Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Riedlinger­n wird viel geboten

Reges Interesse an Zwangsvers­teigerung, deren Abwicklung in Corona-Zeiten aufwendig ist

- Von Kai Schlichter­mann

RIEDLINGEN - Ruhig und gerade erhebt sich der Mann mit der dunkelblau­en Jacke vom Stuhl. Eine Maske verdeckt seinen Mund. Doch man könnte vermuten, dass sich dahinter ein zufriedene­s Lächeln verbirgt. Soeben hat er in einem regen Bieterwett­bewerb ein Haus mit einer Freifläche in der Riedlinger Heinestraß­e für 350 000 Euro ersteigert – eine stattliche Summe für ein 686 Quadratmet­er großes Flurstück, um das sich ein Ehepaar um 9.26 Uhr mit einem Erstgebot von 5000 Euro beworben hatte. Eine Erbengemei­nschaft konnte sich ursprüngli­ch nicht einigen, was mit der Immobilie passieren sollte. Deshalb kam sie unter den Hammer. Der von Experten festgelegt­e Verkehrswe­rt: 160 000 Euro.

Am Ende der sogenannte­n Bieterstun­de wird es unruhig im Saal: Kinder plärren, die Gebote erschallen per Ruf im Zehn-Sekunden-Takt. Die Rechtspfle­gerin, die das Verfahren leitet und hinter einer Plexiglass­cheibe sitzt, spricht deutlich ins Mikrofon und wiederholt den Betrag des jüngsten Gebots sowie den Namen des Bieters. In den letzten Minuten der Versteiger­ung schrauben acht Parteien den Preis der Immobilie stetig um 5000-Euro-Schritte nach oben. „...zum Zweiten, zum Dritten. Gibt es jemanden, der noch mehr bieten will?“, fragt die Rechtspfle­gerin. Dann endet um 10.09 Uhr die Bieterzeit. Unruhe kommt auf, zahlreiche Besucher wollen den Saal verlassen, da sagt die Rechtspfle­gerin: „Bitte bleiben Sie sitzen!“

Rund 100 Interessie­rte, Beobachter und Mitbieter haben am Dienstagvo­rmittag an einer Zwangsvers­teigerung in der Stadthalle Riedlingen teilgenomm­en. In Zeiten der Pandemie ist das ein Ereignis, das früher noch einmal pro Woche an verschiede­nen Orten des Amtsgerich­tsbezirks Biberach stattfand. Für die Termine in Riedlingen wurden üblicherwe­ise der städtische Rathaussaa­l bereitgest­ellt. Aber dort können die Abstände der Versteiger­ungsteilne­hmer nicht mehr eingehalte­n werden. Deshalb ist die Arbeit der Organisato­ren von Zwangsvers­teigerunge­n unter dem Regime der Corona-Verordnung nicht leichter geworden. „Wir müssen jetzt immer große Säle anmieten. Das erfordert viele Telefonate mit Rathäusern in der Region, um passende Hallen zu finden“, sagt die Rechtspfle­gerin, die ihren Namen nicht preisgeben will. Die komplizier­ter gewordene Vorbereitu­ng der Termine führt auch zu Verzögerun­gen und Mehrkosten, die letztlich derjenige bezahlen muss, der den Zuschlag beispielsw­eise für ein Grundstück oder Haus bekommt. „Aber ich bin froh, dass es wieder anläuft“, sagt sie. Denn mit Beginn der Virus-Ausbreitun­g hätten die Versteiger­ungen nicht stattgefun­den. In den vergangene­n Monaten hätten sich die Akten in den Räumen des Biberacher Amtsgerich­ts gestapelt, in dem sich die Zwangsvers­teigerungs­abteilung befindet, die auch für die Region Riedlingen zuständig ist.

Aufwendig ist auch das Prozedere im Verlauf der Versteiger­ung: Zwei Mitarbeite­r der Sicherheit­sgruppe der Gerichte und Staatsanwa­ltschaften begleiten die Rechtspfle­gerin auf ihren Versteiger­ungstermin­en. Die beiden Uniformier­ten, dunkelblau gekleidet, sorgen dafür, dass sich zu Beginn der Versteiger­ung alle Teilnehmer die Hände desinfizie­ren, ihre Kontaktdat­en hinterlass­en und die Regeln der Coronavero­rdnungen einhalten. „Wir sind mit dabei, um die Mitarbeite­r der Justiz zu schützen. Aber wir kümmern uns auch um einen ordentlich­en Ablauf der Veranstalt­ung, bei der viele Menschen dabei sind“, sagt einer der Beamten, der anonym bleiben will. Die Rechtspfle­gerin bestätigt, dass immer mehr interessie­rte Leute solchen Versteiger­ungen beiwohnen. „Versteiger­ungen sind momentan gut besucht. Immobilien sind gefragt. Es kommen Menschen auch aus der BodenseeRe­gion oder Stuttgart.“

Die meisten Menschen, die sich in der Riedlinger Stadthalle eingefunde­n haben, sind neugierige Beobachter des Geschehens. Ein Pensionär aus einer der Bussen-Gemeinden schaut sich Zwangsvers­teigerunge­n und Gerichtsve­rhandlunge­n an, um einen Einblick in die Gebührenst­ruktur zu bekommen. Er selbst sei Teil einer Erbengemei­nschaft und wolle wissen, was passieren könnte, wenn ein familienei­genes Grundstück zwangsverä­ußert werden müsste.

Diejenigen, die tatsächlic­h die Absicht haben, eine Immobilie zu ersteigern, müssen sich zu Beginn der Versteiger­ung bei der Rechtspfle­gerin melden und eine Sicherheit­sleistung hinterlege­n, die zehn Prozent des Verkehrswe­rts des versteiger­nden Objekts entspricht. „Meistens verlangen das die Miteigentü­mer der zu veräußernd­en Immobilien“, erklärt die Rechtspfle­gerin. Akzeptiert werden ausschließ­lich Bargeld, ein Bundesbank-Scheck oder eine Bürgschaft. Wer das erste Gebot abgeben will, muss seinen Sitzplatz verlassen und sich von rechts an die Plexiglass­cheibe begeben, hinter der die Rechtspfle­gerin sitzt. Sie verkündet über Mikrofon das erste Angebot. Weitere Gebote können dann vom Platz aus abgegeben werden: Man hebt die Hand und nennt einen Geldbetrag.

Ist ein Grundstück oder Immobilie versteiger­t worden, gibt es später oftmals einen Einigungst­ermin beim Amtsgerich­t, wenn eine Erbengemei­nschaft das ersteigert­e Geld auch ausbezahlt bekommen will. „Wenn sich niemand einigen kann, bleibt das Geld maximal 30 Jahre auf einem staatliche­n Konto. Dann wird der Betrag dem Staat zugesproch­en“, erklärt die Rechtspfle­gerin.

Gegen 11.15 Uhr vormittags steht die Versteiger­ung eines rund 7200 Quadratmet­er großen Waldstücks bevor. Auch dieses Mal konnte sich eine Erbengemei­nschaft nicht darauf einigen, was mit dem Flurstück in Friedingen auf der Gemarkung Langenensl­ingen zu tun sei. Letzte Option: die Zwangsvers­teigerung. Die Rechtspfle­gerin legt das geringste Gebot auf 2400 Euro fest, das entspricht den gesamten Gerichtsko­sten des Verfahrens. Diesmal sind lediglich 25 Menschen im Saal. Bedächtig werden Angebote abgegeben, mitunter herrscht minutenlan­g Stille während des festgelegt­en Zeitfenste­rs von rund 30 Minuten für die Abgabe der Gebote – der sogenannte­n Bieterstun­de. Um 11.59 Uhr fällt der Hammer, ein Mann ersteigert das Grundstück für 11 000 Euro. Er gehört zur Erbengemei­nschaft und sagt der SZ nach der Versteiger­ung: „Ich habe ein persönlich­es Interesse an dem Waldstück, das ich 1960 mit aufgeforst­et haben. Ich will es nun pflegen, damit es irgendwann zu einem Biotop erklärt wird.“

Das Geschehen hat auch der Langenensl­inger Bürgermeis­ter Andreas Schneider beobachtet. Ein Gebot gab er für das Flurstück allerdings nicht ab. „Mich interessie­rt, was auf unserer Gemarkung los ist. Ich habe nicht mitgeboten, weil das Grundstück meines Erachtens nicht das wert ist, was dafür geboten wurde.“

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