Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wer das Klima schützt, darf regieren
Grüne machen Kampf gegen Erderhitzung zur Gretchenfrage für eine neue Regierung – Sondierungsgespräche mit CDU, SPD und FDP bis Ende der Woche
- Grün-schwarz oder Ampel: Nach den Landtagswahlen vom Sonntag läuft es in Baden-württemberg auf diese beiden Möglichkeiten einer künftigen Regierungskoalition hinaus. Mit ihren 32,6 Prozent halten die Grünen die Fäden in der Hand und werden entsprechend umworben. Welche Lehren Grüne, SPD und FDP aus den Wahlergebnissen ziehen – und wie es nun weitergeht.
Der Landtag wächst
Der Grünen-fraktionschef Andreas Schwarz hat seine zuvor ausgegebenen Ziele erreicht: Die Fraktion im Landtag sollte wieder die größte werden und weiter wachsen. Dank ihres historischen Wahlergebnisses hat die Öko-partei 58 der 70 Direktmandate erobert. In den 17. Landtag von Baden-württemberg ziehen dadurch 13 Grünen-abgeordnete mehr ein, als der Partei rechnerisch zustünden. Wegen dieser Überhangmandate bekommt die CDU neun Ausgleichsmandate sowie SPD, FDP und AFD jeweils vier. Dadurch wächst der Landtag von bisher 143 auf künftig 154 Sitze an.
Grüne Freude
Auf den Erfolg ihrer Wahlkreis-kandidaten sind die Grünen stolz – gerade in ländlichen Wahlkreisen wie Wangen. „Es freut mich auch, dass Petra Krebs dort das Direktmandat geholt hat. Das war eine Bestätigung für sie“, sagt Fraktionschef Schwarz. Vor fünf Jahren war Krebs noch über die Zweitauszählung ins Parlament eingezogen. Statt diesen Erfolg mit der Popularität ihres Zugpferdes Winfried Kretschmann zu erklären, verweist Schwarz auf die Wahlkreisarbeit der Kandidaten – und nennt als Beispiel Andrea Bogner-unden aus Sigmaringen. Als besonderen Erfolg verbucht Grünen-landeschef Oliver Hildenbrand, dass zwei „unschöne blaue Flecken“nun grün sind: „Es ist schön, dass wir der AFD die beiden Direktmandate in Pforzheim und Mannheim Nord abnehmen konnten.“
Ade Grün-rot
Entgegen aller Prognosen sah es am Sonntag zwischenzeitlich so aus, als würde es ganz knapp für eine Neuauflage der grün-roten Regierung von 2011 bis 2016 reichen. Nun kommen die beiden Parteien auf zusammen 77 Sitze im neuen Parlament und verfehlen damit eine Mehrheit um einen einzigen Sitz. „Das finde ich tatsächlich schade“, sagt der Grünen-landeschef Hildenbrand, der künftig auch als Abgeordneter dem Parlament angehören wird. Hätte es für Grün-rot gereicht, wäre die künftige Regierung wohl am Sonntagabend klar gewesen – davon sind weite Teile von SPD und Grünen überzeugt. Die inhaltlichen Schnittmengen sind groß.
Mit wem die Grünen nun reden
Schon am Sonntagabend hatte Ministerpräsident Kretschmann klar gemacht, dass seine Partei mit allen Parteien außer der AFD sondieren wolle – und zwar der Reihe ihrer Wahlergebnisse nach. So erging am Montag eine Einladung an die CDU für Gespräche am Mittwoch. Bereits am gleichen Tag wollen die Grünen außerdem mit SPD und FDP verhandeln. Alles noch vor der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag. „Wir gehen ohne jede Vorfestlegung und ohne jeden Automatismus in diese Gespräche und sind ernsthaft gespannt“, sagt Hildenbrand. Es gehe dabei um Inhalte, aber auch um die Vertrauensfrage: Mit wem lässt es sich verlässlich fünf Jahre regieren? „Wir wissen noch nicht mit wem, aber sehr genau, was wir wollen“– nämlich Klimaschutz, Innovationen und Zusammenhalt, so Hildenbrand.
Knackpunkt Klimaschutz
Drei Themen seien ihm besonders wichtig in der kommenden Legislaturperiode, hatte Kretschmann gesagt: „Klimaschutz, Klimaschutz, Klimaschutz“. Wie sehr sich die potenziellen Partner hier auf die Grünen zubewegen, wird für eine Regierungsbildung entscheidend sein. Die CDU sei in diesem Bereich der „Bremsklotz“gewesen, hatte Grünen-landeschefin Sandra Detzer beklagt. Um weiter regieren zu können, dürfte die massiv geschrumpfte Union nun aber zu Zugeständnissen bereit sein – etwa bei einer Fotovoltaikpflicht für Dächer beim Neubau von Wohnhäusern. „Ich werde nicht über rote Linien sprechen“, sagt Fdp-landeschef Michael Theurer dazu. „Dass wir als Freie Demokraten für Anreize stehen und nicht für Dirigismus und Verbotspolitik ist ja klar.“Theurer weiß aber auch: Bündnisse lassen sich nur mit Kompromissen schließen. „Es ist natürlich immer ein Geben und Nehmen, und natürlich sind wir nicht gänzlich gegen ordnungsrechtliche Maßnahmen“, sagt er. Für den Vorsitzenden der Liberalen im Landtag Hans-ulrich Rülke ist bei allen Zugeständnissen aber auch klar: „Wir werden uns sicher nicht so in den Staub werfen wie es derzeit die CDU macht.“
Auch die SPD hat sich den Schutz des Klimas auf die Fahnen und ins Wahlprogramm geschrieben. Unüberbrückbare Hürden zu den Grünen gibt es hier nicht – im Gegenteil. Und so sagt Spd-landes- und Fraktionschef Andreas Stoch: „Klimaschutz ist sicherlich einer der schwierigeren Punkte bei der FDP – die weiß aber, dass sie sich bewegen muss.“
Inoffizielle Kanäle
Auch wenn die offiziellen Sondierungsgespräche erst am Mittwoch beginnen, stehen dem Vernehmen nach bereits die Leitungen zwischen den führenden Köpfen der verschiedenen Parteien – auch wenn deren Spitzen dies nicht bestätigen. Schon vorab sollen Knackpunkte angesprochen und möglichst beseitigt werden.
Grün-schwarz oder Ampel?
Stabil und verlässlich, so soll seine dritte Regierung sein, hatte Kretschmann am Sonntag als Devise ausgegeben. Die CDU deutet dies als Hinweis, dass der Ministerpräsident gerne mit ihr weiterregieren möchte. „Stand heute würde ich sagen, dass eine Ampel viel stabiler wäre als Grün-schwarz“, sagt indes Spd-generalsekretär Sascha Binder, „denn Stabilität macht man nicht von der Zahl der Partner abhängig, sondern auch von den Partnern an sich.“Die CDU sei alles andere als stabil. „Sie ist führungslos: Die Spitzenkandidatin und der Landesvorsitzende haben es nicht in den Landtag geschafft.“
Zudem gelte es, zunächst Skandale um Bereicherungen bei Masken-beschaffung und Verbindungen zu Aserbaidschan aufzuarbeiten. „Die CDU hat mehr mit sich selber zu tun, als eine stabile Regierung bilden und wirklich nach vorne gehen zu können.“SPD-CHEF Stoch fasst die Wahl der Grünen so zusammen: „Entweder entscheidet sich Kretschmann für ein bräsiges Weiter-so, oder für eine Zukunftsregierung. Ich sehe die Möglichkeit, sich in einer Ampel auf einen weit größeren Nenner zu einigen als die Grünen das mit der CDU könnten.“Auch FDP-CHEF Theurer betont: „Wir wollen das Verbindende suchen.“Verlässlichkeit: die hänge an Personen und an Absprachen über Inhalte, ergänzt Fraktionschef Rülke. „Unser Thema wäre sicher die Verbindung von Ökonomie und Ökologie, während ich bei Grünschwarz keine Überschrift erkennen konnte.“