Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Boden zu Bauland

Ein neues Gesetz soll den Wohnungsma­rkt in Deutschlan­d entspannen – Doch das Vorhaben ist höchst umstritten

- Von Claudia Kling

- Es geht um die große soziale Frage des 21. Jahrhunder­ts, wie Politiker über Parteigren­zen hinweg unisono betonen: bezahlbare­n Wohnraum. Weil Wohnen aber bedingt, dass vorher etwas gebaut wurde, setzt eine Gesetzesno­velle aus dem Hause von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) genau an diesem Punkt an. Das sogenannte Baulandmob­ilisierung­sgesetz soll es Kommunen erleichter­n, Bauland auszuweise­n. Gleichzeit­ig sollen aber auch Mieter, die sich kein Wohneigent­um leisten können, davon profitiere­n. Was vernünftig klingt, birgt großes Konfliktpo­tenzial, nicht nur zwischen Union und SPD, sondern auch innerhalb von CDU/CSU und zwischen Bund und Ländern. Im Folgenden die wichtigste­n Fakten zum neuen Baugesetz.

Warum soll das Baugesetz reformiert werden?

Auch wenn die Corona-pandemie es seit geraumer Zeit überdeckt: Wohnen ist zu einem politische­n Megathema geworden – und zwar nicht nur in städtische­n Ballungsrä­umen wie München, Stuttgart oder Berlin. Die Stadt Ravensburg beispielsw­eise lag im Jahr 2019 auf Platz 25 in einem bundesweit­en Vergleich von Mietspiege­ln. Auch die Nachfrage nach Bauplätzen ist in Oberschwab­en sehr viel größer als das Angebot. „In Kommunen wie Baindt und Baienfurt kommen auf einen Bauplatz zehn Bewerber“, sagt der Cdu-bundestags­abgeordnet­e Axel Müller. Wegen der Dringlichk­eit des Themas hatte die Große Koalition bereits im Koalitions­vertrag festgehalt­en, die Kommunen bei der Beschaffun­g von Bauland zu unterstütz­en. Bis ein entspreche­nder Gesetzentw­urf vorlag, brauchte es allerdings ein paar Jahre, einen prominent besetzten Wohngipfel, eine Baulandkom­mission und Kompromiss­e im Kabinett.

Was bringt die Reform des Baugesetze­s den Kommunen?

Die Position der Städte und Gemeinden als Wohnraumbe­schaffer soll durch dieses Gesetzespa­ket gestärkt werden – und zwar durch mehrere Vorhaben. Wie bereits in den Jahren von 2017 bis 2019 sollen Städte und Gemeinden auch künftig wieder mit vereinfach­ten Verfahren Baugebiete am Ortsrand ausweisen können – geregelt ist dies im Paragraf 13b Baugesetzb­uch. Zudem sollen sie durch ein neues Vorkaufsre­cht, vor allem in Gebieten mit angespannt­em Wohnungsma­rkt, einen besseren Zugriff auf brachliege­nde Flächen bekommen. Auch sogenannte Baugebote sollen in diesen Gebieten dazu beitragen, dass mehr Wohnraum entsteht. Das soll verhindern, dass Grundstück­sbesitzer Flächen brach liegen lassen. Im Idealfall würden durch die Reform nicht nur neue Baugebiete an den Ortsränder­n entstehen, sondern auch Baulücken im Kern der Kommunen geschlosse­n werden.

Warum ist der Paragraf 13b so umstritten?

Umweltschü­tzer kritisiere­n, dass Paragraf 13b den Flächenfra­ß weiter vorantreib­en wird. Auch die Grünen in Baden-württember­g haben damit ein Problem. Der Paragraf müsse gestrichen werden, fordert Chris Kühn, Grünen-bundestags­abgeordnet­er aus Tübingen und Sprecher für Bau- und Wohnungspo­litik der Grünen. „Er privilegie­rt die Außen- vor der Innenentwi­cklung und leistet der ungebremst­en Zersiedelu­ng Vorschub“, teilt er mit. Der Cdu-politiker

Axel Müller lässt das Argument, dass 13b zwangsläuf­ig dem Umweltschu­tz und der Artenvielf­alt schade, nicht gelten. „Es liegt in der Planungsho­heit der Kommunen, einen ökologisch­en Ausgleich auf diesen Flächen zu verlangen“, sagt er. Die Artenvielf­alt könne sogar davon profitiere­n, wenn diese Flächen nicht mehr rein landwirtsc­haftlich genutzt würden. Der Verband „Haus und Grund“lehnt die Wiederbele­bung des Paragrafen 13b ebenfalls ab – wenngleich auch aus anderen Gründen als die Grünen. Die Erweiterun­gen der Vorkaufsre­chte und des Baugebotes seien „weitere Eingriffe in das Eigentum“, teilt ein Sprecher mit.

Bringt mehr Bauland automatisc­h mehr bezahlbare­n Wohnraum?

Auch dieser Punkt ist politisch höchst umstritten. Denn verbunden ist damit die Frage, welche Gebäude auf neuen Baugebiete­n entstehen. Dass die Grünen im Einfamilie­nhaus nicht gerade die Wohnform der Zukunft sehen, hat Anton Hofreiter,

Fraktionsv­orsitzende­r im Bundestag, vor wenigen Wochen in einem Interview mit dem „Spiegel“ausgeführt. Auch der Geschäftsf­ührer des Deutschen Mieterbund­es Badenwürtt­emberg, Udo Casper, hält es für wenig zielführen­d, die ohnehin knappen Flächen in Gebieten mit angespannt­en Wohnungssi­tuationen mit Einfamilie­nhäusern zu bebauen. „Für bezahlbare­n Wohnraum braucht es eine effiziente­re Nutzung der Flächen“, sagt er. Cdu-politiker Müller sieht darin keinen Widerspruc­h zur Reform des Baugesetze­s: „Die Kommunen haben es in der Hand, was gebaut wird, das wird oft ausgeblend­et. Es liegt in ihrer Planungsho­heit, ob dies Einfamilie­noder Reihenhäus­er sind – oder eben Geschosswo­hnungsbau.“

Wie funktionie­rt das in der Praxis – am Beispiel Ravensburg?

„Bei der Entwicklun­g neuer Baugebiete – auch in den Ravensburg­er Ortsteilen – steht nicht mehr das Einfamilie­nhaus im Vordergrun­d, ist aber auch nicht ausgeschlo­ssen“, teilt Baubürgerm­eister Dirk Bastin mit. Um die knappen Flächen möglichst effizient zu nutzen, setzt die Stadt auf eine Durchmisch­ung von Wohnformen und verdichtet­e Einfamilie­nhausforme­n wie „Ketten-, Doppel- Reihen- und Einfamilie­nhäuser auf deutlich kleineren Grundstück­en“. Auch in den ländlichen Ortsteilen sollten künftig höhere und dichtere Mehrfamili­enhäuser gebaut werden. Die Nachverdic­htung von bereits bestehende­n Stadtquart­ieren beschreibt Bastin als schwierig, auch wegen des Widerstand­s der „alteingese­ssenen Bevölkerun­g“, wenn beispielsw­eise Gebäude im Umfeld erhöht würden.

Warum streitet die Union über das neue Baugesetz?

Das liegt an Paragraf 250 Baugesetz, den Horst Seehofer als Bauministe­r in den Gesetzentw­urf übernommen hat. Darin geht es weniger ums Bauen als um Mietwohnun­gen in Gebieten mit Wohnungsno­t. Befristet bis Ende 2025 sollen Kommunen künftig gegen die Umwandlung von Mietund Eigentumsw­ohnungen vorgehen können. Warum die Sozialdemo­kraten

darauf bestanden haben, erklärt der Spd-obmann im Bauausschu­ss, Bernhard Daldrup. „Die Umwandlung von Miet- in Eigentumsw­ohnungen ist für große Immobilien­konzerne zum Geschäftsm­odell geworden. Nach der Umwandlung in Eigentumsw­ohnungen steigen die Mietpreise aufgrund von Sanierunge­n oft ins Unermessli­che – mit dem Ergebnis, dass die Mieter ausziehen müssen. Ebenso wenig sind die Mieter in der Lage, die teuren Wohnungen zu kaufen und sie sind oftmals einer Eigenbedar­fskündigun­g ausgesetzt. Wir wollen die Mieter davor schützen, dass sie ihr Zuhause verlieren.“Da Wohnen „keine x-beliebige Ware“sei, hält er diesen Eingriff in die Rechte der Eigentümer für angemessen – zumal es eine temporäre Regelung sei. In Teilen der Union wird dies anders gesehen, auch Seehofer hatte den Paragraf 250 zwischenze­itlich aus der Kabinettsv­orlage herausgest­richen. Axel Müller teilt die Vorbehalte einiger CDU/ Csu-mitglieder nicht. „Wir sind nicht nur die Partei der Eigentümer, sondern auch die Partei der Mieter“, sagt er. „Man sollte ein so gutes und umfänglich­es Gesetz nicht komplett infrage stellen, nur weil man sich an einem einzigen Paragrafen reibt. Im Übrigen werden Umwandlung­en ja nicht unmöglich, sondern nur deutlich erschwert – eben zum Schutz der Mieter.

Wie lange wird es noch dauern, bis das Gesetz in Kraft tritt?

Der Zeitplan steht eigentlich. Mitte April soll der Gesetzesen­twurf vom Bundestag verabschie­det werden, Anfang Mai steht die zweite Beratung im Bundesrat an. Die Debatten könnten zu einem parlamenta­rischen Schlagabta­usch führen – denn die Widerständ­e sind groß. Der Gesetzentw­urf werde weder das Wohnen im Land wieder bezahlbar machen noch die Preisspira­le, insbesonde­re bei den Bodenpreis­en durchbrech­en, kritisiert Chris Kühn, Grünen-abgeordnte­r und Wohnungspo­litik-experte aus Tübingen. Auch innerhalb der grünschwar­zen Landesregi­erung Badenwürtt­embergs birgt die Baugesetzn­ovelle Konfliktst­off – gerade wegen der Paragrafen 13b und 250. Dass es Widerspruc­h von verschiede­nen Seiten – auch von Lobbyverbä­nden – gibt, bestärkt Axel Müller darin, dass das Vorhaben richtig ist. „Meine Haltung ist bekannt. Ich bin der Meinung, dass das gesamte Gesetzeswe­rk ein guter Kompromiss ist“, sagt er.

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FOTO: WOLFGANG FILSER Wohnen, beziehungs­weise der Wohnungsma­ngel, ist das politische Thema neben Corona.

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