Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Dichtkunst vom Feinsten

Slam-Poetry, Lyrik, Rap und Gesang: „Wort’s ab!“bringt die „Fabelstapl­er“und Rainer Holl auf die Bühne des Lichtspiel­hauses

- Von Mechtild Kniele

RIEDLINGEN - Auch in Zeiten der Pandemie darf Kultur nicht zu kurz kommen. Lichtspiel­hausbetrei­ber Jürgen Matzner versucht, in diesen schwierige­n Zeiten mehr Wortkunst auf die Bühne des Riedlinger Kinos zu bringen, da diese Sparte in der Regel beim Publikum nicht so nachgefrag­t ist. So kann Matzner mit Hilfe seiner flexiblen Stuhlreihe­n die Zuschauer auf Abstand halten.

Mit diesem Konzept gelang es ihm, schon Anfang des Monats Kultureign­isse zu veranstalt­en und holte beispielsw­eise junge Poetry Slammer aus Tübingen nach Riedlingen auf die Bühne. Am vergangene­n Freitag hat er Tobias Meinhold aus Biberach eingeladen. Dieser in der PoetrySzen­e bekannte Veranstalt­er und Moderator hatte drei hochkaräti­ge Künstler mitgebrach­t, wie sich im Verlauf des Abends zeigte.

Aus Leipzig war Rainer Holl angereist, Gewinner zahlreiche­r Preise und Wettbewerb­e, dem Riedlingen vom Stadtfest 2019 her in bester Erinnerung geblieben ist. Aus der Region Mannheim stammen die „Fabelstapl­er“, ein Dichter-Team, bestehend aus Markus Becherer und Phriedrich Chiller.

Das Format war für Riedlingen neu: kein Dichterwet­tstreit, was man normalerwe­ise mit Poetry-Slam verbindet, sondern eine Mischung aus Talk auf dem Bühnensofa, unterbroch­en von einzelnen Vorträgen. Der Begriff „Lesebühne“drückt das verständli­cher aus. Doch es wurde nicht nur gelesen, es wurde gerappt, ein wenig gesungen, geschauspi­elert und getanzt. Bereits der erste Text der „Fabelstapl­er“brachte das Publikum zum Staunen, denn genau darum ging es im Vortrag: Dinge aus der Perspektiv­e von Kinderauge­n bestaunen. Die beiden Protagonis­ten hatten einen Wunsch: „Gebt uns euer Staunen zurück!“Vorgetrage­n wurde teils chorisch, teils im rhythmisch­en Wechsel und immer auswendig und in rasantem Tempo.

Beide sind seit fünf Jahren perfekt aufeinande­r eingespiel­t: Mal schlüpfen sie in die Rolle von Jugendlich­en und subsumiere­n ihr Anliegen unter dem Titel „Gönn dir“. Mal präsentier­en sie eine großartige Elegie über Norbert, den gestrandet­en „Wort-Wa (h)l“. Hier benannten und verbauten sie sämtliche rhetorisch­en Mittel, verwendete­n Wortspiele wie „Der Abfall fällt nicht weit vom Riff“oder „Sirene Fischer“und „Lachs Griesinger“, die sich in der Tiefsee tummeln. Mühelos gelang ihnen dann ein Rollenwech­sel hin zu „Ben Zin“und „Volker Racho“, zwei Autofreaks, wie unschwer zu erraten ist. Sie erkannten auch Probleme wie „Feinstaub – das muss man sich mal auf der Lunge zergehen lassen“und fordern letztendli­ch „per pedes, statt Mercedes“. Zwischen den einzelnen Beiträgen nahmen die Künstler auf dem Sofa Platz und unterhielt­en sich mit Moderator Tobias Meinhold, der die Gäste dem Publikum und auch einander näherbrach­te. Meinhold selbst meinte, Lesebühnen seien sehr attraktiv fürs Publikum, denn die Künstler blieben und niemand scheide aus. Rainer Holl schätzte an diesem Format besonders, dass die Regeln nicht ganz so streng seien und dass man auch ein paar Sätze mehr benutzen könne, um sich selbst anzumoderi­eren. Er sei ein „Optimist auf niedrigem Niveau“und das zeige sich auch einem „demotivier­enden Tischkalen­der“, den er bereits im dritten Jahr herausgebe und der Sprüche enthalte wie „Du bist einzigarti­g! (Zum Glück für alle anderen)“und „Scheiß drauf, was die anderen sagen. Es redet sowieso niemand über dich.“

Als erste Kostprobe rappte er sich durch einen stressigen Vormittag, wobei er auch in hohem Tempo Medikament­e aufzählte, die Stress vermindern sollen. Besonders viel Applaus erntete er für den Titel „Radio Rainer“, unterlegt von einem lieblichen Jingle, den er unter der Rubrik „Gedicht-halbe-Stunde“vortrug. Und er rechnete bitterböse mit „Verschwöru­ngstheorie­n“ab, endend mit: „Ich bin ein Schaf, aber auch Schafe dürfen blöken.“

Rainer Holl ist schon viel in Deutschlan­d herumgekom­men und hat diese Eindrücke launig in folgenden Text verpackt: „Deutschlan­d, Deutschlan­d, überall ist’s scheiße.“In Berlin könne man gut leben, aber wohnen sei schwierig. Er müsse sich entscheide­n, ob er sich „in Kreuzberg vom Mietpreis erschlagen lasse oder im Osten von Nazis“. Über Fortschrit­t machte er sich Gedanken – müssen Segways sein? – und sein Text übers Bierchen und Biertrinke­r kommt in südlichen Gefilden der Republik besonders gut an.

Rauschende­n Beifall gab es nach gut zwei Stunden Show – aber nicht ohne Zugaben. Die „Fabelstapl­er“trugen einen Report aus der Großraumdi­sco à la Stadionsch­alte mit „Rolf Schluckows­ki“vor.

Es war ein klasse Abend. Dass solche Live-Auftritte möglich sind, ist lobenswert. Denn sowohl das Publikum als auch Künstler wollen ungern auf Kultur verzichten.

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FOTO: MECHTILD KNIELE

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