Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Pandemie als Chance zur Versöhnung der Menschheit
Volkstrauertag in Coronazeiten: stark vereinfachte, aber würdige Feierstunde in Bad Buchau
BAD BUCHAU - Mit einer schlichten Feierstunde ist in Bad Buchau am Volkstrauertag am Sonntag der Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft gedacht worden. Am Ehrenmal für die Gefallenen vor der Stiftskirche wurden Kränze niedergelegt.
Aufgrund der Corona-Pandemie wurde auf den üblichen Ablauf der Feierstunde verzichtet. Bürgermeister Peter Diesch von Seiten der Stadt und Elmar Bechtle für den VdK legten bereits vor dem Gottesdienst in aller Stille die Kränze ab. Anstelle der Feierstunde am Ehrenmal gab es „nur“ersatzweise eine Ansprache von Bürgermeister Peter Diesch nach dem Gottesdienst in der Kirche.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs, so Diesch, sei nun 75 Jahre her. „Der Weltkrieg tobte damals global, sein letzter Tag lag im Irgendwann einer noch verhüllten Zukunft.“Um diese Zeit schrieb Thomas Mann, der deutsche Nobelpreisträger für Literatur, an seinem Roman „Joseph und seine Brüder“, und er verfolgte, wie so viele, täglich verzweifelt die Nachrichten. Kaum ein Blatt im Tagebuch, ohne dass Stalingrad erwähnt wird, die Judenverfolgung, der Bombenkrieg, die Hoffnung beim Hören der Reden von Churchill oder Roosevelt. Alliierte Soldaten bargen jüdische Überlebende aus den Lagern. „Millionen deutscher Familien wussten nicht, ob ihre Väter, Söhne und Brüder zurückkehren würden, Bretterzäune hingen voll mit Suchmeldungen des Roten Kreuzes“, schilderte Diesch das Kriegsende. In den Straßen sah man Kriegsversehrte und Flüchtlinge, Kinder hatten Unterricht in Behelfsbaracken. „Aber die Bomber dröhnten nicht mehr durch die Nacht und in Europa endete die
Menschenjagd der Nationalsozialisten, endete ihre gezielte Sabotage jeglicher Menschlichkeit.“Der Zivilisationsbruch des Holocaust habe die Gattung verraten; er habe Gott denunziert, klagten andere, wieder andere verloren ihren Glauben. „Gott war immer da“, zitierte Diesch den Londoner Rabbiner Lionel Blue mit seiner Aussage über Auschwitz: „Aber die Menschen sind nicht da gewesen.“Das heißt: Die Täter hatten ihre Menschlichkeit verloren. Inzwischen seien „eingegrenztere Kriege“auf den furchtbaren Zweiten
Weltkrieg gefolgt, in Korea, Algerien, Vietnam und Kambodscha, in Jugoslawien – und heute in Syrien, in der Ukraine, in Libyen, im Jemen.
„Wie stark weltweite Anstrengung für menschliche Zwecke wirken kann, das bewiesen in diesem Jahr die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Corona-Krise“, so Diesch. Das Virus sei kein Feind, es ist nichts als ein genetisches Programmpartikel, das sich vermehrt. Die Menschheit könne sich selbst der ärgste Feind sein, wie in der von Deutschland initiierten Barbarei zwischen 1933 und 1945. Die Menschheit kann aber auch zur Freundschaft mit sich selber finden, sich mit sich selber anfreunden. „Vielleicht gibt auch und gerade die Corona-Pandemie uns dazu jetzt eine Riesenchance“, sagte Diesch.
Zum Abschluss seiner Ansprache bat er die Gottesdienstbesucher, nach dem Gottesdienst oder im Laufe des Tages den Opfern der beiden Weltkriege und der Gewalt des vergangenen Jahrhunderts die Ehre zu erweisen und vor dem Ehrenmal in kurzem Gedenken zu verweilen.
„Ich hatte einen Kameraden“spielte Thomas Obert auf der Trompete zum Abschluss.