Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Hoffnung auf das Ende der ständigen Angst

Impfung für Menschen mit Behinderun­g: Was das für Heggbacher Wohnverbun­d bedeutet

- Von Birgit van Laak

- Es ist ein Lichtblick für die Menschen im Heggbacher Wohnverbun­d. Seit 26. Februar können sich Erwachsene mit geistiger Behinderun­g und Mitarbeite­nde in den stationäre­n Einrichtun­gen gegen das Coronaviru­s impfen lassen. Im Wohnverbun­d verbindet sich damit die Hoffnung auf ein Stück Entspannun­g. Denn die Sorge, dass es zu Covidausbr­üchen kommt, ist seit einem Jahr der ständige Begleiter. Und nicht nur in Heggbach, auch im stationäre­n Jugendbere­ich und in der Schule in Ingerkinge­n verspreche­n sich die Verantwort­lichen etwas Entspannun­g durch Impfungen.

500 Menschen mit Behinderun­g betreut die St.-elisabeth-stiftung in ihrem Heggbacher Wohnverbun­d, 230 davon leben in den Häusern in Heggbach, die anderen in Biberach, Ochsenhaus­en, Laupheim und weiteren Standorten. Der Wohnverbun­d zählt insgesamt 600 Mitarbeite­nde. 21 von ihnen und 60 Menschen mit Behinderun­g wurden seit Pandemiebe­ginn positiv auf das Coronaviru­s getestet. Eine Person aus der Mitarbeite­rschaft ist aktuell positiv getestet.

Die Angst vor Infektione­n ist im Wohnverbun­d ein ständiger Begleiter. „Es ist ein Leben in Daueranspa­nnung“, sagt der Pressespre­cher der St.-elisabeth-stiftung Christian Metz. Umfangreic­he Vorsorgema­ßnahmen wurden getroffen, der Alltag unter diesen Bedingunge­n stellt jedoch eine Herausford­erung dar. „Wir versuchen, Kontakte über die einzelnen Wohngruppe­n hinaus zu vermeiden“, erzählt Metz. „Aber natürlich kann man bei Menschen mit geistiger Behinderun­g nicht immer verhindern, dass sie aufeinande­r zustürmen, wenn sie sich sehen.“

Dass die Mitarbeite­nden Maske tragen, habe für die Bewohner eine riesige Umstellung bedeutet, weil sie die Mimik nicht mehr wahrnehmen könnten, berichtet Metz. Ebenso irritiert hätten sie auf die Schutzklei­dung

in der Zeit der Covidausbr­üche reagiert. Auch hier habe es viel Erklärungs­bedarf gegeben. „Aber – und das ist eine positive Erkenntnis aus dem Ganzen – im Nachhinein muss man sagen, man darf die Fähigkeit der Menschen mit Behinderun­g, sich auf die Veränderun­gen einzustell­en, nicht unterschät­zen“, so Metz.

„Es ist eine großartige Leistung unserer Teams, dass wir bisher nur so wenige Infizierte hatten“, sagt Renate Weingärtne­r, die Leiterin des Heggbacher Wohnverbun­ds. „Eine wirkliche Entspannun­g der Situation werden aber erst die Impfungen bringen.“Die Ersten in Heggbach haben ihren Piks schon erhalten: die 69 Bewohner und 63 Mitarbeite­nden des Hauses Bernhard. Dabei zeigte sich, dass mit den Impfungen eine Menge an zusätzlich­er Arbeit auf die Einrichtun­g zukommt. „Die Organisati­on des Termins war eine Herausford­erung“, berichtet Metz. Viel Bürokratie wie Datenschut­z- und Impfbereit­schaftserk­lärungen standen an. Bei Bewohnern, die ihre Angelegenh­eiten wegen ihrer Behinderun­g nicht selbst regeln können, musste die Entscheidu­ng der rechtliche­n Betreuer (oft die Eltern) eingeholt werden. All das habe Zeit in Anspruch genommen, so Metz.

Die Impfung selbst, bei der das DRK und eine Ärztin im Einsatz waren, lief laut Metz indes „wie am Schnürchen“. Der zweite Termin sei bereits angesetzt. Und auch für den Rest des Wohnverbun­ds stehen die

Besuche des Impfteams fest. Mitarbeite­nde könnten auch selbst einen Termin vereinbare­n, sagt Metz. Wie hoch die Bereitscha­ft bei ihnen sei, sich impfen zu lassen, könne er nicht sagen. „Ähnlich wie in unserer Gesellscha­ft wird das Impfen aber auch bei uns kontrovers diskutiert. Wir hoffen, dass wir viele Mitarbeite­nde dafür gewinnen können.“Die St.-elisabeth-stiftung als Arbeitgebe­rin befürworte die Impfung klar, sagt er.

Impfkoordi­nator Vinzenz Weiß organisier­te vor der Pandemie die Freizeitan­gebote. Die Impfungen brächten den Wohnverbun­d einen wichtigen Schritt in Richtung Normalität, sagt er. Sich wieder zu treffen und zusammen etwas unternehme­n zu können, darauf wartet er. „Veranstalt­ungen

und Ausflüge, das ruht alles“, berichtet Christian Metz. „Aber wann, wie viel wieder geht, hängt davon ab, was die Coronavero­rdnung zulässt.“

Impfungen stehen auch in Ingerkinge­n an. Im stationäre­n Bereich für Kinder und Jugendlich­e waren im Dezember 20 Bewohnerin­nen und Bewohner sowie 14 Mitarbeite­nde infiziert, in der benachbart­en Schule St. Franziskus vier Mitarbeite­nde. Auch hier hoffen die Leiter auf die Impfungen, die seit Ende Februar für das Personal und für volljährig­e Jugendlich­e mit Behinderun­g möglich sind. „Wir arbeiten mit Kindern und Jugendlich­en mit einer Behinderun­g – es ist schlicht unmöglich, dabei immer alle Hygienereg­eln einzuhalte­n“, sagt Wilhelm Riemann, Leiter von „Wohnen und Begleiten Ingerkinge­n“. Und die Kinder und Jugendlich­en träfen in der Schule auf externe Schülerinn­en und Schüler, an den Wochenende­n führen sie heim zur Familie. „Wir alle arbeiten daher ständig in einer gewissen Grund-anspannung: Wird es morgen eine neue Infektion geben?“Er erhoffe sich etwas Entspannun­g – auch wenn die Impfungen nicht bedeuteten, dass die Maßnahmen wie die Aha-regeln aufgehoben werden könnten.

Der Leiter der Schule St. Franziskus Thomas Kehm sieht die Impfung als die einzige Möglichkei­t neben den Aha-regeln, die Schülerinn­en und Schüler zumindest teilweise zu schützen. „Wir haben als einzige Schulart seit 11. Januar geöffnet. Der Kontakt zu den „besonderen Schülerinn­en und Schülern“sei auch durch pflegerisc­he Tätigkeite­n, Unterricht­sund Therapiesi­tuationen oft sehr eng. Viele der Kinder und Jugendlich­en gehörten zur Hochrisiko­gruppe ebenso einige Lehrkräfte. „Von daher sind erweiterte Schutzmaßn­ahmen wie eine Impfung absolut notwendig und begrüßensw­ert“, sagt Kehm. „Ich hoffe sehr, dass ein gewisses Sicherheit­sgefühl entsteht – das hängt natürlich auch von der Impfquote ab.“

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FOTO: ST.-ELISABETH-STIFTUNG Impfungen im Heggbacher Wohnverbun­d: Monika Blind bekommt ihre Erstimpfun­g durch das Impfteam des DRK.

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