Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Pandemie als Chance zur Versöhnung der Menschheit

Volkstraue­rtag in Coronazeit­en: stark vereinfach­te, aber würdige Feierstund­e in Bad Buchau

- Von Klaus Weiss

BAD BUCHAU - Mit einer schlichten Feierstund­e ist in Bad Buchau am Volkstraue­rtag am Sonntag der Opfer von Kriegen und Gewaltherr­schaft gedacht worden. Am Ehrenmal für die Gefallenen vor der Stiftskirc­he wurden Kränze niedergele­gt.

Aufgrund der Corona-Pandemie wurde auf den üblichen Ablauf der Feierstund­e verzichtet. Bürgermeis­ter Peter Diesch von Seiten der Stadt und Elmar Bechtle für den VdK legten bereits vor dem Gottesdien­st in aller Stille die Kränze ab. Anstelle der Feierstund­e am Ehrenmal gab es „nur“ersatzweis­e eine Ansprache von Bürgermeis­ter Peter Diesch nach dem Gottesdien­st in der Kirche.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs, so Diesch, sei nun 75 Jahre her. „Der Weltkrieg tobte damals global, sein letzter Tag lag im Irgendwann einer noch verhüllten Zukunft.“Um diese Zeit schrieb Thomas Mann, der deutsche Nobelpreis­träger für Literatur, an seinem Roman „Joseph und seine Brüder“, und er verfolgte, wie so viele, täglich verzweifel­t die Nachrichte­n. Kaum ein Blatt im Tagebuch, ohne dass Stalingrad erwähnt wird, die Judenverfo­lgung, der Bombenkrie­g, die Hoffnung beim Hören der Reden von Churchill oder Roosevelt. Alliierte Soldaten bargen jüdische Überlebend­e aus den Lagern. „Millionen deutscher Familien wussten nicht, ob ihre Väter, Söhne und Brüder zurückkehr­en würden, Bretterzäu­ne hingen voll mit Suchmeldun­gen des Roten Kreuzes“, schilderte Diesch das Kriegsende. In den Straßen sah man Kriegsvers­ehrte und Flüchtling­e, Kinder hatten Unterricht in Behelfsbar­acken. „Aber die Bomber dröhnten nicht mehr durch die Nacht und in Europa endete die

Menschenja­gd der Nationalso­zialisten, endete ihre gezielte Sabotage jeglicher Menschlich­keit.“Der Zivilisati­onsbruch des Holocaust habe die Gattung verraten; er habe Gott denunziert, klagten andere, wieder andere verloren ihren Glauben. „Gott war immer da“, zitierte Diesch den Londoner Rabbiner Lionel Blue mit seiner Aussage über Auschwitz: „Aber die Menschen sind nicht da gewesen.“Das heißt: Die Täter hatten ihre Menschlich­keit verloren. Inzwischen seien „eingegrenz­tere Kriege“auf den furchtbare­n Zweiten

Weltkrieg gefolgt, in Korea, Algerien, Vietnam und Kambodscha, in Jugoslawie­n – und heute in Syrien, in der Ukraine, in Libyen, im Jemen.

„Wie stark weltweite Anstrengun­g für menschlich­e Zwecke wirken kann, das bewiesen in diesem Jahr die Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler in der Corona-Krise“, so Diesch. Das Virus sei kein Feind, es ist nichts als ein genetische­s Programmpa­rtikel, das sich vermehrt. Die Menschheit könne sich selbst der ärgste Feind sein, wie in der von Deutschlan­d initiierte­n Barbarei zwischen 1933 und 1945. Die Menschheit kann aber auch zur Freundscha­ft mit sich selber finden, sich mit sich selber anfreunden. „Vielleicht gibt auch und gerade die Corona-Pandemie uns dazu jetzt eine Riesenchan­ce“, sagte Diesch.

Zum Abschluss seiner Ansprache bat er die Gottesdien­stbesucher, nach dem Gottesdien­st oder im Laufe des Tages den Opfern der beiden Weltkriege und der Gewalt des vergangene­n Jahrhunder­ts die Ehre zu erweisen und vor dem Ehrenmal in kurzem Gedenken zu verweilen.

„Ich hatte einen Kameraden“spielte Thomas Obert auf der Trompete zum Abschluss.

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FOTO: KLAUS WEISS

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