Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
US-Wahl: Gnadenloser Endspurt
Wahlkampfexperte und Ex-Urspringschüler Julius van de Laar gibt Einblick in das Spektakel
EHINGEN/URSPRING - Selbst für das Land der Superlative ist diese Wahl kaum zu steigern, die ganze Welt blickt auf das Ereignis: Entweder wählt die USA den aktuellen Präsidenten ab und Gegenkandidat Joe Biden ins Weiße Haus – oder die Amerikaner werden weitere vier Jahren von Donald Trump regiert. Wer das Rennen macht, wird bis zum Schluss offen bleiben. Auch für Julius van de Laar ist klar: „Dieses Mal ist es schwer zu sagen, wer wann wen wählen wird.“Der ehemalige Urspringschüler van de Laar weiß, wovon er spricht: Als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama 2008 und 2012, renommierter US-Wahlkampfexperte und Strategieberater, war er in den vergangen Wochen und Monaten einer der gefragtesten Ansprechpartner zu dieser Thematik.
Die Expertise des 38-jährigen Heidelbergers van de Laar wird gerne zu Rate gezogen, so kommentiert und analysiert er regelmäßig aktuelle politische Geschehnisse in zahllosen Interviews und TV-Auftritten, etwa bei Markus Lanz in der vorigen Woche, in der ARD, im ZDF, bei n-tv und etlichen mehr. In seiner Brust schlagen zwei Herzen: die Liebe zum Basketball, entfacht in Urspring – als auch die große Politik. Zu Ersterem später mehr. Denn der Sport rückt an diesem für die USA und die restliche Welt so wichtigen Tag erst einmal in den Hintergrund.
Die Wahl ist in vielerlei Hinsicht eine besondere. „Es hat noch nie eine Wahl unter Pandemie-Bedingungen stattgefunden“, sagt der Experte. Entsprechend anders sei der Wahlkampf im Vergleich zu den vorherigen Wahlen gewesen. „Jeder Kandidat möchte im Wahlkampf überzeugen, die Emotionen sind mit das wichtigste Instrument. Beide setzen darauf. Es wird ein extremer Kontrast aufgebaut“, ist sich van de Laar sicher. Um diesen krassen Unterschied zu verdeutlichen, erklärt er: „Es stehen sich das Team Wirtschaft und das Team Gesundheit gegenüber. Trump sagt, es ist wichtig, die Wirtschaft aufzumachen, Biden sagt, es ist wichtig, verantwortungsvoll zu handeln.“Van de Laar wird noch konkreter: „Der eine [Trump] ignoriert die Ratschläge der eigenen Administration, trägt keine Maske, hält den Abstand nicht ein, der andere [Biden] hält sich dran.“
Für deutsche Verhältnisse kaum vorstellbar sind dazu die „bombastischen Bilder, die Wahlkämpfer produzieren“. Ein wie im HollywoodFilm mit dem Hubschrauber eintreffender Präsident zum Wahlkampftermin
ist ein Beispiel dafür. Gerade im Endspurt des US-Wahlkampfs wird gnadenlos um jede Stimme gefochten. Die Wahlbeteiligung wird vermutlich auf Rekordniveau liegen. „Wahrscheinlich wird eine RekordWahlbeteiligung erreicht mit bis zu 150, 160 Millionen Wählern [Anm.d.R.: 2016 waren es 139 Millionen, die ihre Stimme abgegeben haben]. Die Mobilisierung ist extrem hoch, es werden vermutlich zehn, 20 Millionen Amerikaner mehr wählen gehen“, so der 38-Jährige. Nach einer alten Weisheit bedeutet das: „Es heißt normalerweise: Geht die Wahlbeteiligung nach oben, profitieren die Demokraten.“
Durch das komplizierte Wahlsystem der USA ist die Wahl völlig offen, bis zum Schluss. „Gerade für die Schlussmobilisierung von Wählern gilt, es gibt keine Mobilisierung ohne Polarisierung“, erklärt er. Soll heißen: Die Emotionen kochen bis zum Schluss hoch. Ob wieder Trump oder Biden: „Es spielen viele Faktoren in die Wahl, eine Prognose kommt dem Blick in die Glaskugel gleich.“
Dazu nennt er ein Beispiel: „Interessant ist, dass momentan gerade in den Swing States die Infektionszahlen steigen. Was wäre demnach, wenn es am Wahltag, einem normalen Arbeitstag, beispielsweise schneit und die Pandemie noch einmal richtig reinhaut. Gehen die Menschen dann wirklich wählen?“Umfragewerte seien bis zum Ende hin nur eine Momentaufnahme, entscheidend ist der Ausgang in den Swing States. Und mit diesen kennt er sich aus. Schließlich war er im US-Wahlkampf 2012 hauptamtlich als „Regional GOTV Director“Leiter im Bereich Wählermobilisierung für Barack Obama – im wahlentscheidenden Schlüsselstaat Ohio.
In die USA kam van de Laar schon einige Jahre zuvor. Hier kommt der Basketball wieder ins Spiel. Nach seinem Abitur an der Urspringschule und der Ausbildung in der Basketball Academy 2003 ergatterte sich der Heidelberger eines der begehrten Stipendien,
spielte an der Furman University in South Carolina, hatte Chancen in die Top-Liga NBA zu kommen. Doch Verletzungspech – auf einen Fußbruch folgte ein Kreuzbandriss – zerstörte seinen Traum vom Profisport. Nach seinem Abitur geriet Urspring zwar für ein Jahrzehnt aus seinem Blick, nicht aber aus seinem Herzen. Bis heute verspürt van de Laar eine tiefe Zuneigung an den besonderen Ort. Auch zum aktuellen Schulleiter Rainer Wetzler pflegt er eine „richtig gute Beziehung“. So gibt es jährlich eine Exkursion der Urspringer Politik-Interessierten Schüler nach Berlin. Auch mit einem Zirkel an Alt-Urspringern, die mittlerweile in Berlin leben, gebe es regelmäßige Treffen.
Letzten Endes sollte es für ihn nicht umsonst gewesen sein, damals in die USA gezogen zu sein. Schließlich verfolgte er 2004 im TV eine mitreißende Rede eines bis dahin unbekannte Senators – mit dem Namen Barack Obama.