Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit dem Boxster gerade noch die Kurve gekriegt
Der kleine Roadster von Porsche wird 25 Jahre alt – Manche Experten halten ihn für den ehrlicheren Elfer
(dpa) - Es gibt bessere Gelegenheiten für Open-air-momente als Detroit im Winter. Denn selbst wenn es an diesem 5. Januar 1993 ungewöhnlich mild ist in Michigan, hat dennoch ganz sicher kein Besucher der Detroit Motor Show jenen neuen Roadster auf der Rechnung, den Porsche da als Studie ins Scheinwerferlicht gerückt hat. Umso größer ist die Begeisterung für den silbernen Zweisitzer, dem sie den Namen Boxster aufs Blech geklebt haben. So groß, dass der Stuttgarter Sportwagenhersteller nur drei Jahre später, im März 1996, die kaum veränderte Serienfassung vorstellt und sie im Sommer zu Preisen ab 76 500 D-mark in den Handel bringt. Für kaum mehr als die Hälfte dessen, was damals ein 911 Cabrio kostet.
Damit beginnt vor ziemlich genau 25 Jahren die Karriere eines Sportwagens, den viele für das vielleicht authentischste Modell von Porsche halten – ohne das es die Firma heute vielleicht gar nicht mehr geben würde. Der Zeitpunkt für die Premiere war wohl gewählt, denn beflügelt vom Mazda MX-5 erlebt der Roadster in den frühen 1990er-jahren eine gewaltige Renaissance, die auch die deutschen Nobelhersteller erfasst: BMW bringt den Z3, Mercedes den SLK und Porsche den Boxster.
Doch hat der Wagen für die Zuffenhausener eine ungleich wichtigere Bedeutung: Die Baureihen 928, 968 und der 911 der Generation 964 haben alle ihren Zenit überschritten, bilanzieren die hauseigenen Historiker in der Rückschau. Auf dem wichtigen Us-markt gesellt sich Porsche zu den Totgesagten, Umsatz und Ertrag sind im Keller. Dann übernimmt ein neues Team mit Wendelin Wiedeking als Vorstand, Horst Marchart als Entwicklungschef und Harm Lagaay als Designer und versucht mit dem Boxster die Kehrtwende.
Stilistisch besinnen sie sich mit dem 4,32 Meter langen und 1,32 Meter flachen Roadster mit dem internen Code 986 auf ihre Wurzeln und zitieren Ikonen wie den durch James Dean berühmt gewordenen 550 Spyder oder den Rennsportwagen 718 RS 60 Spyder – und treffen den Nerv der Zeit so genau, dass es kaum mehr Änderungen gibt. Während sonst zwischen Studie und Serie oft noch jahrelang retuschiert wird, grätscht der Vorstand hier laut Pressesprecher
Jonas Bierschneider rein und ordnet kurzerhand an: „Bitte genauso bauen.“
Doch technisch gehen sie einen neuen Weg: Sie stellen den Sechszylinder-boxermotor nicht nur von Luft- auf Wasserkühlung um, sondern etablieren auch ein neuartiges Gleichteilekonzept, erinnert sich Bierschneider: Der Boxster nutzt bereits Komponenten des ein Jahr später präsentierten 911 der Generation 996 und ermöglicht so die Rückkehr zu einer profitablen Produktion.
Und die Nachfrage übertrifft alle Erwartungen: Schon 1997 werden deutlich mehr Boxster bestellt, als das Stammwerk Zuffenhausen bauen kann. Deshalb lässt Porsche den Zweisitzer – das hat es zuvor nie gegeben – auch beim Karosseriebauer Valmet im finnischen Uusikaupunki montieren.
Die Verwandtschaft mit dem 911 tut dem Boxster gut: Während Porsche-fans frühere Einstiegsmodelle wie den 914 nie so richtig ernst genommen haben, steht die Abstammung
jetzt außer Frage: Der Boxster wird auf Anhieb als echter Porsche akzeptiert. Und die Werbung tut ihr Übriges dazu: „Bevor Sie sich in die Tochter verlieben, schauen Sie sich die Mutter genauer an“, wird plakatiert.
Spätestens nach der ersten Ausfahrt sind alle Zweifel ohnehin wie weggeblasen: Denn mit seinen 204 PS und 245 Newtonmetern hat der 2,5 Liter große Sechszylinder mit dem nur 1250 Kilo schweren Boxster tatsächlich leichtes Spiel. Das Auto tänzelt förmlich auf der Ideallinie und hat einen Biss, wie ihn selbst die stärkeren 911 nur noch in den scharfen Sportversionen entwickeln.
Natürlich sind 6,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h für einen Porsche allenfalls Durchschnitt. Und über 240 km/h Spitzengeschwindigkeit mögen eingefleischte Elfer-fahrer milde gelächelt haben. Doch in diesem kleinen und leichten Sportwagen, mit dem Wind in den Haaren und dem Triebwerk direkt im Nacken, fühlt sich das alles viel schneller, intensiver und authentischer an. Zumal es ja nicht beim 2,5-Liter-motor bleiben muss. Schon die erste Boxster-generation bekommt 1999 einen 2,7-Liter-motor mit zuletzt 228 PS und den Boxster S mit 3,2 Litern Hubraum und später 260 PS.
Mit dem Generationswechsel 2004 wird aus dem 986 der 987, der Hubraum klettert auf bis zu 3,4 Liter und die Leistung auf maximal 310 PS. Außerdem wird dem Boxster ein Bruder zur Seite gestellt. Vom Erfolg des Roadsters beflügelt, präsentieren die Stuttgarter 2005 mit der gleichen Technik das Coupé Cayman. 2012 folgt die Generation 981, die mit kürzeren Überhängen, nach vorne gerückter Frontscheibe und Stoffdach ohne Verdeckkasten noch knackiger auftritt – und mit Motoren mit maximal 3,8 Litern und 375 PS noch schneller fährt.
Vier Jahre später allerdings stellt Porsche die Weichen noch einmal um, bringt die Baureihe 982 und rüstet bei den Motoren ab: Die Leistung liegt zwar bei bis zu 365 PS, doch müssen von nun an vier Zylinder reichen. Nur im Boxster Spyder von 2019 und dem GTS 4.0 von 2020 feiert der Sechszylinder mit 400 PS noch einmal ein furioses Comeback. Kein Wunder, dass auch das Sondermodell zum runden Geburtstag im Frühjahr 2021 mit diesem Motor ausgestattet ist.
25 Jahre und rund 357 000 Exemplare nach dem Debüt steht der Boxster jetzt an der Schwelle zum Oldtimer und ist für Fans der Marke nach Einschätzung des Marktbeobachters Frank Wilke der vielleicht attraktivste Porsche in der Palette: „Einerseits sind der Boxster und sein geschlossener Bruder Cayman die ehrlicheren Elfer, weil sie keine übergewichtigen Wohlstandsautos geworden, sondern echte Sportwagen geblieben sind und mit weniger Leistung deutlich mehr Fahrspaß bieten“, sagt der Chef des Analysehauses Classic-analytics. „Und andererseits haben sie die gewaltigen Preissprünge ihres großen Bruders bislang nicht erlebt.“
Noch kann man für verhältnismäßig kleines Geld gute Autos aus erster oder zweiter Hand bekommen, wie Wilke sagt. Er taxiert die Marktpreise für gute Autos aus der ersten Serie auf 17 000 Euro aufwärts: „Wer da jetzt nicht zuschlägt, wird sich vielleicht schon in fünf Jahren gewaltig ärgern.“