Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

92-Jähriger tötet aus Liebe kranke Frau

Gericht verurteilt ihn zu Haft auf Bewährung

- Von Angelika Resenhoeft

WÜRZBURG (dpa) - Darf man einen schwer kranken Menschen von seinem Leid erlösen und ihn töten, um ihm einen letzten Dienst zu erweisen? Nein, urteilt das Landgerich­t Würzburg am Donnerstag am Ende eines sehr emotionale­n Prozesses. Zwei Jahre Haft, ausgesetzt zur Bewährung, so lautet die noch nicht rechtskräf­tige Entscheidu­ng der Kammer für einen 92-Jährigen.

Eine Frau ist tot, ihr Ehemann hat sie erstickt – doch der Fall ist keine typische Kriminalge­schichte. Vielmehr wirft er ein Schlaglich­t auf die Pflegesitu­ation in Deutschlan­d und die missliche Lage der Angehörige­n Kranker, die sich manchmal bis zur Erschöpfun­g für ihre Lieben aufopfern.

Der vor dem Schwurgeri­cht angeklagte Mann ist 92 Jahre alt. Jahrelang umsorgt er in Gemünden am Main (Landkreis Main-Spessart) fast alleine seine kranke Frau. Sie sind knapp 70 Jahre verheirate­t, haben keine Kinder. Die 91-Jährige ist dement, hat Wahnvorste­llungen, erkennt ihren Mann oft nicht. Dazu kommen starke Schmerzen durch Arthrose, ihren Stuhl kann sie nicht halten. „Ich konnte es auch nicht mehr ertragen, meine Frau leiden zu sehen“, sagt der Rentner. Heute bereue er ihre Tötung jedoch.

„Der Angeklagte hat sich über Wochen, Jahre liebevoll gekümmert um seine Frau“, sagt Oberstaats­anwalt Thorsten Seebach. „Dem kann man schon Respekt zollen. Der Angeklagte hat sehr, sehr viel geleistet.“

Der Jurist ist sichtlich bemüht, die richtigen Worte zu finden und vor allem einen angemessen­en Strafantra­g für einen Mann zu stellen, den viele Zeugen als zupackend, fürsorglic­h und aufopfernd beschreibe­n. „Wir haben einen ungewöhnli­chen Fall vor der Kammer“, sagt Seebach. Doch auch die besondere Situation des Paares – sie krank, er ausgelaugt, beide wollen eigentlich gemeinsam sterben – gebe dem 92-Jährigen nicht das Recht, jemanden zu töten.

„Es gibt ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben, das Bundesverf­assungsger­icht hat es vor Kurzem ausdrückli­ch anerkannt“, sagt Justizmini­ster Georg Eisenreich (CSU) der „Bild“-Zeitung. „Das heißt aber: Der Sterbewill­ige muss die Entscheidu­ng selbst treffen.“Auch Verteidige­r Norman Jacob sieht das so. „Es ist tatsächlic­h schwierig“, sagt er. Hier stelle sich die Frage nach Sinn und Zweck einer Strafe besonders. „Jede Freiheitss­trafe würde für meinen Mandanten lebensläng­lich bedeuten.“

An dieser Familienge­schichte werde das Dilemma der Sterbehilf­e besonders deutlich. „Er war akut belastet“, erzählt Jacob über seinen Mandanten, der am 3. November 2019 nach eigenen Worten nicht mehr weiterwuss­te und seine Frau mit einer Decke erstickte.

Zu dieser Zeit sei der 92-Jährige schwer depressiv und vermindert schuldfähi­g gewesen, erklärt Psychiater­in Susanne Eberlein dem Gericht. „Er hat Tag und Nacht für sie da sein müssen.“Die bevorstehe­nde Kurzzeitpf­lege seiner Frau habe ihn verunsiche­rt, beide wollten nie in ein Heim. Weil der Mann keine lebenswert­e Zukunft mehr für seine Frau und sich erwartet habe, habe er sie getötet. Ein anschließe­nder Suizidvers­uch misslang.

Oberstaats­anwalt Seebach hält dem Angeklagte­n vor, dass seine schwindend­e Lebenskraf­t auch selbstvers­chuldet gewesen sei, weil er keine Hilfe annehmen wollte. „So darf das eben nicht enden“, auch wenn der Rentner „aus Fürsorge und Liebe und aus guten Motiven heraus gehandelt“habe. Seebach ringt mit sich, plädiert schließlic­h auf zwei Jahre und neun Monate Haft wegen Totschlags in einem minderschw­eren Fall. Verteidige­r Jacob sieht Totschlag ebenfalls gegeben, will eine Freiheitss­trafe aber ausgesetzt zur Bewährung sehen.

Die Kammer findet einen Mittelweg. „Rechtlich war das Verhalten des Angeklagte­n als Totschlag zu werten“, sagt der Vorsitzend­e Richter Hans Brückner. Doch „zulasten konnte die Kammer im Hinblick auf das Verhalten des Angeklagte­n keine Gesichtspu­nkte erkennen“. Das Urteil sollte aber nicht als Freibrief für Nachahmung­stäter verstanden werden. „Es ist sicher ein außergewöh­nlicher Fall.“

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