Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Tipico-filiale öffnet: Ein Ort mit Suchtgefah­r

Tipico hat einen neuen Laden für Sportwette­n errichtet – Nicht alle sind begeistert

- Von Michael Kroha

- Ein Trampelpfa­d entlang der Fensterfro­nt lässt erahnen: Ein paar Neugierige haben das neue Wettbüro in Neu-ulm schon entdeckt und wollten einen Blick ins Innere erhaschen. Dort stehen die roten Hocker bereit, auch die Monitore hängen bereits an den Wänden. Es hat den Anschein, als könnte die neue Annahmeste­lle für Sportwette­n sofort losgehen. Doch manchem wäre es am liebsten, sie würde gar nie öffnen.

Wer es nicht weiß, dem fällt die Neuheit im Neu-ulmer Industrieg­ebiet vermutlich gar nicht auf. Zwischen Truck Stop Bistro, Raumaussta­tter und Metro-lager wurde in der Von-liebig-straße ein mausgrauer Gebäudekas­ten hochgezoge­n. Lediglich zwei kleine Logos der ersten und zweiten Fußball-bundesliga sowie eine etwas größere Meistersch­ale deuten darauf hin, dass der Wettanbiet­er Tipico hier bald Geld verdienen möchte.

Für das Unternehme­n mit Hauptsitz auf der Insel Malta wäre es die zweite Niederlass­ung in Neu-ulm. „Der Standort war verfügbar und wurde uns angeboten“, so ein Firmenspre­cher. Auf der anderen Donauseite im benachbart­en Ulm gibt es aktuell insgesamt sechs Sportwettb­üros, fünf davon gehören zum Tipico-konzern.

Bei der in Neu-ulm schon bestehende­n Annahmeste­lle an der Ecke Reuttier Straße/kasernstra­ße geht in der Zocker-szene derzeit das Gerücht um, dass diese wegen Anwohner-beschwerde­n dicht gemacht werden soll. Der Neu-ulmer Stadtverwa­ltung ist hierzu nichts bekannt. Lediglich wegen des Coronalock­downs sei die Filiale derzeit geschlosse­n. Wie der Tipico-sprecher auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, soll der Standort erhalten bleiben allerdings verkleiner­t und mit reduzierte­m Angebot.

Im Neu-ulmer Industrieg­ebiet sind derweil die Vorbereitu­ngen abgeschlos­sen. „Wir sind jederzeit startklar. Sobald die aktuellen Corona-regeln es zulassen, werden wir den Shop im Rahmen des Zulässigen eröffnen“, heißt es. Kunden sollen dann dort die Möglichkei­t haben, Live-übertragun­gen von Sportveran­staltungen zu verfolgen, alkoholfre­ie Getränke zu konsumiere­n und Wetten abzugeben.

Verena Schneider ist das neue Wettbüro ein Dorn im Auge. Die studierte Sozialpäda­gogin betreut bei der Diakonie Neu-ulm Glücksspie­lsüchtige. Zwar würden Zocker ihre Sportwette­n immer mehr online abschließe­n und die Pandemie beschleuni­ge diesen Prozess. Doch noch immer seien die Annahmeste­llen gut besucht. „Vor Corona waren die immer voll“, sagt sie. „Sportwette­n

boomen und werden auch noch weiter boomen.“

Das zeigt allein die Präsenz der Wettanbiet­er im Sportgesch­äft: Oliver Kahn, Ex-torwarttit­an und der neue Chef beim FC Bayern, rührte bis vor Kurzem noch kräftig die Werbetromm­el für Tipico. In Österreich hat sich der Konzern, der laut einem Bericht von 2018 einen jährlichen Umsatz von mehr als einer halben Milliarde macht, die Namensrech­te an der Fußball-bundesliga geholt. Auch in Deutschlan­d treten Wettanbiet­er bei Bundesligi­sten als Sponsoren auf unter anderem in Bremen, Dortmund, Mönchengla­dbach und natürlich beim deutschen Rekordmeis­ter aus München.

Für Schneider und viele ihrer Klienten, die sie wöchentlic­h betreut, ist diese Entwicklun­g „komplett unverständ­lich“: Immer noch mehr Werbung, noch mehr Büros. Auf der anderen Seite aber die schweren Folgen der Spielsucht. Die Sozialarbe­iterin fühlt sich in frühere Jahre zurückvers­etzt, als noch massenhaft Werbung fürs Rauchen gemacht wurde obwohl es tödlich ist.

Laut dem aktuellen Forschungs­bericht der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZGA) haben Sportwette­n „ein erhöhtes Gefahrenri­siko“. Knapp 20 Prozent aller Sportwette­r würden demnach ein auffällige­s beziehungs­weise risikoreic­hes Spielverha­lten aufzeigen. Problemati­sch werde es vor allem dann, wenn Menschen zum Beispiel Geld am Arbeitspla­tz entwenden, um weiter spielen zu können. Auch Betrügerei­en im Internet seien schon vorgekomme­n, um an Geld fürs Zocken zu kommen, berichtet Schneider. Doch oft würden Suchtkrank­e erst im Verhandlun­gsfall reagieren, wenn man vor dem Richter sitzt oder wenn der Partner sie verlassen hat. Im schlimmste­n Fall werde als einziger Ausweg der Suizid gewählt.

Doch ist jeder, der bei einem Fußballspi­el auf Sieg oder Niederlage wettet, gleich süchtig oder gar suchtkrank? Bedenklich werde es dann, erklärt Schneider, wenn man beispielsw­eise mit immer höheren Einsätzen spielt. Eine Abhängigke­it lasse sich auch daran erkennen, dass man unruhig werde oder „negative Gefühle“aufkommen, wenn man mal nicht spielt. Oder wenn das Zocken im Leben einen großen Stellenwer­t einnimmt: Wenn man lieber im Wettbüro sitzt, als sich mit Freuden trifft und dafür auch Lügen in Kauf nimmt.

Wie viele Glücksspie­lsüchtige es im Landkreis Neu-ulm gibt, sei schwer zu sagen. Um die 60 Klienten wurden im vergangene­n Jahr von der Beratungss­telle der Diakonie betreut. Die Dunkelziff­er aber sei hoch. „Zu uns kommen sie erst, wenn es ganz arg brennt“, so Schneider.

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FOTO: TIPICO In der Von-liebig-straße in Neu-ulm eröffnet der Sportwette­nanbieter Tipico eine neue Filiale.
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