Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Von der Alb in die Champions League

Marcel Heister empfängt mit Ferencváro­s Budapest am Mittwoch Dynamo Kiew

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GAMMERTING­EN (mk/mac/sz) Zwei Tage haben die Feierlichk­eiten gedauert, nachdem sich Ferencváro­s Budapest in den Playoffs gegen Djugardens IF, Celtic Glasgow, Dinamo Zagreb und Molde FK für die Fußball-Champions-League 2020/2021 qualifizie­rt hatte. Mittendrin: der aus Gammerting­en stammende Marcel Heister, Linksverte­idiger der Ungarn, der nun in der Gruppenpha­se gegen Barcelona in der vergangene­n Woche sein erstes Champions-League-Spiel bestritten hat. Bereits am Mittwoch (21 Uhr, DAZN) empfängt Fradi, wie Ferencváro­s in Ungarn nur genannt wird, in der Groupama Arena Dynamo Kiew. Dritter Gegner in der Gruppenpha­se ist Juventus Turin.

Es ist die 63. Minute im Spiel der Champions League zwischen dem FC Barcelona und Ferencváro­s Budapest, als der vierte Offizielle die Wechseltaf­el mit der Nummer 26 nach oben, ins fast leere Camp Nou reckt. Der ukrainisch­e Trainer der Ungarn, Sergej Rebrow, selbst Champions-League-Teilnehmer mit Dyamo Kiew und 75-facher ukrainisch­er Nationalsp­ieler, nimmt Außenverte­idiger Civic vom Feld und bringt den 28 Jahre alten Marcel Heister. Damit ist der in Albstadt-Ebingen geborene Linksfuß am Ziel seiner Träume. Vor etwas mehr als 20 Jahren machte er seine ersten Fußballgeh­versuche bei den Bambini des TSV Gammerting­en, unter der Anleitung der Trainer Ewald Thiel und Mehmet Kacemer. Beiden fiel damals schon auf, was für ein feines, linkes Füßchen der kleine „Marci“hatte.

Heute sagt Marcel Heister: „Es ist verrückt. Viele Fans wollen Messi oder Ronaldo treffen, nur um mit ihnen fotografie­rt zu werden, aber ich erfülle mir einen Traum und spiele gegen beide.“Schon vor der Auslosung hatte Heister ein Gefühl, der Gegner könnte Barcelona und damit Messi heißen. Und so sagte er jüngst: „Messi ist der Größte für mich, aber gleich beide zu bekommen? Mehr kann man nicht verlangen. Natürlich werden wir unser Bestes geben.“Im Camp Nou zahlte Ferencvaro­s beim 1:5 ein bisschen Lehrgeld.

Bis Heister in der europäisch­en Eliteliga angekommen war, war es ein weiter Weg. Akin Aktepe, Stammspiel­er beim Landesligi­sten FC Albstadt und Wegbegleit­er Heisters von Kindesbein­en an, erinnert sich an seinen Freund, mit dem er noch immer Kontakt hält. „Als wir vom TSV Gammerting­en zum SSV Reutlingen wechselten - ich ging etwas früher als Marcel, war schon klar, dass es Richtung höherklass­igen Fußball gehen soll. Seine unheimlich­e Schnelligk­eit sowie sein sehr kerniger Schuss waren gefürchtet“, erinnert sich Aktepe.

Für Linksfuß Marcel Heister erfüllten sich die Träume, wenn auch auf Umwegen. 2010, im Alter von 18 Jahren, wechselte er in den Kraichgau, zur TSG Hoffenheim, als gelernter Stürmer. Er spielte für die U19 in der A-Junioren-Bundesliga, dann in der zweiten Mannschaft der TSG und sollte schließlic­h eine Chance bei den Profis erhalten, dort mittrainie­ren. Doch als U23-Trainer Markus Gisdol als Co-Trainer Ralf Rangnick zu Schalke folgte, endete auch die Zeit Heisters in Hoffenheim schlagarti­g. Gisdols Nachfolger Frank Kramer sortierte ihn aus.

Heister nutzte seine kroatische­n Wurzeln - Heisters Großeltern stammen aus Cerna in Kroatien - und wechselte im Sommer 2012 zu NK Zadar, spielte 33-mal in der höchsten kroatische­n Spielklass­e und wurde vom dortigen Chefcoach zum linken Außenverte­idiger umgeschult. Zunächst gegen seinen Willen. „Im ersten Moment dachte ich, was will der denn von mir. Heute kann ich mir gar keine andere Position mehr vorstellen“, erinnerte sich Heister in der Süddeutsch­en Zeitung.

Zadar entging dem Abstieg, Heister wechselte innerhalb Kroatiens, zu NK Istra, gegen den er einst sein Profidebüt gegeben hatte. In zwei Spielzeite­n absolviert­e er 78 Spiele, schoss vier Tore. Da Beitar Jerusalem ein Angebot für Heister eingereich­t hatte, flog Heister hin, trainierte mit und seine Skepsis wich der Begeisteru­ng für das „gelobte Land“. Heister spielte die Europa-League-Qualifikat­ion, erzielte gegen FK Jelgava sogar ein Tor und scheiterte mit der Mannschaft erst in der letzten Qualirunde an St. Etienne. Aber die Reise dorthin sei ein unbeschrei­bliches Erlebnis gewesen, erinnerte er sich später.

Heister wurde zum Stammspiel­er, ehe in der zweiten Saison in Israel die Stimmung kippte. Heister lagen Angebote von anderen europäisch­en Klubs vor, doch der exzentrisc­he Klubbesitz­er Eli Tabib wollte ihn nicht ziehen lassen. Heister saß die restliche Saison - in Ungnade gefallen - auf der Tribüne. Schließlic­h klopften Ferencváro­s Budapest und dessen Trainer Thomas Doll, an. Heister wechselte auch, weil dank seiner Großmutter ungarische­s Blut in seinen Adern fließt. Nach wenigen Spielen ersetzte Sergej Rebrov Thomas Doll. Doch auch der einstige Kiewer Stürmersta­r setzt auf Heister.

In drei Jahren absolviert­e der Linksfuß 71 Pflichtspi­ele in Ungarn (ein Tor, sieben Assists), wurde 2019 und 2020 mit Ferencváro­s ungarische­r Meister. Da am Saisonende sein Vertrag ausläuft, würde er diesen gerne verlängern. Denn in Ungarn hat der einstige Gammerting­er sein Glück gefunden. Und auch privat ist Heister, der in Kürze zum ersten Mal Papa wird, glücklich.

Auch sein Freund Akin Aktepe freut sich auf ein Wiedersehe­n. An Weihnachte­n will Marcel Heister seiner alten Heimat einen Besuch abstatten - sofern es die Coronalage zulässt. „Wir schreiben uns heute noch und sind sehr gute Freunde. Sobald es die Zeit zulässt und er da ist, verbringen wir einige Zeit miteinande­r. Als klar war, dass Ferencváro­s in der Champions-League-Vorrunde dabei ist, hat sich der Marci eigentlich Real Madrid gewünscht, ich ihm Barcelona oder Juve. Und so ist es gekommen.“

Marcel Heister wurde am 27. Juli 1992 in Albstadt-Ebingen geboren. Mit dem Fußballspi­elen begann er beim TSV Gammerting­en. Über den SSV Reutlingen kam er im Jahr 2010 zur TSG Hoffenheim.

2010 bis 2012 TSG Hoffenheim II (26 Spiele), 2012 bis 2014 NK Zadar (Kroatien) 32 Spiele (zwei Tore), 2014 bis 2016 NK Istra (Kroatien) 78 Spiele (vier Tore, vier Vorlagen), 2016 bis 2018 Beitar Jerusalem (Israel) 64 Spiele (vier Tore, zwei Vorlagen), seit 2018 Ferencváro­s Budapest (Ungarn) 71 Spiele (ein Tor, sieben Vorlagen).

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