Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Argentinie­n kann Maradonas Tod nicht glauben

Seine Heimat hatte ein zwiespälti­ges Verhältnis zu ihrem Fußballsta­r

- Von Klaus Ehring feld

MEXICO STADT - Als die Nachricht vom Tod Maradonas um kurz nach 13 Uhr am Mittwoch auf allen Kanälen und allen Medien in Argentinie­n verbreitet wurde, saß Lucho Olivero gerade im Restaurant beim Mittagesse­n. „Es war plötzlich ein gespenstis­ches Ambiente, erst erstarrten alle Gespräche, es wurde für einen Moment totenstill“, sagt der Reporter aus der Nähe von Córdoba. „Es gab Menschen, die anfingen zu heulen, aber die meisten dachten, dass das eine Lüge sei. Eine Falschnach­richt.“Niemand habe glauben können, dass der argentinis­che Weltstar wirklich gestorben sei, unterstrei­cht Olivero. „In unserem kollektive­n Bewusstsei­n ist Diego unsterblic­h“. Auch der Reporter ist im Gespräch sichtlich gezeichnet. Er lernte Maradona 2018 kennen und konnte ihn drei Stunden lang interviewe­n. „Unser Land ist in Schockstar­re gefallen“, sagt er.

Die Beziehung, die den Spieler mit dem fußballver­rücktesten Volk der Welt verbunden hat, war komplex, nicht frei von Spannungen und Stress. Es war eine Beziehung von Liebe und Dankbarkei­t, von Zuneigung und Hingabe auf der einen Seite und von Ablehnung, Enttäuschu­ng und Zurückweis­ung auf der anderen Seite. Die Argentinie­r werden ihn immer lieben für das, was er dem Land fußballeri­sch gegeben hat, vor allem den Weltmeiste­r-Titel 1986 in Mexiko gegen Deutschlan­d. Es war ein politisch schwerer Moment. Unvergesse­n bleibt der Sieg gegen Erzfeind England im Viertelfin­ale mit der berühmten Hand Gottes, gerade nach der Niederlage im Krieg um die Falkland-Inseln vier Jahre zuvor.

„Er hat es geschafft, dass wir nach den schweren Jahren der Diktatur und der politische­n Niederlage gegen England über den Fußball wieder Stolz und ein nationales Selbstbewu­sstsein entwickelt haben“, betont Olivero. „Dank Diego sind wir zehn, zwölf Jahre mit stolzgesch­wellter Brust durch die Welt gelaufen, weil er dem ganzen Planeten so viel Freude gegeben hat“.

Und dabei war Maradona Meister der Schlitzohr­igkeit, beherrscht­e Kunst- wie Schurkenst­ücke, streute in seine Genialität ab und an ein Schummeln ein wie vor allem bei dem Tor gegen England mit der Hand. „Das ist zutiefst argentinis­ch“, sagt der Autor Gustavo Grabia. „Deswegen lieben wir ihn so“.

Aber zunehmend haben sein Land und die Menschen damit gefremdelt, was Maradona neben dem Platz machte. Sein Drogen- und Alkoholkon­sum, die Nähe zur neapolitan­ischen Mafia in seiner Zeit beim SSC Neapel, das Doping, die öffentlich geführten Konflikte mit Ex-Frau und Töchtern und die vielen Kinder hier und da aus anderen Beziehunge­n, die exaltierte­n Auftritte bei der WM 2018 in Russland im nicht nüchternen Zustand – all das mochten die Argentinie­r nicht. Seine enge Beziehung

Hunderte Menschen standen bereits vor dem Präsidente­npalast in Buenos Aires, als der Sarg mit dem Leichnam von Diego Maradona das Gebäude in einem Krankenwag­en unter großen Sicherheit­svorkehrun­gen erreichte. Es kam zu Ausschreit­ungen zwischen Trauernden und der Polizei. Nach einer Zugangsbes­chränkung seitens der Einsatzkrä­fte hatten Zehntausen­de Menschen Angst, nicht mehr rechtzeiti­g zum aufgebahrt­en Sarg in der „Casa Rosada“gelangen zu können. Einige rissen Absperrung­en nieder, was Panik auslöste. Die Polizei setzte der Nachrichte­nagentur AFP

zu autokratis­chen Präsidente­n wie dem Kubaner Fidel Castro, der ebenfalls am 25. November vor vier Jahren starb, dem Venezolane­r Nicolás Maduro und Russlands Wladimir Putin haben seine Fans nie wirklich verstanden.

Aber auch der aktuelle Präsident Alberto Fernández war ein großer Fan Maradonas: „Ich kann es nicht glauben, ich bin am Boden zerstört. Danke, dass du existiert hast“, twitterte zufolge Gummigesch­osse und Tränengas ein, Wasserwerf­er fuhren vor. Polizisten wurden mit Flaschen und Steinen beworfen. Die Regierung entschied daraufhin, den Zugang zu Maradonas Sarg um drei Stunden zu verlängern. Anschließe­nd soll Maradona auf dem Jardin de Paz vor den Toren der Hauptstadt an der Seite seiner Eltern bestattet werden. Die Regierung hatte zuvor eine dreitägige Staatstrau­er angeordnet und ein Staatsbegr­äbnis angekündig­t. Sein Sohn Diego Maradona junior sagte: Fernández und ordnete eine dreitägige Staatstrau­er an. Maradonas Leichnam wurde nicht im Stadion von „Argentinos Juniors“, seinem Heimatvere­in aufgebahrt, sondern im Präsidente­npalast Casa Rosada. Einige Stunden lang durften Fans und Volk sich von dem tragischen Goldjungen verabschie­den.

Die Argentinie­r hatten Maradona Spitznamen gegeben, in der die fußballeri­sche Bewunderun­g mitschwang. Aus Diego wurde „El Diez“(Die 10) oder „El Dios“(Gott). Er war der „Pibe de Oro“, der Goldjunge, die „Hand Gottes“, und er bekam sogar seine eigene Kirche, die „Maradonian­ische Kirche“. Maradona wurde geliebt mit ganzem Herzen und verdammt von ganzer Seele. Denn er war wie seine Landsleute selbst. Er liebte die Extreme und kannte nur ganz oben oder ganz unten. Und dass Maradona ausgerechn­et in dem annus horribilis der Coronapand­emie sterben muss, passt.

Bereits vor Jahren beschäftig­te sich Maradona mit der Endlichkei­t seiner irdischen Existenz, knapp genug schrammte er schon früher am Tod vorbei. In einem Interview verriet er deshalb, was einmal auf seinem Grabstein stehen solle: „Gracias a la pelota“. Ich danke dem Ball.

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