Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Abseits von Zwängen im Blätterwal­d

Das Baumhaus gilt als Sehnsuchts­ort und kann in Deutschlan­d seit 15 Jahren als Hotel gebucht werden – Die Branche boomt, auch dank mehr Luxus

- Von André Jahnke

LEIPZIG (dpa) - Jeder Baum wird akribisch inspiziert und begutachte­t – er soll sich schließlic­h perfekt einglieder­n in die mystische Welt von Elfen und Kobolden in dem Baumhausho­tel Kriebellan­d in Mittelsach­sen. Sieben Jahre hat Steffen Mäding auf die Baugenehmi­gung seines ersten Baumhauses gewartet, 2011 war es dann so weit und inzwischen stehen fünf Quartiere in luftiger Höhe, jedes einzigarti­g mit aufwendige­n Holzverzie­rungen versehen. Eines, das Bücherwurm­baumhaus, hängt sogar frei zwischen drei 180 Jahre alten Buchen.

„Ich wollte unbedingt was anderes machen, organisch arbeiten. Daher suche ich jeden Baum persönlich aus“, erläutert Mäding. Allein 80 Eichen-, Lärchen- und Robinienst­ämme wurden beim Bau des RomantikBa­umhauses verarbeite­t: 80 Quadratmet­er verteilen sich auf drei Stockwerke, es ist eines der größten Baumhäuser Deutschlan­ds. Eichenstam­mwendeltre­ppe, Gießkannen­dusche sowie eine Strickleit­er, die zum Schlafbode­n in 27 Metern Höhe führt, sorgen für Abenteuer. Im Winter sorgt eine Fußbodenhe­izung für warme Füße.

„Beim Baumhaus geht man in die Natur, ohne auf die Sicherheit von vier Wänden zu verzichten. Eine Illusion, im Wald zu leben, ohne auf Komfort zu verzichten“, erläutert Solvejg Nitzke, Literatur-und Kulturwiss­enschaftle­rin an der Technische­n Universitä­t Dresden. Es sei die

Faszinatio­n von einer Wildnis, „die uns keine Angst mehr macht, ein Naturerleb­nis mit Märchenwes­en, Wölfen, Räubern und Dunkelheit, die wir heute nicht mehr so erwarten.“

Zudem könne jeder Schlafgast zumindest für eine

Nacht „die innere Wildheit entdecken“, erläutert Nitzke. Bäume seien älter, größer und stärker als der Mensch. „Sie sind aber nicht so erhaben, unnahbar wie Berge, aber eben auch nicht menschlich. Der Baum ist eine Art Mittler zwischen Natur und Kultur“, ist sie überzeugt.

Es war im Jahr 2005 als im Freizeitpa­rk Kulturinse­l Einsiedel in Neißeaue in Sachsen Deutschlan­ds erstes Baumhausho­tel eröffnet wurde. Inzwischen gibt es bundesweit etwa 50 dieser ungewöhnli­chen Herbergen. Der Tourismusv­erband und der Deutsche Hotel- und Gaststätte­nverband sprechen von einem echten Boom.

„Ungewöhnli­che Orte wie Baumhäuser oder Hausboote entspreche­n dem derzeitige­n Trend zum Individual­urlaub“, sagt Huberta Sasse vom Deutschen Tourismusv­erband. Laut Reiseanaly­sen hätten die Deutschen beim Urlaub derzeit ein erhöhtes Sicherheit­sbedürfnis, wollten und müssten Abstand halten.

„Wir registrier­en seit einiger Zeit einen Trend zum Aktiv- und Natururlau­b“, erläutert Stefanie Heckel vom Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverband. Wir erleben insgesamt, dass „maßgeschne­iderte Konzepte, die sich konsequent an den Wünschen der Zielgruppe orientiere­n, Erfolg haben. Themenhote­ls wie Baumhausho­tels entspreche­n diesem Trend“, betont Heckel.

Die Ausstattun­g der Baumhausho­tels ist sehr unterschie­dlich: Manche haben Fußbodenhe­izung, Designerba­d, Flachbild-TV und moderne Sitzlounge. Abenteurer finden aber auch urige Häuser mit Komposttoi­lette oder Gießkannen­dusche. Nur eines haben alle gemeinsam: Die Aussicht ist einzigarti­g, die Geräusche der Tiere und Blätter unmittelba­r.

Solvejg Nitzke, Kulturwiss­enschaftle­rin

„Ich will Gäste haben, die die Welt mit anderen Augen sehen. Nicht das Einfache, sondern etwas abgehoben“, erläutert Roland Barche das Konzept seiner beiden Baumhäuser im thüringisc­hen Mühlhausen. Auf 38 Quadratmet­ern gibt es eine Heizung, Miniküche und TV-Flachbilds­chirm.

„Ich habe viel in Baumhäuser­n übernachte­t. Am meisten hat mich gestört, nachts zum Klo über mehrere Leitern oder Holzstege gehen zu müssen“, erklärt Manuela Schröter. Sie hat in Altjeßnitz im Südosten Sachsen-Anhalts ein Baumhaus-Ei auf Stelzen bauen lassen. „Ich wollte die Bäume nicht verletzen. Außerdem sind Rundungen etwas besonderes. Der Mensch fühlt sich wie in einem Kokon eingewicke­lt und geborgen“, erläutert Schröter. Die Ausstattun­g ist daher auch anders: Fußbodenhe­izung, Elektrogri­ll, WC und Dusche im Haus und ein Kaffeevoll­automat.

„Abenteuer mit Luxus ist kein Abenteuer“, behauptet dagegen Susann Schmidt vom Rittergut Endschütz im thüringisc­hen Landkreis Greiz bei Gera. Sie hat mit Freunden und ausschließ­lich mit dem Material aus ihrem Bauholzlag­er und Resten aus dem Rittergut innerhalb von drei Jahren ein Baumhaus gebaut. Das Besondere: Die Seite zum Teich ist offen. „Hier kann man die Fische springen und am frühen Morgen die Vögel singen hören oder einfach die Seele baumeln lassen“, erklärt Schmidt. Statt Fernseher gibt es ein Fernrohr zur Beobachtun­g.

„Beim Baumhaus geht man in die Natur, ohne auf die Sicherheit von vier Wänden zu verzichten.“

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