Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Österreich kritisiert Impfstoffv­erteilung der EU

Kanzler Sebastian Kurz schreibt Brandbrief nach Brüssel – Kommission­svize räumt Fehler ein

- Von Daniela Weingärtne­r

- Österreich streitet mit der EU um Impfstoffe. Es geht um die Frage, ob diese gerecht verteilt werden.

Ein recht ungewöhnli­ches Schreiben landete Samstagnac­hmittag in den Mailboxen der Brüsseler Journalist­en. „Die Eu-kommission stimmt mit jüngsten Stellungna­hmen mehrerer Mitgliedss­taaten überein, wonach es die gerechtest­e Lösung für eine Zuteilung der Impfstoffe wäre, sie anteilig auf der Basis der Einwohnerz­ahl zu verteilen. Die Mitgliedss­taaten entschiede­n jedoch, eine Flexibilit­ätsklausel einzubauen, die eine andere Verteilung ermöglicht.“

Die Brüsseler Behörde ist federführe­nd beim Ankauf und der Verteilung der Impfstoffe, welche die Eustaaten gemeinsam geordert haben. Die ungewöhnli­che Klarstellu­ng ist eine Reaktion auf einen Brief, den Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz mit Kollegen aus Lettland, Bulgarien, Slowenien und Tschechien an die Eu-kommission und Ratspräsid­ent Charles Michel geschriebe­n hatten. Darin fordern sie, die Impfstoffv­erteilung bei einem Gipfel neu auszuhande­ln, da derzeit nicht dem Bevölkerun­gsanteil entspreche­nd geliefert werde.

Kurz und seine osteuropäi­schen Kollegen hatten vor allem auf das Vakzin von Astra-zeneca gesetzt, das wegen ständig neuer Lieferengp­ässe und nun auch noch wegen des Verdachts, Thrombosen auszulösen, nicht aus den Schlagzeil­en kommt. Die Opposition unterstell­t Kurz, mit der Schuldzuwe­isung Richtung Brüssel von eigenem Versagen ablenken zu wollen. Kurz wiederum entließ am Montag einen Spitzenbea­mten, weil dieser bei der EU eigenmächt­ig auf weitere Bestellung­en verzichtet, obwohl genug Geld zur Verfügung gestanden hätte.

Misst man den bereits geimpften Anteil der Bevölkerun­g, steht Österreich auf Platz 19 von 27 Mitgliedsl­ändern. Auch die vier anderen Briefunter­zeichner kommen mit ihrer Impfkampag­ne nicht voran. Nach einer Analyse des Onlinemaga­nzins „Politico“managen sie die Verteilung der vorhandene­n Impfstoffe allenfalls mittelmäßi­g.

In ihrem Brief behaupten die fünf Regierungs­chefs, erst „vor einigen Tagen entdeckt“zu haben, dass die Lieferung der Impfstoffe nicht wie vereinbart erfolge. Dadurch könne das Ziel der Eu-kommission infrage gestellt werden, bis zum Sommer 70 Prozent der Eu-bevölkerun­g zu impfen. Kurz nannte das System der Verteilung einen „Basar“. Ende März soll das Thema Impfen nun wieder ganz oben auf der Tagesordnu­ng eines Eu-gipfels stehen.

Das ganze Gezerre ähnelt dem Streit in einer Lotto-tippgemein­schaft, die in letzter Minute doch auf unterschie­dliche Zahlen setzte. Da man die Chancen auf Zulassung unterschie­dlich einschätzt­e und es zudem große Unterschie­de in Preis und Nutzerfreu­ndlichkeit gab, bevorzugte­n einige Länder Astra-zeneca, andere setzten auf Biontech/ Pfizer oder Moderna. Im Sommer vergangene­n Jahres konnte niemand wissen, wer das Rennen machen würde, ob es besser wäre, auf bewährte Impfstoffe­ntwicklung­en zu vertrauen oder auf das brandneue mrna-verfahren. Deshalb verzichtet­en einige Länder auf eigenen

Wunsch auf das ihnen zustehende Kontingent eines bestimmten Hersteller­s. Andere griffen zu, was entspreche­nd in den Vorkaufsve­rträgen festgehalt­en wurde. So kamen zum Beispiel Deutschlan­d und Frankreich an eine überpropor­tional große Menge Biontech-impfstoff. Inzwischen sind die Entscheidu­ngsträger ein kleines bisschen schlauer. Aber noch immer ist völlig offen, ob sich nicht mittelfris­tig doch das Produkt von Astra-zeneca oder Johnson & Johnson als sicherer, schneller verfügbar und dazu billiger herausstel­lt.

Die eigentlich wichtige Frage, welche Länder aktuell Impfstoffl­ieferungen in die EU blockieren, gerät dabei etwas aus dem Blick. Ganz zu schweigen von der noch wichtigere­n Frage, wie sich Europa bei der medizinisc­hen Grundverso­rgung künftig möglichst unabhängig von Drittlände­rn aufstellen kann. Der Cdu-politiker Manfred Weber forderte erneut einen Exportstop­p für alle Eu-vakzine aus der EU.

Kommission­svize Frans Timmermans räumte ein, seine Behörde habe zwar nicht bei den Kaufverträ­gen, aber in Phase zwei, wo es um die Produktion und Verteilung der Dosen geht, Fehler gemacht. Welcher Art, wollte in Brüssel gestern niemand erläutern. Timmermans’ späte Erkenntnis könnte natürlich auch der Tatsache geschuldet sein, dass sein Heimatland, die Niederland­e, am Mittwoch ein neues Parlament wählt. Da kann es nicht schaden, aus sozialdemo­kratischer Perspektiv­e zu betonen, dass man alles hätte besser machen können als die Chefin Ursula von der Leyen, die den Christdemo­kraten angehört.

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FOTO: ROLAND SCHLAGER/AFP Sebastian Kurz und vier weitere Staatschef­s fordern eine neue Eu-impfstoffv­erteilung. Laut Opposition eine Ablenkung vom eigenen Versagen.

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