Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schwarze Inseln im grünen Meer
Die CDU ringt nach der erneuten Niederlage im Land um Fassung und Erneuerung – Eisenmanns politische Karriere vorerst beendet
- Die kleine dunkle Schwelle vor dem Eingang der Alten Reithalle ist fast nicht zu sehen. In der Stuttgarter Halle versammelt sich am Montagvormittag, nur wenige Stunden nach der Wahl, die Cdufraktion. Sie will einen neuen Vorsitzenden wählen und über den Wahlabend sprechen. Doch ständig stolpert ein Abgeordneter über den kleinen schwarzen Tritt am Eingang. „Wie bei 'Dinner for One’“, scherzt einer. Doch den meisten seiner Parteikollegen ist das Lachen an diesem Montag vergangen. Am Vorabend fuhr die Südwest-cdu mit 24,1 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein. Nach der zweiten Niederlage in Folge stehen die einst so starken Christdemokraten in Baden-württemberg nun vor einer Richtungsentscheidung. Einerseits brauchen sie nach den niederschmetternden Ergebnissen der Landtagswahl dringend eine Erneuerung, andererseits wollen sie um jeden Preis weiterregieren und müssen dafür Zusammenhalt und Konstanz beweisen.
„Für uns war es bitter und auch enttäuschend, dass wir landespolitische Themen wie Wirtschaft, Sicherheit und Stabilität im Wahlkampf nicht transportieren konnten“, sagt Wolfgang Reinhart, der sich in der Alten Reithalle für die Zeit der Sondierungsund Koalitionsgespräche zum Fraktionsvorsitzenden wählen ließ. Ähnlich sieht das Raimund Haser, der sein Direktmandat in Wangen wenige Stunden zuvor an seine grüne Konkurrentin abgeben musste. „Wir sind thematisch gut aufgestellt. Und ich glaube, dass die Menschen eine Sehnsucht nach Haltung haben. Die bieten wir, aber es ist uns nicht gelungen, das zu präsentieren.“Trotzdem sieht er keinen Grund für Verzweiflung. „Wir sind reflektiert, aber kämpferisch“, sagt er. „Wir müssen jetzt sicher nicht in Sack und Asche gehen.“
Doch wer die Dramatik des Cduabsturzes in Baden-württemberg verstehen will, muss sich nur die Karte der Direktmandate des Landes anschauen. Aus einer schwarzgefärbten Landkarte des Südwestens ist binnen eines Jahrzehnts eine grüne Fläche geworden. Nur ein paar Wahlkreise in Oberschwaben, dem Schwarzwald und im Norden des Landes bleiben der CDU als schwarze Inseln. In nur zwölf von 70 Wahlkreisen holte ein Cdu-kandidat das Direktmandat. Einigermaßen sicher geglaubte Wahlkreise wie der von Haser in Wangen gingen an die Grünen. Und selbst Spitzenpolitiker der Partei, wie etwa Landeschef Thomas Strobl, der im Wahlkreis Heilbronn kandidierte, müssen auf ein Mandat verzichten. In Ehingen wurde der 32jährige Manuel Hagel zwar Cdustimmenkönig, doch für dieses landesweit beste Wahlergebnis der Partei reichen 35,9 Prozent. Zum Vergleich: 2006 erreichte die CDU landesweit ein Ergebnis von knapp 45 Prozent. Damals gingen 69 von 70 Wahlkreisen direkt an die CDU, 2016 waren es immerhin noch 22.
Wegen der Zweitausteilung ist die Fraktion im Landtag numerisch nicht geschrumpft – wohl aber im Verhältnis. Zu den zwölf Direktmandaten kommen 30 Zweitmandate. Wie bisher bilden also 42 Cdu-abgeordnete die Fraktion. Wegen des besonderen Wahlrechts in Baden-württemberg wächst der Landtag insgesamt jedoch von 143 auf 154 Sitze. Immerhin: Der Frauenanteil in der Cdu-fraktion steigt von 23 auf 26 Prozent.
Insgesamt aber, da sind sich viele in der CDU einig, kann es so nicht weitergehen. Schon am Sonntagabend waren Stimmen laut geworden, die eine Erneuerung der Partei forderten. „Wir werden auf der Zeitachse auch neue Köpfe brauchen. Wenn wir in die Opposition kommen, stellt sich diese Frage sehr schnell“, sagte etwa Agrarminister
Peter Hauk. Sonst habe man vielleicht noch zwei, drei Jahre Zeit. Zur ersten Machtprobe kam es dann aber gleich am Montag in der Alten Reithalle. Fraktionschef Wolfgang Reinhart hatte geladen, um sich in seinem Amt bestätigen zu lassen. Der frühe Termin und die Reihenfolge der Tagesordnung hatten bereits im Vorfeld in der Fraktion für Missmut gesorgt. Denn: Reinhart wollte sich wählen lassen und erst danach über die Wahlmisere reden. Aufkommendem Widerstand kam Reinhart dann zuvor. Er tauschte die Tagesordnungspunkte und schlug vor, seine
Amtszeit zu begrenzen, bis entschieden ist, ob es zu einer Neuauflage der grün-schwarzen Koalition in Badenwürttemberg kommt. Mit 32 von 40 Stimmen wurde er in dieser Position schließlich bestätigt und bekam den Auftrag, gemeinsam mit Thomas Strobl die Partei in den Koalitionsverhandlungen in der Regierung zu halten. „Ich freue mich, dass mich die neue Fraktion legitimiert und beauftragt hat, bis zur Regierungsbildung in die Sondierungen zu gehen. Ich gehe davon aus, dass wir uns im Anschluss auch zu Koalitionsgesprächen treffen“, sagt er. Doch fest im
Sattel sitzt Reinhart nicht mehr. Andere Kandidaten bringen sich bereits in Stellung. Der Job des Fraktionsvorsitzenden wäre im Fall eines Rauswurfs aus der Regierung einer der wenigen prestigeträchtigen und besser dotierten Jobs in der CDU. Im Gespräch ist etwa Manuel Hagel aus Ehingen. Momentan ist der 32-Jährige noch Generalsekretär der Südwest-cdu. An der Spitze der Fraktion stünde der 32-Jährige für die vielgewünschte Erneuerung. Doch als Generalsekretär ist er traditionell für die Wahlkampagne zuständig – und könnte deshalb von seinen Parteikollegen für das Wahldesaster mitverantwortlich gemacht werden.
Raimund Haser kennt die Stärken Hagels. „Er hat sich als Generalsekretär etabliert und sich viel Zustimmung erarbeitet“, sagt er. „Aber es gibt auch neben ihm noch viele andere Abgeordnete, die für einen Neuanfang stehen würden.“Für Haser muss es mit der Erneuerung der CDU ohnehin nicht ganz so schnell gehen. „Die Leute rufen nach neuen Schaufenstern“, sagt er. „Und natürlich muss eine thematische Öffnung mit einer personellen Neubesetzung einhergehen. Aber das muss doch nicht heute oder morgen sein. Jetzt gilt es erst einmal, die Pandemie zu bekämpfen.“
Für den Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith liegt das Problem der CDU ganz woanders. „Die Frage ist nicht, welches Durchschnittsalter die Abgeordneten haben oder wie die Geschlechtsaufteilung ist, sondern ob sie die Themen und die Stimmungen erfassen können“, sagt er. Die CDU habe die Fähigkeit, die Stimmung und die Themen im Land einschätzen zu können, verloren. In den vergangenen Jahren seien die baden-württembergischen Christdemokraten viel zu sehr mit innerparteilichen Positions- und Machtrivalitäten beschäftigt gewesen, findet Eith. Dabei hätten sie das verlernt, was Winfried Kretschmann heute auszeichnet: das Zuhören.
Susanne Eisenmann, der Spitzenkandidatin, kann die zukünftige Ausrichtung der CDU egal sein. Ihre politische Karriere scheint vorerst beendet. Sie werde die Verantwortung übernehmen, hatte sie am Wahlabend angekündigt. Ein führendes Amt in der Partei will sie nicht mehr anstreben. Nach der Sitzung am Montag überschreitet sie unfallfrei die kleine Schwelle am Ausgang mit einem Blumenstrauß in der Hand. Den wartenden Journalisten ruft sie zu: „Ich hab’ alles gesagt.“
Wo in der Region die Parteien am meisten gewonnen und verloren haben online auf www.schwaebische.de/gewinner-verlierer