Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Fünftklassig erstklassig
Marcel Brandt hat die Corona-Eishockeysaison per Spagat – und deshalb stark – begonnen
KREFELD - Sebastian Dünkel wird genau hingeschaut haben bei den TVÜbertragungen des 31. DeutschlandCups. Sebastian Dünkel ist Eishockeytorhüter – EHC Bayreuth, Landesliga Bayern, Gruppe 1. Fünfthöchste Spielklasse. Die pausiert im November lockdownbedingt, also hatte der 20-Jährige Zeit. Was er sah, dürfte Sebastian Dünkel getröstet haben. Der Mann, der ihn und seinen Stellvertreter Lukas Haack in den Saisonpartien eins und drei dreimal bezwungen hatte – das erste Mal nach nicht einmal einer Minute – gehörte auch im Nationaldress zu den Aktivposten: Marcel Brandt hat bei seinen Länderspielen Nummer 14 und 15 Akzente gesetzt. Zwei Tore zudem erzielt, einen Treffer vorbereitet. Eine feine Ausbeute für einen Verteidiger, der im Ligenalltag des Oktober 2020 für die EV Dingolfing Isar Rats die Schlittschuhe schnürte. Einen Fünftligisten. Marcel Brandts Herzensclub.
Die Statistiken der Deutschen Eishockey Liga (DEL) führen den 28-Jährigen mit aktuell 357 Einsätzen, 34 Toren und 79 Assists. In den „Eishockey News“-Annalen der unvollendeten Corona-Saison 2019/20 liest man: „Brandt hat seine Fehlerquote in der Defensive minimiert, glänzt immer wieder als Antreiber von hinten heraus, ist läuferisch bärenstark und somit für die Mannschaft eminent wertvoll.“Die Mannschaft, das sind die Straubing Tigers, Überraschungshauptrundendritter und für die Playoffs gar nicht mehr so geheimer Geheimtipp. Dann kam das Virus – und mit ihm der Saisonabbruch. „Da“, Marcel Brandt erinnert sich ungern, „waren ganz viel Wut und Traurigkeit dabei.“Zweifel keine. Und doch erwischte das Aus Marcel Brandt im dümmsten Moment. Er hatte einen Lauf, die Tigers hatten einen Lauf.
Es gab auch andere Phasen in Marcel Brandts Karriere. Der Vierjährige war vom Papa erstmals aufs Eis mitgenommen worden („Wir hatten einen riesigen Weiher in der Nähe“), bald ging es für ihn, in Dingolfing geboren, in Regensburg und Landshut zur Sache; im Herbst 2012 debütierte der längst Oberliga-Bewährte in der DEL. Für Straubing. Drei Spielzeiten später der Wechsel nach Düsseldorf, wo Trainer Christof Kreutzer den gelernten Angreifer verteidigen ließ. Nachfolger Mike Pellegrims aber beorderte Marcel Brandt zurück in die Offensive, der wehrte sich, man trennte sich. Vielleicht keine ruhm-, ganz sicher aber eine hilfreiche Episode. Fortan war Muskelpaket Brandt (86 Kilogramm Gewicht auf 1,75 Meter Größe) sich seiner Bestimmung bewusst: definitiv Defensivkraft.
„Verteidiger liegt mir einfach mehr.“Verteidiger mit Stürmervergangenheit sind Verteidiger mit Mehrwissen: Sie kennen Offensivlaufwege, antizipieren leichter, spielen die Scheibe folglich eher im idealen denn im heiklen Augenblick. Solche Vielseitigkeit macht interessant: Als Marcel Brandt nach Straubing zurückkehrte, war er Nationalspieler.
Solche Vielseitigkeit in der Landesliga? Möglich/nötig wurde das durch Corona. Die DEL verharrt – noch – im Wartestand, Marcel Brandt suchte Spielpraxis. Der Rest war Netzwerk. Isar-Rats-Trainer Billy Trew ist eine Straubinger Institution, Tigers-Sportdirektor Jason Dunham war auf dem Eis einst sein kongenialer Zulieferer. Marcel Brandt schätzt er sehr, sein Körperspiel, seine Schnelligkeit, die Fähigkeit, einen guten ersten Pass aus der eigenen Zone anzubringen. Also wurde man sich einig. Sehr zur Freude des Spielers, dessen Frau Tanja Ende November das zweite gemeinsame Kind zur Welt bringen wird. Da (leih)arbeitet Mann lieber in der Nähe als weit weg – zumal wenn der Gastauftritt in der „Ersten“des Heimatvereins „ein Kindheitstraum“für ihn ist.
Der Kindheitstraum des Marcel Brandt dauerte drei Landesliga-Begegnungen lang: 13:4 gegen den EHC Bayreuth, 6:5 n. V. beim EHC Bayreuth, 7:4 gegen den ESC Hassfurt. Seither ruht der Puck zwischen Pegnitz und Trostberg; die drei Tore und vier Vorlagen der Dingolfinger Nummer 92 dürften wohl für die Isar-RatsEwigkeit stehenbleiben, falls die DEL, wie erhofft, in der zweiten Dezemberhälfte den Spielbetrieb aufnimmt.
Zehren kann Marcel Brandt vom Spaß, den er in Dingolfing hatte, vom prima Spirit in seinem Team auf Zeit („Die Jungs sind ja alle fast in meinem Alter, ich hatte noch gute Kontakte zu ihnen – sie haben mich toll aufgenommen“) und von jedem Wettkampf, den er mehr absolviert hat als das Gros seiner DEL-Kollegen. Beim Deutschland-Cup zumindest präsentierte sich Marcel Brandt wenig eingerostet.
Den Pflichterfolg gegen das Top Team Peking gestaltete er zur persönlichen Kür, gegen robust-sperrige Letten fiel er mit couragiertem Dagegenhalten auf. Nicht allein damit ... Bundestrainer Toni Söderholm wird im heimischen Quarantäne-Quartier viel Freude und einiges zu notieren gehabt haben. Der Marcel Brandt, dem er vor Jahresfrist ein internationales Comeback ermöglicht hatte, hat nochmals zugelegt, ist bereit für das Kommende. In Straubing, wo er noch einen Vertrag bis 2023 besitzt. In der deutschen Auswahl. Ein Ziel, fest anvisiert für Krefeld, ist jedenfalls erreicht: „So spielen, dass ich mich für weitere Einsätze auf Topniveau empfehle, und den Trainern zeigen, dass sie auf mich setzen können.“
Sebastian Dünkel sollte sich vom 21. Mai 2021 an mehrere Fernsehabende blocken. Dann ist Eishockey-WM in Riga, Bestentreffen. Womöglich mit dem Mann, der seine Saison gegen ihn begonnen hat. In Liga fünf.