Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Den Einzelhändlern platzt der Kragen
Geschäftsleute und Kulturschaffende reagieren bestürzt auf die Entscheidung der Landrätin
Schulen, zwei Kindergärten und zwei medizinischen Einrichtungen.
Nicht selten sind auch ganze Familien betroffen. Da mittlerweile über 60 Prozent der Fälle auf Virusmutationen zurück zu führen seien, erkrankten auch immer mehr enge Kontaktpersonen an den ansteckenderen Virusvarianten.
Die Infektionslage im Landkreis sei sehr dynamisch, schreibt das Landratsamt. Konnte zu Beginn der Woche das abgegrenzte Infektionsgeschehen in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge mit 21 Infektionsfällen als wesentlich bei der Beurteilung der Lage berücksichtigt werden, so stünde jetzt das flächendeckende Auftreten neuer Infektionen im Landkreis im Vordergrund.
- Um 11.01 Uhr am Donnerstag gibt das Landratsamt per E-mail die Entscheidung bekannt, die seit Tagen erwartet worden war. Die Landrätin bittet um Verständnis für die neuerliche Vollbremsung, doch das Verständis der von der Schließung betroffenen Händler, Kosmetikbetriebe oder Kulturschaffenden hält sich in Grenzen.
Die Existenzangst, die den Sigmaringer Modeunternehmer Wolfgang Hofmann seit Monaten beschäftigt, hat sich am Donnerstagvormittag noch einmal verstärkt. „Wir gehen alle noch zu Grunde“, sagt der Geschäftsmann. Das Konzept, das er seit zehn Tagen fahre, habe sich gut eingependelt. 25 Kunden dürften sich gleichzeitig in seinem Geschäft bewegen. „Wenn ein, zwei da sind, sind wir glücklich“, sagt Hofmann. In kleineren Geschäften sei die Gefahr einer Ansteckung kaum zu greifen, das erkenne jeder, „nur die Regierung kapiert es nicht“. Und wenn sich doch jemand anstecke, sei die Nachverfolgung gewährleistet.
Hofmann muss seine Mitarbeiter jetzt wieder ganz in die Kurzarbeit entlassen. In den vergangenen Tagen hatten sie zwar gearbeitet, aber alle weniger als 50 Prozent. „Was mich am meisten ärgert: Ich bekomme keine Infos, weder aus dem Rathaus noch aus dem Landratsamt.“
Click and Collect, also das Einkaufen auf Bestellung, ist für Hofmann eine schlechte Alternative. „Die Nachfrage ist so gering, dass ich das selbst machen kann, meine Mitarbeiter brauche ich dazu nicht.“
Ivonne Ksiazek-schaffer vom Kosmetikstudio Hautsache muss ihren Betrieb an der Weingasse ebenfalls wieder komplett schließen, „wir sagen die Termine ab, die wir uns schwer erkämpft haben“. Doch nicht nur das: Die Kosmetikerin hat in Werbung und in neue Produkte investiert. „Diese Entscheidung raubt mir die Zuversicht“, sagt Ivonne Ksiazek-schaffer. Sie könne sich nicht vorstellen, dass die Inzidenz schnell wieder sinke, zumal sie fünf Tage nacheinander unter 100 liegen muss. Statt dem Hin und Her ist sie der Meinung, dass die Gesellschaft mit dem Virus leben müsse. In Großbetrieben wie Bosch oder Daimler werde normal weitergearbeitet, „und wir müssen schließen“. Die Kosmetikerin sorgt sich um ihre Mitarbeiter, die jetzt wieder in Kurzarbeit müssten. Eine ihrer Angestellten habe gebaut. „Von den 60 Prozent kann sie nicht leben.“Auch für die Inhaberin wird es jetzt finanziell „ganz knapp“.
Marcel Dietsche von Sport Dietsche in Mengen ist frustriert von der Machtlosigkeit der Einzelhändler. „Wir können nur noch reagieren, es lässt sich nichts mehr planen“, sagt er direkt nach der Ankündigung der Notbremse. Noch in diesen Tagen bekamen Dietsche-kunden Post mit der Nachricht, dass das Sportgeschäft wieder geöffnet hat. Doch statt Öffnung geht es jetzt wieder einen Schritt zurück: von Click & Meet zu Click & Collect. Die steigenden Infektionszahlen seien schlimm, so Dietsche. Nicht nachvollziehen kann der Sportfachhändler die Unterschiede, die von der Politik zwischen dem Lebensmittelhandel und dem Nonfood-bereich gemacht werden. „Wir können Abstände einhalten, wir tun alles, damit nichts passiert und können mehr Fläche pro Kunde anbieten“, so Dietsche. Seit vergangener Woche lässt Dietsche sogar seine Mitarbeiter im Betrieb testen. Dennoch würden Geschäfte wie seines abermals von der Notbremse getroffen. „Wir machen alles, was möglich ist, und bekommen dann wieder die Genickschläge.“
Sylvia Weber, Inhaberin des Schuhhauses Weber in der Bad Saulgauer Fußgängerzone, ist auf 180. „Der Einzelhandel hat einfach keine Lobby“, sagt sie. „Offenbar gibt es das Virus nur in der Innenstadt, aber nicht in Discountern und Supermärkten“, sagt Weber über „das Trauerspiel“, das zur Folge hat, dass sie ihre private Altersvorsorge in ihr Geschäft stecken muss. „Die Leute werden dazu gezwungen, ihre Ware bei Amazon zu bestellen.“
Die Politik nehme dem Handel durch solche Maßnahmen jede Überlebenschance. „Der Staat hat alles kaputt gemacht“, ergänzt Weber, die frustriert ist.