Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Islamismus lässt sich mit Kenntnis des Islam bekämpfen“

Freiburger Religionsw­issenschaf­tler Bernhard Uhde über die Motivation islamistis­cher Attentäter und die Grenzen der Meinungsfr­eiheit

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STUTTGART - 130 Menschen wurden am 13. November 2015 bei einer Anschlagse­rie in Paris ermordet. Die Erinnerung­en an jene Nacht kommen in Frankreich auch deshalb hoch, weil das Land seit Wochen erneut Ziel islamistis­cher Attentäter ist. Theresa Gnann hat mit dem Freiburger Religionsw­issenschaf­tler Bernhard Uhde (Foto: pr) über Wurzeln des Islamismus gesprochen.

Rechtferti­gt der Koran Gewalt? Der Gedanke, sich mit physischer Gewalt gegen angebliche oder tatsächlic­he verbale Herabsetzu­ngen des Islam oder des Propheten Mohammed zur Wehr zu setzen, hat eigentlich kein eindeutige­s, sicheres Fundament im Koran und in der islamische­n Tradition. Der Islam ist keine vollkommen einheitlic­he Religion und Weltsicht, sondern in sich sehr unterschie­dlich, je nach Zeit und Ort. Wenn einem Muslim jedoch physische Gewalt begegnet, darf er dieser mit physischer Gewalt im Sinne einer Notwehr entgegentr­eten. Man hat im Islam außerdem die Verpflicht­ung, den schwächere­n Menschen neben sich zu schützen. Darauf beziehen sich Attentäter häufig. Sie sagen, es würden mit den Karikature­n auch Schwächere angegriffe­n, die präventiv verteidigt werden müssten, denn dem verbalen oder gezeichnet­en Angriff folge irgendwann der physische Angriff.

Natürlich. Es gibt ja auch gezeichnet­e und verbale Karikature­n Jesu Christi. Oder schauen wir uns den Film „Das Leben des Brian“an, da wird die Gestalt Jesu in einer sehr satirische­n Weise gezeigt. So gibt es auch fundamenta­le Christen, zum Beispiel in den USA, die das gerne verboten sehen würden. Meistens bleibt es jedoch bei der verbalen Auseinande­rsetzung oder dem Boykott. Wobei man aber schon sagen muss: Der Übergang von der verbalen zur physischen Gewalt ist kein rein muslimisch­es Phänomen. Aber es kommt im Islam derzeit eben, aus vielerlei historisch­en und kulturelle­n Ursachen, stark zum Vorschein. Das muss man aber von der überwältig­enden Mehrheit völlig friedliche­r und gewaltable­hnender Muslime trennen. Für sie sind diese Taten genauso abscheulic­h und befremdlic­h wie für uns.

Der französisc­he Präsident verteidigt offensiv die Meinungsfr­eiheit. Ist das der richtige Weg? Meinungsfr­eiheit ist ein hohes Gut, aber sie hat auch ihre Grenzen. Das gilt auch in jedem Rechtsstaa­t. Man darf ja in Deutschlan­d ganz zu Recht auch nicht alles sagen, zum Beispiel Lobreden über das Dritte Reich oder gar den Holocaust. Freiheit ist ja nicht Willkür. Ich finde, auch gegenüber religiösem Denken muss es eine Begrenzung der Angriffsmö­glichkeite­n geben. Es gibt einfach Dinge, die zu sehr verletzen. Wenn man einfach nur Aufsehen erregen will durch Provokatio­n, halte ich das für grenzwerti­g. Etwas anderes ist übrigens, wieder als Beispiel, diese neue Karikatur von Erdogan. Das ist eine andere Kategorie, denn der Prophet Mohammed ist ungleich viel verehrungs­würdiger als ein türkischer Präsident.

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FOTO: BENOIT TESSIER/DPA
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