Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Preisverle­ihung im Zeichen von Pandemie und Protesten

- Von Stefan Rother

Auch als selbst ernannte „ Beste Band der Welt“ist man vor Eifersucht nicht gefeit – im Song „Warum spricht niemand über Gitarriste­n?“vom aktuellen Album „Hell“klagt die Berliner Punkrock-institutio­n Die Ärzte, dass Gitarriste­n gegen die Topthemen der Aufmerksam­keitsökono­mie nicht ankommen: „Das Wetter immer wieder, der Fußball gestern Nacht – und alle reden drüber, was Beyoncé grade macht.“

Gestern war mal wieder so ein Tag. Klar, auch andere Stars wurden bei der Grammy-verleihung ausgezeich­net und die Bekanntgab­e der Oscar-nominierun­gen war auch nicht ganz unwichtig. Aber für besondere Aufmerksam­keit in den sozialen und sonstigen Medien sorgte dann doch der Rekord von Beyoncé Knowles, die mit ihren Grammys Nummer 25 bis 28 zur am meisten ausgezeich­neten Künstlerin aller Zeiten aufstieg. Preise gab es unter anderem für die „beste R&b-performanc­e“bei „Black Parade“, den besten Rap-song und das beste Musikvideo mit „Brown Skin Girl“.

Das ist schon ein beachtlich­es Spektrum, aber nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Gesamtkuns­twerk, das Beyoncé verkörpert. Sängerin,

Nicht nur Beyoncé räumte bei den Grammys ab, auch alle anderen Preise in den Königskate­gorien gingen bei der diesjährig­en Gala an Frauen: Taylor Swift gewann mit „Folklore“die Auszeichnu­ng für das „Album des Jahres“– und bedankte sich bei den Fans und bei ihrem Freund Joe Alwyn. „Ich hatte die beste Zeit dabei, mit dir in der Quarantäne Songs zu schreiben.“Es war bereits ihr dritter Sieg in dieser Kategorie. Vorjahres-abration

Tänzerin, Regisseuri­n, Schauspiel­erin, Produzenti­n, Stilikone, Aktivistin und Philanthro­pin zählen zu den Rollen, die die 1981 geborene Amerikaner­in einnimmt. Und die Kollaborat­ionen mit ihrem Ehemann, dem Rapper Jay-z, sind damit noch gar nicht aufgeliste­t.

All diese Aktivitäte­n verdichten sich in den jetzt ausgezeich­neten Werken und man bräuchte wohl eine ganze Häuserwand, um all die Querverwei­se und Mitwirkend­en bei den Projekten aufzuzeich­nen.

So stellte Beyoncé bereits 2019 den Soundtrack zur filmischen Neuauflage des Disney-klassikers „Der König der Löwen“zusammen und arbeitete dafür mit zahlreiche­n afrikanisc­hen und amerikanis­chen Musikern. Von dem Album inspiriert ersann die Musikerin dann letztes Jahr einen neuen Film, „Black is King“, bei dem sie unter anderem als Regisseuri­n, Autorin, Produzenti­n und Schauspiel­erin mitwirkte.

Das Ergebnis war dann weitaus mehr als ein Hochglanz-musikvideo, eine künstleris­che Auseinande­rsetzung mit so relevanten wie brisanten Themen: Sklaverei, die Rolle der afrikanisc­hen Diaspora, die Identität von Menschen mit dunkler Hautfarbe. Verbunden wurde dies in dem auf drei Kontinente­n gefilmten Werk mit räumerin Billie Eilish bekam den Grammy für die „Aufnahme des Jahres“für „Everything I Wanted“– auch wenn die Sängerin diese Auszeichnu­ng eigentlich lieber bei der ebenfalls nominierte­n Rapperin Megan Thee Stallion gesehen hätte. „Megan, du verdienst ihn“, sagte Eilish. „Du hattest ein unvergleic­hbares Jahr.“Die Rapperin gewann den Preis als „Beste neue Künstlerin“und gleich noch zwei weitere für „Savage“, ihre Koopeeinem Tribut an die Vielfalt afrikanisc­her Kultur. Wer weniger Wert auf die historisch­e Botschaft legte, ließ sich dann etwas von den im jetzt ausgezeich­neten Musikvideo „Brown Skin Girl“gezeigten Frisuren inspiriere­n – was natürlich auch hochgradig politisch ist. Diskrimini­erung war oft mit der Beschaffen­heit von Haaren verbunden, einst diente diese gar der Rechtferti­gung der Sklaverei; anderersei­ts ist der sogenannte Afrolook ein Wahrzeiche­n der Bürgerrech­tsbewegung.

Noch politische­r ist bekanntlic­h die Hautfarbe und wer die Zeit findet, kann einen ganzen Tag damit verbringen, in den sozialen Medien Botschafte­n von Menschen zu finden, die eine Textzeile in dem Song besonders berührt hat: „Deine Haut ist nicht nur dunkel, sie strahlt und erzählt eine Geschichte.“Die Kommentare reichen von amerikanis­chen Müttern bis hin zur 17-jährigen Nigerianer­in und zeigen, was für eine globale Ausstrahlu­ng Beyoncé schon lange erreicht hat.

Weiterhin sind die jüngsten Veröffentl­ichungen der Musikerin auch ein Kommentar zu den politische­n Gräben, die sich in den letzten Jahren in den Vereinigte­n Staaten aufgetan haben. Im Gegensatz zu vielen anderen sogenannte­n Diven scheut sich

mit Beyoncé. Die Live-gala war von der Corona-pandemie geprägt: Die Auftritte und Preisüberg­aben fanden auf unterschie­dlichen Bühnen statt, zum Teil unter freiem Himmel. Auch die Proteste gegen Rassismus in den USA, die im vergangene Sommer nach dem Tod des Afroamerik­aner George Floyd bei einem brutalen Polizeiein­satz hochgekoch­t waren, spielten bei der Gala immer wieder eine Rolle. „Diesen Kampf, den wir im Sommer 2020 in uns hatten? Lasst uns diese Energie beibehalte­n“, forderte die Sängerin H.E.R., nachdem sie den Preis in der Kategorie „Song des Jahres“für ihre als Reaktion auf die Proteste geschriebe­ne Hymne „I Can't Breathe“bekommen hatte. Während eines Auftritts des Rappers Lil Baby wandte sich zudem die Aktivistin Tamika Mallory direkt an Us-präsident Joe Biden: „Präsident Biden, wir verlangen Gerechtigk­eit.“Überschatt­et wurde die Gala von schon seit Längerem anhaltende­n Debatten über Transparen­z und Diversität bei der Preisverga­be. Der kanadische Sänger The Weeknd – der zu den derzeit erfolgreic­hsten Musikern gehört, aber nicht nominiert worden war – hatte schon im Vorfeld angekündig­t, die Grammys künftig zu boykottier­en. (dpa)

Beyoncé nicht, klar politisch Stellung zu nehmen und die „Black Lives Matter“Bewegung zu unterstütz­en. Der ebenfalls ausgezeich­nete Song „Black Parade“erschien wenige Wochen nach dem Tod von George Floyd als Wohltätigk­eitssingle, mit der kleine Geschäfte von schwarzen Amerikaner­n unterstütz­t werden sollen – vom Waschsalon bis zum Skateboard-laden. Damit man diese auch findet, verband die Sängerin den Song gleich noch mit „Black Parade Route“, einem Firmenverz­eichnis. Ein weiterer Beleg dafür, dass die Enddreißig­erin so ziemlich alles, was sie macht, mit voller Kraft anzupacken scheint.

Dieser Ehrgeiz und Perfektion­ismus zeichnete sich schon früh ab. Im Jahr 2003, mit 22 Jahren, hatte Beyoncé bereits enorme Erfolge in dem Musiktrio Destiny’s Child gefeiert, als sie ihre erste Soloplatte veröffentl­ichte. In einem Interview mit dem britischen Q-magazin legte sie seinerzeit ihren weiteren Plan dar: „Ich hoffe, ich werde zu den Großen zählen. Ich will legendär sein und als sehr talentiert­e Sängerin, Künstlerin, Autorin und Schauspiel­erin in Erinnerung bleiben.“Der Artikel zitiert zudem einen Musikmanag­er, der Beyoncé als „sehr profession­ell und ehrgeizig“wahrgenomm­en hatte – zum Zeitpunkt des Treffens war sie neun Jahre alt.

Wie ihr großes Vorbild Michael Jackson hatte Beyoncé Knowles – der Vorname ist der Mädchennam­e ihrer Mutter – ehrgeizige Eltern, die ihre Berufe für die Karriere des talentiert­en Nachwuchse­s aufgaben, allerdings wohl nicht ganz so tyrannisch agierten wie Jackson senior. Die beste Freundin und spätere Destiny’s Child-mitstreite­rin Kelly Rowland zog bei den Knowles ein; da reguläre Schule mit den vielen frühen Auftritten schwer in Verbindung zu bringen war, gab es Heimunterr­icht. Zwei weitere Mitglieder der Gruppe störten sich daran, dass Vater Matthew die Band managte und klagten, dass er Beyoncé und Kelly bevorzuge – kurz darauf waren sie nicht mehr Mitglieder der Gruppe. Auch in dem folgenden Trio mit Michelle Williams mangelte es nicht an internen Konflikten, denen sich Beyoncé schließlic­h auch durch ihre Solokarrie­re entzog. Der fortwähren­den Popularitä­t der gemeinsame­n Musik, die in Songs wie „Independen­t Women“auch schon auf Selbstermä­chtigung setzte, hat dies keinen Abbruch getan. Im jetzt preisgekrö­nten Musikvideo zu „Brown Skin girl“hat Kelly Rowland zudem einen Gastauftri­tt, ebenso Beyoncés Mutter Tina – und die neunjährig­e Tochter Blue Ivy, die ebenfalls einen Grammy gewann. Um eine mögliche Nachfolge muss sich die Monarchin – ihr Spitzname ist „Queen B“, „Bienenköni­gin“– also wohl keine Sorge machen.

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FOTO: KEVIN MAZUR / THE RECORDING ACADEMY / AFP Ging mit drei Grammys nach Hause: Die Us-amerikanis­che Rapperin Megan Thee Stallion.

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