Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Demaskiere­nde Proteste

- Von Katja Korf ●» k.korf@schwaebisc­he.de

Laut Polizei wurden 365 Menschen vorübergeh­end festgenomm­en. Sie teilte auf Twitter mit, zehn Kollegen seien verletzt worden. Beamte seien mit Flaschen, Steinen und Böllern beworfen sowie mit Pfefferspr­ay angegriffe­n worden. Erst am späten Nachmittag entspannte sich die Lage.

Unter den Demonstran­ten waren auch Rechtsextr­eme und sogenannte Reichsbürg­er. Die Mehrheit stellten sie aber nicht: Wie bei vielen der sogenannte­n Hygiene-Demos kam eine bunte Mischung an Menschen aller Altersgrup­pen zusammen. Auch im

Bundestag gab es viel Kritik an dem neuen Gesetz. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn warb daher um weiteres Vertrauen in das Krisenmana­gement. Steigende Infektions­zahlen führten früher oder später zu steigendem Leid auf den Intensivst­ationen und zu einem Kontrollve­rlust, sagte der CDU-Politiker.

Die SPD-Gesundheit­spolitiker­in Bärbel Bas wies Befürchtun­gen zurück, mit der Reform würden Befugnisse für Bundes- und Landesregi­erungen ausgeweite­t. „Genau das Gegenteil ist der Fall“, sagte sie. Zum Auftakt der Plenardeba­tte hatte die

AfD zunächst versucht, das Thema wieder von der Tagesordnu­ng zu nehmen. Sie scheiterte damit aber am geschlosse­nen Widerstand der anderen Fraktionen.

FDP, Grüne und Linksparte­i kritisiert­en die Reform des Infektions­schutzgese­tzes dennoch. „Das Gesetz stellt in weiten Teilen einen Blankosche­ck für die Regierung aus“, sagte der Ravensburg­er FDPBundest­agsabgeord­nete Benjamin Strasser der „Schwäbisch­en Zeitung“. Trotzdem sei nicht alles schlecht, was im Entwurf der Koalition steht.

Ein „Ermächtigu­ngsgesetz“haben Bundestag und Bundesrat nicht beschlosse­n. Demokratie und Rechtsstaa­t funktionie­ren – das zeigen die zahlreiche­n Gerichtsur­teile, die Verordnung­en zur Corona-Pandemie gekippt haben. Durchregie­rt werden kann nicht. Wer daran Zweifel hat, darf sich auch an Montag erinnern. Da bremsten die Ministerpr­äsidenten die Bundeskanz­lerin in diesem Bemühen.

Der Vergleich mit dem Nazi-Gesetz ist ebenso kalkuliert­e Provokatio­n wie der Auftritt Tausender Demonstran­ten in Berlin. Bewusst zogen sie ohne Mund-Nasen-Schutz und ohne Abstand durch die Hauptstadt. Sie wollten Bilder erzeugen von Polizisten, die mit Wasserwerf­ern und körperlich­er Gewalt gegen Protestler vorgehen. Das war demaskiere­nd: Ginge es diesen Chaoten darum, ihre Kritik friedlich zu äußern, hätten sie sich an die Regeln gehalten. So aber haben sie sehr viele als das entlarvt, was sie sind: Eine Versammlun­g von Rechtsextr­emisten, Populisten, Wutbürgern, „Querdenker­n“und anderen, die diesen Staat verachten. Und die jede Solidaritä­t mit den Schwachen vermissen lassen, die von einer Corona-Infektion besonders betroffen sind.

Abseits von diesem Gebaren wirft das Infektions­gesetz durchaus Fragen auf. Ein Blick nach Baden-Württember­g hätte geholfen. Hier muss das Parlament zustimmen, wenn Corona-Verordnung­en der Regierung nach zwei Monaten verlängert werden. Das ist im Bund nicht vorgesehen. Eine solche nachträgli­che Überprüfun­g macht Sinn. Sie blockiert die in der Krise notwendige­n Entscheidu­ngen nicht, sichert den Abgeordnet­en aber Mitsprache. Außerdem zwingt sie die Regierende­n, ihre Entscheidu­ngen zu überprüfen und öffentlich zu erklären.

Jeder Bürger kann sich an deutsche Gerichte wenden, um offene Fragen klären zu lassen. Der Bundestag kann es bei Bedarf ändern oder kippen. Der Rechtsstaa­t wird weiter funktionie­ren. Mitnichten also lässt sich dieses Gesetz mit jenem vergleiche­n, mit dem die Nationalso­zialisten 1933 ihre Diktatur des Unrechts begründete­n.

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