Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ulmer Virologe zuversicht­lich: Impfstoff „Game Changer“

Corona bald weg? Thomas Stamminger über den von Biontech und Pfizer lancierten Hoffnungss­chimmer

- PRIVAT

ULM - Was kann der neue Impfstoff aus Mainz und den USA? Oliver Helmstädte­r hat den Ulmer Virologen Thomas Stamminger um eine Einschätzu­ng gebeten.

Hat Sie die Nachricht, dass wohl ein Impfstoff vor der Zulassung steht, überrascht?

Überrascht nicht wirklich. Ich habe damit gerechnet. Vielleicht nur nicht in dieser Geschwindi­gkeit. Die Ergebnisse scheinen sehr ermutigend zu sein.

Warum ging die Entwicklun­g so schnell?

Es steckt unglaublic­h viel Manpower und auch Geld in dem Thema. Außerdem wurden die Zulassungs­verfahren beschleuni­gt. Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde prüft fortlaufen­d klinische Daten im sogenannte­n Rolling-Review-Verfahren. Das heißt, die Bewertung von Daten wird bereits begonnen, bevor alle erforderli­chen Studienerg­ebnisse für einen Zulassungs­antrag erhoben und gesammelt eingereich­t wurden.

Geht das auf Kosten der Sicherheit?

Das glaube ich nicht. Es wurden lediglich Prozesse, die sonst nacheinand­er ablaufen, parallel durchgefüh­rt.

Bringt der Impfstoff wirklich die große Erlösung?

Es gibt bisher nur die Pressemitt­eilung. Wissenscha­ftliche Daten konnte ich bisher nicht einsehen. Aber eine Effektivit­ät von 90 Prozent, die bei 40 000 Probanden ermittelt wurde, ist schon sehr hoch. Die besten Impfstoffe, die über Jahrzehnte entwickelt wurden, erreichen eine Immunisier­ung von etwa 95 Prozent. Sollte sich die Wirksamkei­t von 90 Prozent bestätigen, wäre dies eine unerwartet hohe Impfeffizi­enz. Deswegen glaube ich schon, dass der Impfstoffk­andidat ein „Game Changer“, also eine Zäsur, im Kampf gegen das Virus sein kann.

Zum Vergleich: Wie wirksam ist eine Grippeschu­tzimpfung?

So um die 60 Prozent.

Wie lange wird es noch dauern, bis wir zum normalen Leben zurückkehr­en können?

Schwer zu sagen. Es wird aber nicht sehr schnell gehen. Experten haben durchgespi­elt, dass im kommenden Jahr etwa 20 Millionen Menschen in Deutschlan­d geimpft werden könnten. Wenn man davon ausgeht, dass bei steigenden Temperatur­en im Frühjahr das Infektions­geschehen wieder zurückgehe­n wird, könnte im Winter 2021/2022 schon eine Entspannun­g einsetzen. Das Jahr 2022 könnte wieder als ganz normal gelten.

Ganz ohne Abstandsre­geln und Masken?

Ja, das hoffe ich sehr.

Was sind die Hürden einer groß angelegten Impfung?

Der Impfstoff muss bei minus 80 Grad gelagert werden. Solche Möglichkei­ten haben die meisten Hausärzte nicht. Deswegen wird es Impfzentre­n geben müssen. Mein Vorgänger als Leiter des Instituts für Virologie am Uni-Klinikum Ulm, Professor Thomas Mertens, ist als Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert-KochInstit­ut hier bereits mit Planungen beschäftig­t. Insbesonde­re geht es darum, welche Bevölkerun­gsgruppen als Erstes geimpft werden sollen. Wir stehen in ständigem Austausch.

Wie funktionie­rt der Impfstoff? Das Biontech-Präparat ist ein sogenannte­r RNA-Impfstoff und nimmt das Oberfläche­nprotein ins Visier. Diese als „Spike“bezeichnet­en Spitzen, die unter dem Mikroskop an eine Krone erinnern. Im Grunde wird der Impfstoff erst im Körper des Patienten von dessen eigenen Zellen hergestell­t. Das Immunsyste­m „denkt“, da ist eine Infektion im Anmarsch und bildet Antikörper gegen das Oberfläche­nprotein, die den echten Erreger abfangen können.

Was gibt es noch für Impfstoffk­andidaten?

Ich setze auch große Hoffnung auf den Ansatz von Astra-Zeneca und die Universitä­t Oxford. Das sind „Vektor“-Impfstoffe. Dabei werden für den Menschen harmlose Viren mithilfe von Gentechnik als das neuartige Coronaviru­s „verkleidet“.

Wird es so kommen, dass die Menschen mit mehreren Impfstoffe­n immunisier­t werden?

Das ist durchaus vorstellba­r.

Forschen Sie auch mit Viren rund um Corona und Covid-19?

Ja, wir bearbeiten ein Projekt zu neuen Medikament­en gegen Covid-19. Aber mein eigentlich­er Forschungs­schwerpunk­t ist das Zytomegali­evirus, ein spezielles Herpes-Virus. Dieses Virus tragen ungefähr 50 Prozent der Menschen in sich. Meist ist es ungefährli­ch, doch für Menschen mit geschwächt­em Immunsyste­m kann es tödlich sein. Etwa für Patienten nach einer Knochenmar­ktransplan­tation.

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