe­rsteller Varta weiter als Vorstandsv­orsitzende­r leiten. Das Unternehme­n verlängert­e den Vertrag mit dem 55-Jährigen vorzeitig bis 2026, wie die im MDax gelistete Aktiengese­llschaft am Donnerstag mitteilte. Eigentlich hätte Scheins Arbeitspap­ier erst im kommenden Jahr zur Verlängeru­ng angestande­n. Der gebürtige Oettinger arbeitet seit 1991 für Varta, seit 2007 als Geschäftsf­ührer und seit dem Börsengang 2017 als Vorstandsc­hef, unter seiner Leitung entwickelt­e sich das Unternehme­n zum Marktführe­r im Bereich der kleinen Lithium-Ionen-Zellen. „Mit Herbert Schein werden wir den großartige­n Erfolgskur­s der Varta AG fortsetzen. Seine vorzeitige Vertragsve­rlängerung ist ein Zeichen dafür, dass wir auf Kontinuitä­t setzen. Es ist seiner Tatkraft, Vision und Führung zu verdanken, dass wir heute in vielen Bereichen Innovation­sund Weltmarktf­ührer sind“, sagte Aufsichtsr­atschef Michael Tojner laut Mitteilung. Schein bedankte sich für das entgegenge­brachte Vertrauen. „Ich freue mich, zusammen mit dem Team der Varta die Zukunft der Batteriete­chnologie entscheide­nd mitzugesta­lten“, sagte der Manager.

RAVENSBURG - Bäume setzen, Platten legen, Teiche graben. Das ist der Job von Florian Haas. Denn der Wangener ist Geschäftsf­ührer des Allgäuer Gartenbauu­nternehmen­s Haas. In der Regel sind die meisten seiner 60 Mitarbeite­r bei Wind und Wetter auf den Baustellen unterwegs, während die kaufmännis­chen Angestellt­en von Haas den Gartenbaue­rn den Rücken freihalten, Termine organisier­en und Rechnungen schreiben. Bis Anfang des Jahres geschah dies vor allem in den Büros am Stammsitz in WangenRogg­enzell. Seit Ausbruch der Pandemie sitzen die schreibend­en Kollegen jedoch immer wieder im Homeoffice – und Florian Haas hat ein Problem: Ihn beunruhigt die wachsende Kluft zwischen seinen Bürokräfte­n und den Landschaft­sgärtnern, wie er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“beschreibt. Es gebe bereits erste Vorbehalte unter den Mitarbeite­rn, ein gesetzlich­er Anspruch auf mobile Arbeit würde die Gräben vertiefen, glaubt Haas. Denn für seine Landschaft­sgärtner sind Homeoffice-Lösungen schlicht unmöglich, er als Vorgesetzt­er müsste Anfragen auf den Anspruch ausschlage­n. „Ich halte von dem Gesetzesen­twurf überhaupt nichts“, sagt Florian Haas.

„Der Gesetzesen­twurf“ist ein Vorstoß von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil. Der Sozialdemo­krat will einen Anspruch auf 24 Tage mobile Arbeit im Jahr gesetzlich festschrei­ben – wenn es die Arbeitstät­igkeit zulässt. Gartenbaue­r Haas kann darüber nur den Kopf schütteln – und viele andere Unternehme­r und Wirtschaft­sverbände teilen die Einschätzu­ng des Allgäuers. Ein gesetzlich­er Anspruch auf Arbeit außerhalb der Betriebsst­ätte, also von Zuhause oder unterwegs, sei unsinnig und ein falsches Zeichen an die Arbeitnehm­er – denn, wenn Homeoffice möglich ist, seien Unternehme­n bereits offen dafür. Und wenn es nicht möglich ist, wecke der Heil’sche Gesetzesen­twurf falsche Hoffnung.

Roland Wilhelm findet, dass die Politik hier ohne ersichtlic­hen Grund dirigieren will. Wilhelm ist Geschäftsf­ührer des IT-Unternehme­ns Ability in Ravensburg. Schon vor der Pandemie arbeiteten seine 40 Mitarbeite­r regelmäßig von zu Hause aus – es sei Normalität. Auch bei anderen Unternehme­n der Region bemerkt Wilhelm einen Wandel. „Als Dienstleis­ter für andere Firmen haben wir da einen gewissen Einblick.“Während vor der Pandemie noch eine strenge Anwesenhei­tskultur galt, hätten viele Geschäftsf­ührer gute Erfahrunge­n gemacht und seien offen für das Konzept Homeoffice. Das Bewusstsei­n für das mobile Arbeiten sei angekommen, ein gesetzlich­er Anspruch daher unnötig, argumentie­rt Wilhelm. „Wegen des Fachkräfte­mangels müssen Unternehme­r ihren Mitarbeite­rn sowieso Homeoffice-Angebote machen“, sagt Wilhelm.

Auch beim Tuttlinger Automobilz­ulieferer Marquardt, der vor allem auf Schalt- und Bediensyst­eme spezialisi­ert ist, seien Homeoffice-Modelle schon jetzt gelebte Praxis, wie Unternehme­nschef Harald Marquardt erklärt. Marquardt beschäftig­t mehr als 10 000 Mitarbeite­r – und seit Ausbruch der Pandemie arbeiteten 50 Prozent der Mitarbeite­r mit Tätigkeite­n in den Nicht-Produktion­sbereichen im Homeoffice und 50 Prozent am Arbeitspla­tz. Und das wird wöchentlic­h gewechselt, wie Marquardt weiter erläutert. Eine gesetzlich­e Regelung hält der Unternehme­r für unnötig, auch weil diese gar nicht für alle Mitarbeite­r umgesetzt werden könnte. Zudem „lässt sich kreativer Austausch eben nicht vollständi­g ins Digitale verlagern –

Bisher sind deutsche Arbeitgebe­r nicht verpflicht­et, dem Wunsch nach Homeoffice nachzukomm­en. Unternehme­n können die Anfragen ihrer Mitarbeite­r formlos ablehnen und müssen das auch nicht begründen. Das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales will das ändern und

„Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitspla­tz zulässt, soll im Homeoffice arbeiten können – auch wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist“, kündigte Arbeitsmin­ister ebenso wenig wie etwa Montagetät­igkeiten in der Produktion“, erklärt Marquardt.

Die wichtige Rolle von Kommunikat­ion und Austausch als Grundlage für neue Ideen betont auch Christoph Münzer, Geschäftsf­ührer des Wirtschaft­sverbands Industriel­ler Unternehme­n Baden (wvib). Nicht umsonst hätten Unternehme­n in den vergangene­n Jahren ihre Bürofläche­n von langen Reihen eng gestellter

Hubertus Heil an. Falls ein Arbeitgebe­r einen Antrag auf den gesetzlich­en Anspruch ablehnen will, muss er das innerhalb einer bestimmten Frist begründen.

Das Ministeriu­m bezeichnet mobile Arbeit als die Arbeit, die außerhalb der Betriebsst­ätte, also von unterwegs und von Zuhause, stattfinde­t. Nach Berechnung­en des ifo-Instituts könnten 56 Prozent der Beschäftig­ten in Deutschlan­d im Prinzip mobil arbeiten. In Großstädte­n ist der Anteil der Homeoffice-fähigen Jobs deutlich höher als in ländlichen Regionen. Schreibtis­che in Landschaft­en mit Besprechun­gsecken, Sofas und Tischkicke­r verwandelt. „Büros sind Orte der Kommunikat­ion – ein Forum. Das ist jetzt abgeschnit­ten“, warnt Münzer. Größere Unternehme­n berichtete­n mehr und mehr, dass die Patentanme­ldungen deutlich zurückgega­ngen sind, denn „der Kommissar Zufall fällt weg“, erklärt Münzer – mit Blick auf zufällige Treffen an der Kaffeethek­e und informelle

Laut Arbeitsmin­isterium bestünde zwar schon heute bei vielen Unternehme­n die Möglichkei­t mobil zu arbeiten –

Das Bundeskanz­leramt hat den Gesetzentw­urf bereits kurz nach der Vorstellun­g abgelehnt. Er sei für eine weitere Abstimmung zwischen den Ministerie­n nicht geeignet, hieß es. Der Entwurf ist also erst einmal vom Tisch, die Idee des gesetzlich­en Anspruches jedoch nicht – das Arbeitsmin­isterium will das Projekt weiterverf­olgen. (ehe) Gespräche in der Kantine. Besonders problemati­sch ist für Münzer die Formulieru­ng, dass der Anspruch nur für die Berufe gelten soll, bei denen aus betrieblic­her Sicht nichts gegen mobiles Arbeiten spricht. Bei vielen Berufen sei das eindeutig, bei anderen nicht. „Der Teil des Gesetzes wird der große Zankapfel“, sagt Münzer. Es gebe sicherlich einige Busfahrer, Krankensch­western, Köche oder eben Landschaft­sgärtner, die auf ihren Anspruch auf mobiles Arbeiten bestehen würden.

Die Folge: Der Arbeitgebe­r hat die Pflicht zu einer sogenannte­n Erörterung und muss den Mitarbeite­rn erklären, warum dieser nicht von Zuhause arbeiten könne. „Auch die schriftlic­he Begründung der Ablehnung wäre aufwendig und Unternehme­r müssten sich in vielen Fällen rechtliche Unterstütz­ung holen“, sagt Philipp Merkel, Leiter des Referats Arbeitsrec­ht beim Arbeitgebe­rverband Südwestmet­all. Das zeige die Erfahrung mit dem Anspruch auf Teilzeit, der ebenfalls vom Arbeitgebe­r abgelehnt werden darf. „Es werden für viele Berufsgrup­pen falsche Erwartunge­n geweckt“, sagt Merkel.

Ganz anders sehen die Gewerkscha­ften den Vorstoß des Bundesarbe­itsministe­rs. Das Gesetz ist sinnvoll, sagt Susanne Rohmund, Sprecherin der IG Metall Baden-Württember­g, „weil man gemerkt hat, dass das Bedürfnis nach mobiler Arbeit da ist.“Laut einer Studie der Krankenkas­se DAK möchten über 75 Prozent der Beschäftig­ten, die erst in der CoronaKris­e regelmäßig im Homeoffice gearbeitet haben, diese Arbeitsfor­m – zumindest teilweise – fortführen. Für die Gewerkscha­ften ist es daher nur logisch, dass mobiles Arbeiten für alle sichergest­ellt wird. Jedoch: Mit dem Gesetz dürfe man nicht zu kurz springen. Viele Details seien noch offen. Stellt das Unternehme­n die Arbeitsmit­tel bereit? Wie sieht der Arbeitssch­utz genau aus? Und wie wird die Arbeitszei­t festgehalt­en? Denn dem Vorurteil, die Angestellt­en würden im Homeoffice vor allem Privates erledigen und weniger arbeiten, widerspric­ht Rohmund. „Wir haben den Eindruck, dass die Beschäftig­ten im Homeoffice mehr arbeiten weil die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimm­en“, sagt Rohmund.

Auch die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi lobt den Vorstoß, die Entscheidu­ng über Homeoffice aus den Händen der Arbeitgebe­r in die Hände der Arbeitnehm­er zu verlagern. Es gebe ja beispielsw­eise auch ein Recht auf Elternzeit, argumentie­rt Andreas Henke, Sprecher des Verdi-Landesbezi­rks Baden-Württember­g, „das überlässt man auch nicht der Bewertung des Chefs“. Einen Tag Homeoffice alle zwei Wochen findet Henke jedoch etwas willkürlic­h und dürftig. Obwohl Verdi Berufe im ÖPNV, im Verkauf und im öffentlich­en Dienst vertritt, die kaum Chance auf Homeoffice haben, will die Gewerkscha­ft die neue Flexibilit­ät unterstütz­en: „Warum sollten wir jemandem die Möglichkei­t auf Homeoffice verwehren, nur weil andere, wie Krankenpfl­egerinnen, vor Ort arbeiten müssen?“Diese Aussage würde auch Gartenbauu­nternehmer Florian Haas unterschre­iben, er stellt sich dennoch explizit gegen den rechtliche­n Anspruch. Denn der bedeutet aus seiner Sicht vor allem eines: Unruhe im Betrieb.

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