Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Europa schottet sich ab
Daten des Gesundheitsministeriums zeigen, dass sich bei der Arbeit die meisten Menschen anstecken. Doch Fabriken und Unternehmen laufen ungebremst weiter.
Mit seinem Zickzack-Kurs hat sich Regierungschef Babis viel Kritik eingehandelt. Noch im September hatte der 66-Jährige gesagt, man müsse keine Angst mehr vor dem Virus haben. In einer aktuellen Umfrage vertrauten ihm bei der Bekämpfung der Pandemie nur noch 36 Prozent der 1200 Befragten.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen äußerte sich besorgt über die Lage in Tschechien. „Die EU ist hier, um zu helfen“, schrieb sie bei Twitter. Die Politikerin kündigte die rasche Lieferung von zunächst 30 Beatmungsgeräten aus der EU-Reserve an.
Was ist schiefgelaufen, fragen sich nun viele. „Der Fehler ist wahrscheinlich im Sommer geschehen, als die Maßnahmen schnell gelockert wurden“, sagt der Epidemiologe Petr Smejkal vom Prager Forschungskrankenhaus IKEM. Die Menschen hätten vergessen, dass das Virus immer noch unter uns ist.
Auch die Regierung und verschiedene Experten hätten widersprüchliche Botschaften ausgesendet. Immerhin sei die Kommunikation inzwischen besser geworden.
Verhalten sich viele Tschechen wie Schwejk, der Soldat aus dem Schelmenroman Jaroslav Haseks, der sich immer irgendwie durchmogelt? „Ja, das hängt damit zusammen“, meint Smejkal. Was die Akzeptanz der Regeln angehe, habe sich die Haltung der Menschen seit dem Frühjahr geändert. Das Vertrauen zwischen Regierung und Bevölkerung sei längst nicht so weit entwickelt wie in Deutschland oder Schweden. So kam es am Sonntag in Prag zu Ausschreitungen, als Hunderte Fußball- und Eishockey-Fans gegen die Einschränkungen im Sport protestierten.
Inzwischen sind Schulen und Gastronomie geschlossen, Sport- und Kulturveranstaltungen ausgesetzt, Treffen von mehr als sechs Personen untersagt. Doch die Corona-Zahlen steigen und steigen. Damit wird der andauernde Personalmangel im Gesundheitswesen zu einem immer größeren Problem. „Eine Krankenschwester
für die Intensivstation auszubilden, braucht Zeit“, sagt Smejkal. Seit Jahren gehen jährlich Hunderte Ärzte, Medizinabsolventen und Pfleger auf der Suche nach höheren Gehältern und besseren Arbeitsbedingungen ins Ausland.
Die Ärztekammer hat an die Auswanderer appelliert, vorübergehend zurückzukehren, um ihren Landsleuten zu helfen. Der Biologe Jaroslav Flegr hat sogar vorgeschlagen, notfalls Veterinärmediziner einzusetzen. Wie ernst die Lage ist, zeigt auch, dass sich die Regierung bereits in Nachbarländern wie Deutschland erkundigt hat, ob sie im Bedarfsfall Intensivpatienten aufnehmen könnten.
Präsident Milos Zeman appellierte in einer Fernsehansprache an die Disziplin der Bevölkerung beim Maskentragen. Das Staatsoberhaupt empfahl den Menschen dabei, auf Fachleute zu hören und nicht auf weit verbreitete Verschwörungstheorien hereinzufallen. Der 76-Jährige sagte: „Uns steht nur eine Waffe zur Verfügung, solange es keine Impfung gibt: Diese Waffe ist ein kleines Stück Stoff.“
PARIS (AFP) - Die zweite CoronaWelle in Europa nimmt immer besorgniserregendere Ausmaße an. Viele Länder schotten sich wieder zunehmend gegen das Virus ab. In Italien gilt ab Freitagabend 23 Uhr, eine nächtliche Ausgangssperre für die Region Lazio, zu der auch die Hauptstadt Rom gehört, sowie für Kampanien mit Neapel. In der norditalienischen Region Lombardei sollte die Ausgangssperre bereits am Donnerstagabend in Kraft treten. Am Mittwoch verzeichnete das Land mit 15 200 Neuinfektionen die bislang höchste Zahl seit Beginn der Pandemie. In Spanien, wo ab Freitag scharfe Corona-Beschränkungen auch in der Region Aragon und der Provinz La Rioja gelten, überstieg die Zahl der seit Beginn der Pandemie Infizierten die Marke von einer Million. In Frankreich wurden bislang knapp 960 000 Menschen mit dem Virus infiziert. Die Regierung hat die nächtliche Ausgangssperre auf große Teile des Landes ausgeweitet. In 54 Départements dürften die Menschen ab Samstag ihre Häuser und Wohnungen zwischen 21 Uhr und 6 Uhr nicht verlassen. Damit sind insgesamt 46 Millionen Menschen von der Beschränkung betroffen – zwei Drittel aller Franzosen.