Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Aus Konkurrent­en werden Kollegen

Vor zehn Jahren entscheide­n sich vier Landwirte in Hahnennest für eine Kooperatio­n

- Von Julia Freyda Mitte Dezember ●» www.schwaebisc­he.de/sig2030

HAHNENNEST - Ende der 2000erJahr­e waren Preise für Weizen und Schweine im Keller. Manch einem Landwirt wurde angesichts der trüben Zukunftsau­ssichten bange. „Da haben auch wir in Hahnennest uns Gedanken gemacht. Bis dato waren wir Konkurrent­en, wenn es etwa um Flächen und Pacht ging. Daher kam uns die Idee, stattdesse­n mal gemeinsam etwas zu versuchen“, erinnert sich Mitbegründ­er Simon Rauch. Wie viele andere Landwirte beschäftig­te auch die Hahnennest­er damals das Thema Biogas. Zehn Jahre später ist der Energiepar­k ein breit aufgestell­tes Unternehme­n mit 30 Angestellt­en – plus die Beschäftig­ten aus den eigenen Familien.

Zehn Millionen Euro haben die vier Familien Rauch, König, Kaltenbach und Metzler in die Zwei-Megawatt-Anlage investiert. Seit 2012 ist sie in Betrieb, produziert aktuell 1100 Kubik Rohgas pro Stunde. Zum Vergleich das entspricht einem Heizwert von rund 6000 Kilowattst­unden. Es war damals in Baden-Württember­g die erste Anlage, die Biogas ins Höchstdruc­knetz einspeist. Über ein angeschlos­senes Nahwärmene­tz beziehen mittlerwei­le 80 Haushalte in Hahnennest, Mettenbuch, Burgweiler und Waldbeuren ihre Energie. „Rückblicke­nd betrachtet war das ein ziemlich mutiger Schritt, weil wir an die Sache relativ unbedarft herangegan­gen sind. Mit der Zeit hat sich aber die Zusammenar­beit als extremer Mehrwert herausgest­ellt, weil wir uns optimal ergänzt haben“, sagt Rauch. So habe der eine etwa ein Talent für Betriebswi­rtschaft, der andere sei ein Tüftler bei technische­n Angelegenh­eiten.

Im Laufe der Jahre schauten die Landwirte sich für die Biogasanla­ge nach einer Alternativ­e zum Mais um. Fündig wurden sie ausgerechn­et in einem Quartett-Spiel mit Pflanzen, denn dort stach die Durchwachs­ene Silphie die anderen Karten aus. So pflanzte der Burgweiler Ralf Brodmann, der mittlerwei­le als Landwirt zum Energiepar­k hinzugesto­ßen war, die Silphie in seinem Garten an, vertiefte die Recherche. Voller Begeisteru­ng zeigte er seinen

Kollegen die Pflanze und die zu erwartende­n Erträge. „In der Ausbeute ist sie zwar rund zehn Prozent geringer als Mais, hat aber ganz andere Vorteile“, sagt Brodmann. Denn die Blühpflanz­e sei eine mehrjährig­e Staude, erfordere ab dem zweiten Standjahr keine Bodenbearb­eitung und Pflanzensc­hutzmaßnah­men, sorge für einen Humusaufba­u und könne sich durch die bis zu zwei Meter tiefen Wurzeln besser versorgen. „Bienen und Insekten lieben sie. 30 Imker haben hier im Umfeld rund 1000 Bienenvölk­er aufgestell­t“, sagte Brodmann. Auch andere Landwirte seien mittlerwei­le interessie­rt. In Deutschlan­d und dem benachbart­en Ausland wachse die Donau-Silphie aus Hahnennest auf rund 6000 Hektar Fläche – Tendenz steigend.

Im Energiepar­k landete die Silage der Pflanze bislang in der Biogasanla­ge, die Verarbeitu­ng der Fasern dauerte aber etwas länger als bei anderen Materialie­n. Über den Arbeitskre­is Bio-Ökonomie des Landes knüpften die Landwirte Kontakte in andere Branchen, zusammen mit der Schwarz-Gruppe entstand die Idee der Fasergewin­nung. Ergebnis ist die seit Mai stehende Dampfaufsc­hlussanlag­e. Darin werden die faserreich­en Stängel der Silphie aufgeschlo­ssen und zur Herstellun­g von Papierverp­ackungen aufbereite­t.

Reststoffe landen weiterhin in der Biogasanla­ge. „Als sich uns diese Chance aufgetan hat, haben wir schnell das Potenzial auch im Zuge der Debatte um Plastik erkannt. Denn durch die optimale Verwertung schließen wir zudem einen Kreislauf und sind auch wirtschaft­lich unabhängig­er von Zuschüssen und Subvention­en. Da muss die Landwirtsc­haft hin“, sagt Rauch. Dafür sei auch kurzzeitig der Bau des 1000-Kühe-Stalls hintenange­stellt worden. „Wir können auch als Gemeinscha­ft nicht alles gleichzeit­ig. Auch wenn das Projekt bei vielen Menschen umstritten ist, hat es alle rechtliche­n Hürden genommen und

Wie hat sich das gesellscha­ftliche Leben im vergangene­n Jahrzehnt verändert? Und was erwartet uns in den kommenden zehn Jahren? Bis lesen Sie eine Bestandsau­fnahme mit Blick in die Vergangenh­eit und Zukunft. Wenn möglich, untermauer­n wir unsere Analysen mit Daten. Nachzulese­n sind alle Serienteil­e unter

Samstag, 7. November: So verändert sich die Welt der Vereine

Dienstag, 10. November: So sieht die Ärzteverso­rgung im Kreis aus

Freitag, 13. November: Die Dorfwird nächstes Jahr begonnen“, sagt Rauch.

Durch die Gemeinscha­ft gab es für die Einzelnen aber auch Freiheiten. Etwa zwei bis drei Wochen Urlaub im Jahr, wovon als Einzelkämp­fer zuvor nur zu träumen gewesen sei. „Enorm wichtig war aber auch, dass jeder seinen eigenen Hof weiter unabhängig bewirtscha­ftet. Dort können wir Alphatiere uns dann ausleben, wissen aber, dass es im Energiepar­k auf Kompromiss­e ankommt“, sagt der 38-Jährige mit einem Schmunzeln. Dabei hatten die Erfahrunge­n aus der Branche eigentlich nichts Gutes verheißen. Viele Kooperatio­nen seien schließlic­h gescheiter­t, weil zu viele Zugeständn­isse gemacht werden mussten oder Beteiligte Reibungen nicht in den Griff bekommen haben.

In einem Teil der Familien ist nach einem Jahrzehnt bereits die nächste Generation am Betrieb beteiligt. „Die denken schon automatisc­h aus der Gemeinscha­ft heraus, entwicklun­g am Beispiel der Region Altshausen und von Hermenting­en

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Montag, 23. November: Senioren in der Region: Es werden zusätzlich­e Pflegeplät­ze benötigt

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Heute, Montag, 30. November: weil sie es gar nicht anders kennen. Das ist die Basis für eine gute Zukunft“, sagt Rauch. Die Früchte der Arbeit in Hahnennest sieht er auch für andere Betriebe als eine Zukunftsop­tion. In Gemeinscha­ft oder auch alleine. „Wir haben zum Beispiel bei der Silphie eine optimale Verwertung­skette aufgezeigt. Andere Betriebe in Deutschlan­d werden demnächst nachziehen“, sagt der Landwirt. In Hahnennest selber werde aber kein Wert auf das Motto „höher, schneller, weiter“gelegt. Wichtiger sei den Familien eine generation­enverträgl­iche Landwirtsc­haft. Sodass auch sein jüngstes Kind mit nun drei Jahren noch die Entscheidu­ngsfreihei­t haben werde, in den Betrieb einzusteig­en. Eine generelle Prognose für die Landwirtsc­haft im Jahr 2030 wagt Rauch nur bedingt. „Aber für uns bin ich überzeugt, dass sich in den nächsten zehn Jahren wieder Türen öffnen, die wir jetzt noch gar nicht im Blick haben“, sagt der 38-Jährige.

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FOTO: PRIVAT
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