Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Balladen auf Oberschwäbisch
Mundartdichter Hugo Brotzer aus Mittelbiberach hat sich einen Herzenswunsch erfüllt
MITTELBIBERACH - Hugo Brotzer hat Kinderbuch-Klassiker, wie den „Struwwelpeter“oder „Die Häschenschule“ins Oberschwäbische übertragen, Sebastian Sailers „Schwäbische Schöpfung“heutigen Lesern in verständlichem Dialekt nahegebracht und veröffentlicht, ergänzt um eigene Gedichte. Mit der „Schwäbischen Kunde“konnte er sich jetzt einen Herzenswunsch erfüllen. In dem Büchlein mit Schloss Lichtenstein auf dem Titel ruft er Balladen in Erinnerung, zum Beispiel von Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Heinrich Heine, Theodor Fontane oder Ludwig Uhland – im Original, vor allem aber in der von ihm geliebten und gelebten Mundart.
Mit Balladen beschäftigt sich der pensionierte Sonderschullehrer aus Mittelbiberach schon lange. Einem seiner Lehrer schreibt der Oberschwabe den persönlichen Zugang zu dieser literarischen Form zu. Einen weiteren „gewichtigen“Antrieb, sich mit Balladen zu beschäftigen, erkennt er in seiner starken Verbundenheit zur schwäbischen Mundart. Als Herausforderung hat der durchaus in diesen Dingen Gewiefte die Übertragung einiger der klassischen Balladen in das Oberschwäbische von heute gesehen. Er unterstreicht, dabei immer bemüht gewesen zu sein, sowohl von der Reimform als auch vom Metrum her möglichst am Original zu bleiben. Den Schauplatz und die Handlung allerdings hat er – wo immer möglich – ins Schwabenland verlegt, einhergehend mit Namensänderungen. So wurde aus „Die Kraniche des Ibykus“das „Made seine Vegl“. Und die „Schwalbe“, die in
John Maynard über den Eriesee fliegt, wird zum Raddampfer „Hohentwiel“auf dem Bodensee. Brotzer bleibt einmal nahe am klassischen Text, wagt aber auch parodistische Verfremdungen, wie zum Beispiel im „Erlkönig“. Als sehr zeitintensive Übung nennt er die Übertragung der „Heinzelmännchen zu Köln“von August Kopisch, die er übrigens in seinen Geburtsort „Sulga“versetzt hat. Diese Ballade lebe in erster Linie von der sprachlichen Vielfalt, mit der die Tätigkeiten der verschiedenen Handwerker beschrieben werden, betont er. Das bedeutete, für jede Strophe etwa zehn entsprechende schwäbische Verben zu finden. Und reimen mussten sie sich auch noch. Trotz aller Mühen ein großer Spaß, gesteht der Mundartdichter mit einem Schmunzeln im Gesicht.
Wichtig ist, so hat Brotzer erkannt und von seinem ersten Lektor erfahren, dass man sich bei der Niederschrift von Mundart-Texten nicht zu weit von der „normalen“Schreibung entfernt, um den Lesern den Zugang zu den Texten zu erleichtern, auch wenn dabei phonetisch manches verloren gehe.
Dass nicht nur die von ihm ins Oberschwäbische übertragenen klassischen Balladen gut beim Publikum ankommen, sondern auch die selber verfassten, bewiesen seine Auftritte bei der „Schwabenkanzel“, bei denen er den Siegeskranz von dannen tragen durfte, so in Obermarchtal oder Langenenslingen.
Der Dialekt wird einem in die Wiege gelegt, so geschehen auch bei Hugo Brotzer, der 1949 in Bad Saulgau geboren wurde. Bei seinen Lesungen stellt er sich mit einem Vers vor, in dem er seine glückliche Kindheit beschreibt: „Dr Vaddr gugget emme nei, au Moddrs Biable bene gsei ond meine Gschwistr hamme mega: a Sonndigskend isch nix drgega“. Ein Gedicht zum fünfzigsten Geburtstag der Eltern war sein erstes
Werk: „So, wia ne geschwätzt han, hanne gschrieba ond so isches bis heit au blieba“. Was er am schwäbischen Dialekt schätzt? „Die immens große Ausdruckskraft“, betont er. „Vieles kann man besser, präziser, nuancierter und dabei knapper ausdrücken.“Und wenn man auch als Schwabe eines der Wörter partout nicht übersetzen kann, helfen die Worterklärungen auf den letzten der 242 Seiten des Buches.
Dass Hugo Brotzer „auch Schriftdeutsch kann“, beweist er in der Schilderung einer Begegnung mit einer Buchhändlerin in München, die er nach Balladen gefragt hatte. Die junge Dame wusste zunächst nichts damit anzufangen, wollte ihn in die Musik-Abteilung verweisen. Vertraut freilich waren ihr die Namen Goethe und Schiller als Autoren, „zeigt sie auch sichtlich interessiert: Die haben Love-Songs komponiert?“Mundart lebt freilich insbesondere vom lauten Lesen, vom Vortrag. Und Hugo Brotzer ist ein Meister darin. Bewiesen hat er dies schon bei vielen Veranstaltungen, so in Biberach, Bad Schussenried, im Freilichtmuseum Kürnbach, Riedlingen und bei den Originalen in Hailtingen.
Sie sind immer begeistert aufgenommen worden. Wenn die Situation es wieder zulässt, wird er auch mit den jetzt veröffentlichten Balladen unterwegs sein. In der „Schwäbischen Kunde“sind sie bebildert vor allem mit Fotos von Klaus Brauner.
„Schwäbische Kunde“, Klassische Balladen Deutsch – Schwäbisch/ Schwäbisch – Deutsch, Taschenbuch, erschienen im Hess-Verlag, 16,99 Euro, ISBN/GTIN978-387336-687-9.