Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Ich kann nur über das schreiben, was ich auch kenne“
Burgrieder Autorin Marlies Grötzinger spricht über ihren neuen Bodensee-roman und wie sie als Kreative den Lockdown erlebt
- Viele kennen sie vor allem für ihre Geschichten und Gedichte in Mundart. Doch die Burgriederin Marlies Grötzinger schreibt auch auf Hochdeutsch. Kürzlich erschien mit „Seerausch“die Fortsetzung ihres Bodensee-romans „Seebeben“um die Wasserschutzpolizistin Isabel Böhmer. Simon Schwörer hat mit der Autorin darüber gesprochen, wie ihr als Kreative der Lockdown zusetzt und weshalb sie wohl nie einen Roman schreiben wird, der in Südamerika spielt.
Frau Grötzinger, wie kommen Sie als Autorin durch die Pandemie und den Lockdown?
Durch den ersten Lockdown ganz gut. Beruflich und privat blieb mir mehr Zeit, um schreiben zu können. Schließlich wurde alles abgesagt: Als Autorin hatte ich keine Lesungen mehr. Und während andere in dieser Zeit ihre Keller und Schränke ausgemistet haben, zog ich mich in meine Schreibstube zurück. Ich fühlte mich nicht arg eingeschränkt, da das Schreiben einen Großteil meiner Freizeit in Anspruch nahm. Ich war sozusagen schon in Quarantäne, denn ich verließ meine Schreibstube nur zum Einkaufen und um täglich mindestens eine Stunde laufen zu gehen. Und auch auf meinen Hauptberuf für das Landratsamt Biberach hat es sich ausgewirkt. Ich gehe normalerweise an die Schulen und versuche mit Projektunterricht, Schüler für umweltfreundliches Verhalten zu begeistern. Doch durch den Lockdown
war das nur noch eingeschränkt möglich. Seit November helfe ich nun im Corona-team des Gesundheitsamts aus, seitdem habe ich leider keine Muße mehr zum Schreiben oder kreativ sein. Darum bin ich froh, dass ich das Manuskript für meinen neuen Roman bereits vor Beginn des zweiten Lockdowns abgegeben habe.
Sie sprechen von Ihrer Romanfortsetzung „Seerausch“: Wie hat sich Corona auf die Schreibarbeit ausgewirkt?
Ich kam dieses Mal zügiger voran als beim Vorgängerroman „Seebeben“. Das Setting und die Figuren gab es ja bereits. Außerdem hatte ich noch Ordner voller Ideen für mögliche Themen. Denn ich sammle alles, was mir so begegnet, seien es Erlebnisse oder Zeitungsausschnitte. Die reine Schreibarbeit nahm dann noch ein gutes halbes Jahr in Anspruch.
Also lief alles wie geplant?
Nicht ganz, denn die Pandemie hat mir die Recherche vor Ort erschwert. Ich komme ja aus dem Journalismus, deshalb ist es mir wichtig, dass die Fakten stimmen, auch wenn die Handlung an sich erfunden ist. Und bei der Recherche verlasse ich mich gerne auf das, was ich selbst sehe. Im
Roman kommt beispielsweise ein Protagonist nach einem Unglück in eine Klinik in Allensbach am Bodensee. Die durfte ich für meine Recherche aber nicht betreten, weil sie wegen Corona für Besucher geschlossen war. Dankenswerterweise habe ich dann Informationen und Fotos bekommen, etwa wie der Eingangsbereich oder die Zimmer aussehen. Doch ich musste für den Roman viel per Telefon, E-mail oder Internet recherchieren. Schön ist, dass ich dabei viele nette und hilfsbereite Menschen kennenlernen durfte.
Warum haben Sie sich statt eines neuen Ortes und einer neuen Protagonistin dafür entschieden, dass Isabel Böhmer ein weiteres Mal ran darf ?
Eigentlich hatte ich eine Fortsetzung der Geschichte gar nicht auf dem Schirm. Doch Leser und Leserinnen wollten mehr von ihr wissen. Darum habe ich einige lange Spaziergänge am Bodenseeufer gemacht und drauf los gesponnen, wie es mit Isabel und Co. weitergehen könnte. Dass meine Romane am Bodensee spielen, war mir dagegen schon immer klar. Er ist meine zweite Heimat. Ich liebe den See und die Landschaft. Falls es eine weitere Fortsetzung des Romans geben sollte, kann ich mir zwar vorstellen, dass meine Protagonistin mal Urlaub an einem anderen Ort macht und ich diesen näher beleuchte. Aber ich könnte nicht aus dem hohlen Bauch heraus eine Geschichte schreiben, die etwa in Südamerika spielt. Dort bin ich selbst noch nie gewesen. Ich kann nur über das schreiben, was ich auch kenne.
Apropos neuer Roman: Worum geht’s darin?
Am Ende von „Seebeben“kostet ein schwerer Bootsunfall meine Protagonistin Isabel Böhmer und ihren Chef fast das Leben. „Seerausch“knüpft direkt daran an und zeigt, wie die beiden sich mühsam zurück ins Leben kämpfen. Es ist Urlaubszeit und damit Hochsaison für die Wasserschutzpolizei. Und dann explodiert auch noch unter mysteriösen Umständen ein Segelboot auf dem Bodensee und versinkt mitsamt der Ehefrau des Eigentümers. Polizei und Behörden vermuten das perfekte Verbrechen. Doch damit nicht genug, auch das Privatleben hält für Isabel einige Turbulenzen bereit.
Ist neben diesem Unglück in Ihrem Roman auch Platz für das Coronavirus?
Nein, das habe ich komplett außen vor gelassen. In Zeitung, Radio und Fernsehen ist Corona allgegenwärtig. In meinem Roman sollen die Leser diese Sorgen vergessen und stattdessen in eine spannende andere Welt eintauchen können. Ich habe Corona zwar in ein paar kleinen Mundartgedichten verarbeitet, aber literarisch reizt es mich für einen Roman überhaupt nicht – zumindest bisher nicht.
Welche Pläne haben Sie für künftige Romane?
Im Moment kann ich das noch gar nicht sagen. Denn als „Seerausch“fertig war, ging es los mit meiner Arbeit im Coronateam des Gesundheitsamts. Mein Schwerpunkt verlagerte sich auf die Schicksale, die ich dort erlebe. Doch auch schon vor Corona war es bei mir so, dass ich nach Abschluss eines Romans eine kreative Pause eingelegt habe – so viel Spaß das Schreiben mir währenddessen auch macht. Das beweisen auch die zeitlichen Abstände zwischen meinen bisherigen Romanen: Zwischen „Seenot“und „Seebeben“lagen fast vier Jahre, zwischen „Seebeben“und „Seerausch“nun knapp zwei Jahre.
Jetzt ist „Seerausch“nicht der erste und auch nicht der letzte Lokalroman: Wie erklären Sie sich diesen Boom?
Ja, es gibt inzwischen gefühlt zu fast jedem Ort einen eigenen Roman oder Krimi. Ich denke, dass Lokalkolorit eine große Rolle spielt. Der Leser und die Leserin freuen sich, wenn sie erkennen: „Da war ich auch schon mal.“
„Seerausch“(ISBN 978-3-83922859-3, Gmeiner-verlag) von Marlies Grötzinger hat 341 Seiten und kostet 14 Euro. Coronabedingt finden zeitnah keine Buchvorstellungen oder Lesungen statt. Die Laupheimer Buchhandlung Laese verkauft eine begrenzte Anzahl von der Autorin signierter Exemplare.