Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
In dunklen Löchern
Alarm beim Welterbe Eiszeithöhlen auf der Schwäbischen Alb – Geldmangel bedroht den Fortbestand des Archäoparks im Lonetal
- „Zottel“wird aufgehübscht. Zwei Handwerker bemühen sich bei kaltem Märzwind um das dreieinhalb Meter hohe Monstrum in seinem braun-schwarzen Kunststofffell. Es stellt ein Mammut dar, einen Urelefanten. Es gilt als besondere Attraktion des Archäoparks bei Niederstotzingen nordöstlich von Ulm. So haben den Spitznamen „Zottel“Besucher in einer Abstimmung festgelegt. „Wegen des zotteligen Fells“, klärt Parkchefin Anika Janas auf.
Schön, denkt man sich. Aber vielleicht wäre es noch schöner, wenn „Zottel“Bestandsschutz hätte. Es ist nämlich nicht nur dafür da, Gäste staunen zu lassen. Hinter ihm steht hehre archäologische Wissenschaft, steckt ein Welterbe der Un-kulturorganisation Unesco: die Eiszeithöhlen der südlichen Schwäbischen Alb. Deren Prunkstück sind die dort gefundenen bis zu 43 000 Jahre alten Kunstobjekte – die ersten der Menschheit. Ziemlich viel Verantwortung für „Zottel“. Und eine weitere, weniger schmückende Bürde könnte folgen. Denn der Mammutnachbau kann womöglich zum Symbol für eine Diskussion über Sinn und Unsinn jener von der Unesco verliehenen Welterbe-titel werden.
Wenn jetzt aber Handwerker Schrauben an „Zottel“nachziehen, geht es zuvorderst darum, den Archäopark fit für eine Wiedereröffnung am 1. April zu machen – mit seinem Museum, mit Darstellungen vom Urzeit-leben und der Möglichkeit, die Vogelherdhöhle zu besuchen. „Sie ist eine der wichtigen Fundstellen“, erinnert Janas an deren Bedeutung. Besonders aufsehenerregend: elf Tierfiguren aus Elfenbein, darunter sinnigerweise ein Mammut, etwa 32 000 Jahre alt.
Die Parkchefin versprüht angesichts der Öffnungsoption gute Laune. Doch der Schlüssel am Eingang dreht sich nur, wenn Corona es will. Abseits davon droht jedoch weiteres Ungemach. Dies hängt mit dem Geld zusammen. Der Archäopark steht nämlich finanziell gesehen auf wackeligen Füßen.
Sein Träger ist die Stadt Niederstotzingen, ein 4750-Seelenort mit vernachlässigbarer Wirtschaftsleistung. „Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir an die Grenze der finanziellen Belastbarkeit gekommen sind“, hat nun Bürgermeister Marcus Bremer zum Jahresbeginn attestiert. Der Grund liegt darin, dass Förderungen auslaufen. Gesichertes Geld ist bloß noch bis Ende 2022 da. Es müsste also etwas nach kommen – etwa vom Land Badenwürttemberg. Ansonsten will Niederstotzingen den Park schließen.
Welch fatales Signal dies wäre, macht Bremer deutlich: „Fraglich ist, wie es mit dem Unesco-titel ,Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb‘ weitergeht, wenn eine zentrale Besucher- und Informationsstätte den Betrieb einstellen muss, weil eine kleine Kommune die Finanzierung nicht mehr stemmen kann. Der resultierende Imageverlust für das ganze Land wäre immens und würde sich auf die Evaluation des Unescowelterbes äußerst negativ auswirken“– sprich, auf die Bewertung der Höhlen.
Dabei hatten Landesregierung und die Menschen vor Ort das Erringen des Titels vor vier Jahren teilweise fast überschäumend gefeiert. Er ist der jüngste, den menschliche Hinterlassenschaften in Baden-württemberg erringen konnten. Zuvor waren das Kloster Maulbronn, die Klosterinsel Reichenau, der römische Limes, die Pfahlbauten am Bodensee und zwei Häuser des Stararchitekten Le Corbusier in der Stuttgarter Weissenhofsiedlung zum Welterbe aufgerückt.
Sechs Höhlen adelte die Unesco. Drei befinden sich im Achtal unweit von Blaubeuren: Hohle Fels, Sirgenstein und Geißenklösterle. Die anderen liegen im Lonetal bei Niederstotzingen, darunter der besagte Vogelherd im Archäopark, dazu der Hohlenstein-stadel sowie die Bockstein-höhle.
Nur zwei davon sind jederzeit frei zugänglich.
Insgesamt gesehen handelt es sich um unspektakuläre Höhlen, im Fall des Geißenklösterles sogar bloß um eine Felsennische – alles weit weg vom Glanz der Tropfsteinhöhlen, die es in der Gegend ebenso gibt. Eine ältere Einheimische berichtet über ihre Erfahrungen mit den Welterbe-löchern: „Da drin haben wir früher bei Wanderungen am 1. Mai immer ein Lagerfeuer gemacht und Würstle gegrillt.“Respekt sieht anders aus.
Besucher von weiter her ließen sich in Vor-welterbezeiten mit den Höhlen kaum anziehen. Ach- und Lonetal hatten gemeinsam, dass man schnell daran vorbeifuhr.
Hinzu kommt, dass die dortige ökonomische Struktur unterentwickelt ist – oder am Beispiel des Zementwerks beim Achtalstädtchen Schelklingen sogar abschreckend wirkt. Das heißt: Durch das Welterbe-etikett konnte alles nur noch besser werden. Das war zumindest die frohe Hoffnung diverser Bürgermeister und Ortsvorsteher. Aus ihren Mündern konnte vernommen werden: „Das ist unsere Chance, Gäste hierherzubringen.“Und diese sollten natürlich Euros vor Ort liegen lassen.
Nebenbei stärkt ein Ehrentitel das Selbstwertgefühl manches Einheimischen. Dies lässt sich etwa am Ortseingang des ansonsten unscheinbaren Lonetal-dorfs Rammingen feststellen: „Wir in Rammingen sind Unesco-welterbe“steht dort auf einem Schild. Wobei die betreffende Höhle ein paar Kilometer abseits liegt.
Soweit touristische Beweggründe und Lokalpatriotismus. Sie greifen wieder auf das zurück, was die hohe Wissenschaft geliefert hat. Seit rund 160 Jahren beschäftigen sich Archäologen mit den Höhlen. Legendär sind diverse Funde – darunter das als Venus vom Hohle Fels bekannte Elfenbein-figürlein oder der Löwenmensch vom Hohlenstein-stadel aus demselben Material.
Abseits solcher Skulpturen beeindruckt die Fachwelt knöcherne Flöten. Alles in allem lautet die wissenschaftliche Expertise der ausgegrabenen Objekte: „das beeindruckendste frühe Ensemble von Kunstwerken, das bislang bekannt ist“. Volkstümlich ausgedrückt: Die menschliche Kultur nahm ihren Anfang offenbar auf der Schwäbischen Alb. Ein rührige Vorstellung, wenn man dort lebt.
Befeuert hat sie ein Professor der altehrwürdigen Tübinger Universität: Nicholas Conard, amerikastämmiger Chef der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie. Er ist die Schlüsselfigur auf dem Weg zum Welterbe. Sensationsfunde wie die Venus vom Hohle Fels vor 13 Jahren gehen auf seine Ausgrabungskampagnen zurück. Conard verschwand damit aber nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm. Er trommelte hörbar für die Eiszeithöhlen und ihre Bedeutung bei der menschlichen Entwicklung.
Die Botschaft erreichte das Wirtschaftsministerium in Stuttgart, als oberste Denkmalschutzbehörde die zuständige Stelle für eine Weitergabe für Unesco-bewerbungen. Vor Ort wurde man wach, tätigte erste Investitionen. 2013 war die Eröffnung des Archäoparks bei Niederstotzingen dran. Das Schiedskomitee der Unesco sieht solche Ansätze zum Aufwerten solcher Kulturstätten gerne. Ohne Pflege- und Besuchskonzepte hebt sich kaum der Daumen. 2017 war es aber dann so weit.
„Ja“, meint Conard, der Titel habe sich für die Höhlen ausgezahlt. Die Zahl der Besucher sei gestiegen. „Sie kommen auch von weiter her“, hat Tanja Köpf, Wirtin der am Lonetal gelegenen Ausflugsgaststätte „zum Schlößle“, registriert. Eine exakte Zählung ist jedoch nicht möglich. Niemand registriert, ob jemand zu einer der Stätten stiefelt – oder bloß als Wandersmann durch die Täler schreitet.
Bekannt sind jedoch die Besucherzahlen des Archäoparks. Vor Corona waren sie im Jahresschnitt auf 28 000 Menschen gestiegen – weit entfernt von einer Kostendeckung, aber auf der Ebene normaler regionaler Sehenswürdigkeiten liegend.
Ebenso registriert ist die Besucherzahl des Urgeschichtlichen Museums von Blaubeuren in der Nachbarschaft der Achtal-höhlen. Die geschäftsführende Direktorin Stefanie Kölbl berichtet von einem Anstieg auf jährlich rund 60 000 Urwelt-interessenten vor der Pandemie. Ihre Einrichtung dient als Schwerpunktmuseum für die Altsteinzeit. Träger ist eine Stiftung.
Beschaulich in der Altstadt gelegen, wurde das Museum 2014 mit Blick auf die Welterbe-bewerbung erweitert. Kölbl betont: „Für uns ist es wichtig, für die Gäste des Welterbes ein perfektes Gesamterlebnis zu schaffen. Dazu gehört, dass die Gäste die Fundstellen auf sicheren Wegen erreichen und vor Ort mit Informationen versorgt sind. Diese Schritte sind erfolgt beziehungsweise stehen kurz vor der Vollendung.“
Was dies heißen kann, lässt sich an der Sirgensteinhöhle zeigen. Zu ihr wurde jüngst ein 1,6 Kilometer langer Pfad durch den Wald geschlagen. An der Höhle fehlt aber jegliche Infotafel. Eine alte Bank, ein Felsen mit Kletterhaken und brütenden Wanderfalken, ein dunkles Loch – fertig, obwohl der Unesco-ritterschlag vier Jahre zurückliegt. Nun mag dies bei mehr als 40 000 Jahre Geschichte ein Klacks sein. Dennoch drängt sich die Frage auf, weshalb so etwas Simples wie eine Infotafel fehlt. Die
Antwort ist simpel: Es geht einmal mehr ums Geld.
Ist das Welterbe in Staatsbesitz, fließen die Mittel naturgegeben. Ansonsten müssen Kommunen, Landratsämter oder Vereine schauen, dass etwas geht. Wie es bei den Eiszeithöhlen aussieht, hat dieser Tage der aus der Region stammende Spd-landtagsabgeordnete Martin Rivoir thematisiert: Den Welterbestätten der Eiszeitkunst im Lone- und Achtal fehle ausreichend Unterstützung durchs Land. „Kleine Städte und Gemeinden sind mit der Präsentation der Fundstätten und Artefakte finanziell überfordert“, beschreibt der Politiker die Lage.
Nun hält das Land seine Kasse nicht völlig verschlossen. Laut Wirtschaftsministerium wurden seit 2015 knapp 700 000 Euro fürs Installieren eines Informationssystems im Ach- und Lonetal bereitgestellt. Zudem bekomme Niederstotzingen für 2020 und 2021 einen Zuschuss von jeweils 100 000 Euro für den Betrieb des Archäoparks.
Ein zentrales Problem ist damit aber noch nicht gelöst. Archäoparkchefin Janas spricht es an: „Vorgeschichtliches Welterbe ist grundsätzlich schwer zu vermitteln. Es existieren nur wenige Hinterlassenschaften, mit denen sich die Leute identifizieren können. Es ist für sie schwierig, sich da reinzuversetzen.“Weshalb größere Mühen für die Präsentation nötig seien.
Was sie meint, wird bei einem Vergleich mit dem Welterbe Maulbronn klar. Die ehemalige Zisterzienserabtei vereint höchst sehenswerte Gebäude von der Romanik bis Spätgotik: die Kirche, der Kreuzgang, der Mönchsspeisesaal et cetera. Es ist fast wie im filmischen Klosterkrimi „Der Name der Rose“. Szenen wurden in der Tat dort gedreht. Die Stadt Maulbronn brauchte nach der Titelverleihung kaum mehr tun als neue Tourismusprospekte zu drucken – zumal das Kloster im Landesbesitz ist und die „Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-württemberg“alles betreuen.
Bei der aktuellen Idee einer neuen Welterbe-bewerbung ist ebenso mehr als genug Sichtbares da: beim Stuttgarter Fernsehturm. Anders wiederum beim Thema Kelten. Das Volk wurde vor knapp 3000 Jahren im Südwesten fassbar. Als bedeutendste Niederlassung gilt die Heuneburg an der Oberen Donau. Geht es nach der Landesregierung, könnte sie künftig auch auf der Welterbeliste erscheinen.
Doch mehr als Erdwälle sind von der Heuneburg oberirdisch auf dem Hügel nicht übriggeblieben. Weshalb schon vor zwei Jahrzehnten ein Stück Stadtmauer und einige Hütten nachgebaut wurden. Die Idee: Wo nichts mehr ist, muss man den Leuten ein Bild schaffen. Zusammen mit der Pflege anderer Keltenstätten will das Land dafür Millionen von Euro investieren. Geld, das wiederum den Eiszeithöhlen fehlt? Dazu möchte niemand etwas sagen. Dies wäre das Ausspielen eines Kulturgutes gegen ein anderes, heißt es.
So wird im Archäopark bei Niederstotzingen erst einmal weiter an Mammut „Zottel“herumgeschraubt. Vielleicht wird ja wirklich am 1. April wiedereröffnet. Immerhin hilft „Zottel“mit, etwas Eiszeitatmosphäre entstehen zu lassen. In den Höhlen umgibt einen höchstens Düsternis, zum Teil sogar verbunden mit der Gefahr von Steinschlag. Immerhin ist ihre Geschichte aber noch nicht zu Ende geschrieben. Dieses Jahr graben die Archäologen weiter.