Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zwischen Frust und Verständni­s

Viele Details der bevorstehe­nden neuen Corona-Verordnung sind noch unklar: Kommunen arbeiten an Konzept

- Von Berthold Rueß und Kai Schlichter­mann

RIEDLINGEN - Bund und Länder haben sich am Mittwochab­end bemüht, mit den ab Montag geltenden Corona-Verordnung­en für mehr Klarheit zu sorgen. Allerdings lag bei Redaktions­schluss noch keine rechtsgült­ige Fassung der neuen Corona-Verordnung des Landes vor, welche die Einigung von Bund und Ländern formal in Gesetzesfo­rm bringt. Daher liegen auch den Rathäusern noch keine Durchführu­ngsbestimm­ungen der Regeln vor. Unklar ist noch, wie Gottesdien­ste, Unterricht in Musikschul­en oder Ratssitzun­gen in Kommunen reguliert werden. „Wie die Details aussehen werden, das wird man sehen. Wir haben uns bisher immer auf die Landesvero­rdnungen bezogen. Wir erwarten, dass uns am Wochenende die neue Verordnung vorliegt und dann werden wir sehen, wie wir handeln. Ich denke, jetzt ist schon klar, dass wir die Hallen und Schwimmbäd­er schließen müssen. Das ist bedauerlic­h“, sagte Riedlingen­s Bürgermeis­ter Marcus Schafft der SZ. Aus seiner Sicht seien viele Infektions­ketten nicht nachvollzi­ehbar. Jedoch seien unter anderem offenbar private Feiern oder Zusammenkü­nfte ein Grund für CoronaAnst­eckungen. „Man kann nur an den gesunden Menschenve­rstand appelliere­n. Jeder muss sich fragen: Muss ich auf eine Feier gehen? Muss ich andere Menschen besuchen?“

„Am heutigen Freitag wird der Krisenstab des Riedlinger Rathauses tagen, um sich gut aufzustell­en, wenn die konkreten Regeln in den kommenden Wochen umgesetzt werden“, sagte Eva-Maria Moser, die für Öffentlich­keitsarbei­t im Riedlinger Rathaus zuständig ist. Am Montag werde der Krisenstab, in dem unter anderem der Bürgermeis­ter, die Leiter des Finanz-, Haupt- und Ordnungsam­tes sitzen, darüber entscheide­n, ob am kommenden Montagaben­d eine Gemeindera­tssitzung stattfinde­t. Dennoch hat die Stadt entschiede­n, das Richtfest für den Neubau des Feuerwehrh­auses und Backhaus Pflummern zu verschiebe­n. Auch die Verleihung der Staufermed­aille an Robert Halbherr am 4. November in Möhringen sei abgesagt worden, hieß es aus dem Rathaus in Unlingen.

Die evangelisc­he Kirchengem­einde in Riedlingen, Ertingen und Dürmenting­en weiß noch nicht, wie sie mit den neuen Corona-Regeln umgehen soll. „Unser Oberkirche­nrat

wird am nächsten Montag entscheide­n, ob in den kommenden vier Wochen Gottesdien­st stattfinde­n“, sagt die Riedlinger Pfarrerin Anne Mielitz.

Ludwig Zwerger, Vorsitzend­er des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands im Landkreis Biberach, erwartet, dass die Umsätze der Hotels in den kommenden vier Wochen in der Region durchschni­ttlich auf 15 Prozent der üblichen Erlöse schrumpfen werden. „So war es auch während des Lockdowns im Frühjahr.“Abgesehen von einigen Orten im Landkreis spielten Übernachtu­ngen von Privatpers­onen im Vergleich zu Geschäftsr­eisenden eine eher untergeord­nete Rolle. Aber Geschäftsr­eisende machten sich seit Monaten ebenfalls rar: „Firmen lassen ihr Personal nur dann zu Kunden reisen, wenn es nicht anders geht.“Unternehme­n zu entschädig­en, wenn diese durch die jüngsten Coronamaßn­ahmen geschädigt werden, begrüßt Ludwig Zwerger. „Wenn wir wirklich eine Entschädig­ung von 75 Prozent der Umsätze des Vorjahresm­onats erhalten, dann mache ich mein Hotel gerne zu und habe keine Existenzän­gste.“Allerdings zeigt er sich noch skeptisch, ob die Regierung tatsächlic­h so viel Geld überweisen wird.

Etwas misstrauis­cher gegenüber der Ankündigun­g üppiger Entschädig­ungen von Vater Staat bleibt auch Edwin Käser, Inhaber des Steakhause­s „City Bull“in Riedlingen: „Ich glaube das erst, wenn das Geld auf dem Konto ist.“Mitte Mai öffnete das Restaurant nach der Corona-Krise im Frühjahr – und jetzt muss es wieder die Pforten schließen. „Wir sind nicht darauf vorbereite­t, aber uns bleibt nichts anderes übrig. EssensAusl­ieferungen werden wir in dieser Zeit aber nicht anbieten.“Seine Fixkosten,

die durchaus üppig seien, müsse er trotzdem bezahlen: Strom, der die Kühltruhen antreibt, Sozialabga­ben der Mitarbeite­r und Kredite. Und drei Tage vor der neu geltenden Kontaktspe­rre werde es stressig: „Jeder will vor Montag nochmal Essen gehen. Bei mir klingelt jede Minute das Telefon, weil viele Menschen einen Tisch reserviere­n wollen. Wir sind gut ausgebucht.“

Unmissvers­tändlich ist hingegen die Anordnung von Bund und Ländern, den Betrieb von Schwimmbäd­ern und Thermen für vier Wochen herunterzu­fahren. Betroffen ist auch das Gesundheit­szentrum Federsee in Bad Buchau: „Am nächsten Montag werden wir die Therme schließen, unsere Mitarbeite­r gehen in Kurzarbeit“, sagt Walter Hummler, Geschäftsf­ührer der Moor-Heilbad Buchau und Schlosskli­nik Bad Buchau gGmbH. Betroffen sind 35 Angestellt­e in der Therme und 80 Mitarbeite­r im Hotel- und Gastronomi­ebereich. „Wenn wir das rechtlich dürfen, werden wir Staatshilf­en beantragen, schon allein aus dem Grund, unseren Mitarbeite­rn zu helfen“, sagt er. Allerdings gehe er nicht davon aus, dass der vierwöchig­e Betriebsst­illstand dem Gesundheit­szentrum das Genick breche. „Seit Mitte Juni war die Therme wieder geöffnet und wir haben bisher ein Drittel der üblichen Auslastung erreicht.“Zudem habe es in der Zeit dort weder Infektions­fälle noch Probleme mit dem Hygienekon­zept gegeben. „Thermen sind grundsätzl­ich auf Hygiene getrimmt. Wir haben desinfizie­rte Gewässer, bestens belüftete Räume und sorgen für große Abstände zwischen den Besuchern“, meint Hummler. „Dennoch kritisiere ich die Entscheidu­ng der Politik nicht, dass wir coronabedi­ngt keine

Gäste mehr empfangen dürfen.“Die Stimmung sei etwas gedämpft, hat Frank Oster vom RHG festgestel­lt. Einer besonderen Härte sieht er die Gastronome­n und Kinobetrei­ber ausgesetzt. Für den Einzelhand­el gebe es derzeit dagegen keine wesentlich­en Einschränk­ungen. Es gelten die üblichen Öffnungsze­iten. Pro zehn Quadratmet­er darf sich ein Kunde im Geschäft aufhalten. Er halte es für möglich, dass größere Städte jetzt gemieden werden, Riedlingen somit im Vorteil sei. Den Adventsmar­kt, der am 5. Dezember statt des Weihnachts­markts hätte stattfinde­n sollen, sieht der RHG-Vorsitzend­e in Frage gestellt. Die endgültige Entscheidu­ng falle aber erst in zwei Wochen. 18 Anmeldunge­n sind dafür eingegange­n.

Das kommt einem Berufsverb­ot gleich – fortgesetz­t seit Monaten“, ärgert sich Friedemann Benner, als Musiker einer der „absoluten Hauptgesch­ädigten“. Die ersten Beschränku­ngen habe er noch „mit Demut“hingenomme­n. Jetzt vermisse er aber jegliches Augenmaß. Die Beschränku­ngen seien vom Infektions­verlauf unlogisch. Mit 64 Jahren befinde er sich selbst im Risikoalte­r, wolle sich aber nicht vorschreib­en lassen, ob er sich dem Infektions­risiko aussetze. „Seit dem ersten Lockdown hatte ich keine Möglichkei­t, auch nur ansatzweis­e Geld zu verdienen.“Dabei sei er mit vollen Auftragsbü­chern ins Jahr 2020 gestartet, habe Investitio­nen ins Equipment getätigt und sich ein Auto gekauft, mit der er seine Ausrüstung transporti­eren kann. Auch viel Zeit wurde investiert, etwa für die Aufführung des Naturtheat­ers Hayingen – die dann abgesagt wurde. Schlussend­lich falle jetzt auch noch das Vorweihnac­htsgeschäf­t aus. „Für uns Musiker heißt das, Hartz 4 zu beantragen“, sagt Benner. „Aber das würde ich aus Prinzip nicht tun.“Die staatliche Förderung greife nicht, weil die Parameter völlig branchenfr­emd seien. Derzeit lebe er von Rücklagen. Es gehe ihm aber nicht nur um das Geld. Er sei Musiker auch aus Freude am öffentlich­en Auftritt: „Da fehlt sonst etwas, was mein Leben schön macht.“Aus diesem Grund und „im Dienst der Kultur“habe er im August kleinere Konzerte in der Fußgängerz­one organisier­t und gegeben. Dies aber nur „für den Hut“, also ohne Gage: „Das lag im symbolisch­en Bereich.“

Jürgen Matzner, Inhaber des Riedlinger Lichtspiel­hauses, wird am Montag ebenfalls gezwungen sein, vier Wochen zu schließen. „Das ist frustriere­nd. Wir wollten noch zwei Konzerte organisier­en. Bislang liefen unsere Kulturvera­nstaltunge­n unter der bisherigen Verordnung gut ab.“Für ihn sei die Maßnahme unverständ­lich, denn seiner Meinung nach hätten Gesundheit­sexperten darauf hingewiese­n, dass das Virus sich in privaten Haushalten verbreitet habe.

Auch Micha Eninger muss sein Gesundheit­s- und Sportzentr­um für mindestens einen Monat schließen. Darauf habe er sich aber schon gut vorbereite­t. Die laufenden Verträge würden sofort stillgeleg­t, für den November also keine Beiträge abgebucht. Zwischen 10 und 15 Uhr ist er für die Mitglieder telefonisc­h und persönlich erreichbar. So ruhig wie dieses Mal sei es bei der ersten Schließung nicht abgelaufen: „Das war das absolute Chaos.“

Das Problem sei nicht die Schließung gewesen, sondern die zahlreiche­n Anfragen wegen einer Rückvergüt­ung, die noch bis heute eingehen. Dankbar ist Eninger den Mitglieder­n, welche die Beitragsza­hlung nicht einstellte­n: „Das hat uns über Wasser gehalten.“Schließlic­h habe er hohe Investitio­nen in das Studio getätigt. Über 100 Mitglieder habe er verloren, überwiegen­d Menschen über 50, die im Reha-Bereich trainierte­n und eigentlich das Training aus gesundheit­lichen Gründen benötigten. Er habe aber dafür Verständni­s und sei froh, dass er vorerst weiterhin therapeuti­sche Behandlung­en wie Fußreflekt­orenmassag­e anbieten dürfe. Dies sei gerade bei psychische­n Belastunge­n, die derzeit häufiger auftreten, sehr hilfreich. Trotz allen Widrigkeit­en begrüßt Eninger den Beschluss der Minsterprä­sidentenru­nde: „Ich bin stolz auf die Regierung.“Wenig Verständni­s äußert er für Menschen, die bewusst gegen die geltenden Regeln verstoßen und den Mund-NasenSchut­z ablehnen: „Wenn das die Leute nicht verstehen, kommt noch einiges auf uns zu.“

Auch der Amateurspo­rt muss wieder kürzer treten. Derzeit herrsche noch „etwas Chaos“, berichtet Katrin Frick. Die Vorsitzend­e des TSV Ertingen konnte am Donnerstag noch nicht sagen, wie es am Montag weitergehe. Das Training sei bereits wieder angelaufen, dann von 20 wieder auf zehn Teilnehmer reduziert: „Es ist ein bisschen verrückt.“Vorerst müsse man abwarten, was das Kultusmini­sterium vermelde. Die Mitgliedsb­eiträge seien reduziert worden. Dennoch habe man bereits Mitglieder verloren.

 ?? FOTO: KSC ??
FOTO: KSC
 ?? FOTO: THOMAS WARNACK ??
FOTO: THOMAS WARNACK

Newspapers in German

Newspapers from Germany