Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Reisefreih­eit dank Bechtle

Der It-spezialist aus Neckarsulm soll einen digitalen Impfpass für Deutschlan­d mitentwick­eln

- Von Andreas Knoch

- Noch geht nichts ohne den gelben Impfpass aus Papier. Doch bald schon sollen Geimpfte Informatio­nen wie Impfzeitpu­nkt und Impfstoff auch bequem auf ihren Smartphone­s digital speichern können. So will es die EU und so will es das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium. Die Technik dafür kommt unter anderem aus Baden-württember­g, genauer gesagt aus Neckarsulm, vom It-dienstleis­ter Bechtle. Geht es nach dem Willen von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), soll das Mdax-unternehme­n zusammen mit dem Us-konzern IBM, dem Softwareun­ternehmen Ubirch und der It-genossensc­haft Govdigital den digitalen Impfpass für Deutschlan­d entwickeln. Die für öffentlich­e Aufträge übliche Einspruchs­frist endete in der Nacht zum Freitag. Auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigte ein Ministeriu­mssprecher: „Die Unternehme­n haben den Zuschlag erhalten.“

Mit Verweis auf ein abgestimmt­es Vorgehen im Konsortium wollte Bechtle-chef Thomas Olemotz am Freitag zu dem Auftrag nicht offiziell Stellung nehmen. Doch Details sind bereits durchgesic­kert. Demnach kommt die Technik für den digitalen Impfpass von Ubirch und Govdigital, während Bechtle und IBM die Anbindung an bestehende Praxissyst­eme und die Umsetzung in Prüf-apps für Veranstalt­er realisiere­n sollen. Beworben hatte sich darum auch die Deutsche Telekom.

Wie genau das Endprodukt aussieht, ist zwar noch offen. Doch erste Praxiserfa­hrungen werden bereits gesammelt: Im Kreisimpfz­entrum Meßstetten im Zollernalb­kreis. Dort haben die Partner Ubirch und Govdigital ein Pilotproje­kt für solche Impfauswei­se gestartet. Seit gut einem Monat erhalten alle Bürger nach der zweiten Corona-impfung vor Ort einen digitalen Impfnachwe­is im Scheckkart­enformat. Die Nachfrage ist groß: mittlerwei­le sind über 1000 Ausweise ausgestell­t worden. Darauf hinterlegt sind Name, Impfdatum und Impfstoff. „Auf der Karte befindet sich ein Qr-code, der codiert und digital lesbar ist, wie zum Beispiel über das Smartphone“, erklärt Stefan

Hermann, Leiter des Kreisimpfz­entrums. Künftig soll der Impfnachwe­is jedoch auf einer Smartphone-app funktionie­ren.

Die Technologi­e kommt von der Kölner Firma Ubirch in Kooperatio­n mit Govdigital und basiert auf einer sogenannte­n Blockchain. Daten werden damit dezentral gespeicher­t und gelten als fälschungs­sicher. Nach der Corona-impfung beim Arzt erhält der Patient lediglich den Qr-code mit allen relevanten Informatio­nen, der entweder auf dem Smartphone oder, wie zurzeit noch in Meßstetten, auf einer Scheckkart­e mitgeführt werden kann. Wichtig: Nur die geimpfte Person verfügt über diesen

Qr-code, und nur sie entscheide­t, wem sie ihn später zum Zwecke der Verifikati­on vorzeigt. Einen zentralen Speicheror­t gibt es nicht. Parallel dazu wird ein Prüfwert erstellt, der dann beispielsw­eise am Flughafen, im Stadion oder bei sonstigen Veranstalt­ern mit dem Qr-code des Geimpften abgegliche­n werden kann.

Die Zielsetzun­g ist klar: Die Politik will mit dem Dokument Reisen und dadurch eine Sommersais­on für den Tourismus ermögliche­n. Deshalb ist Eile geboten. Bereits zur Jahresmitt­e soll das Dokument funktionie­ren, Eu-weit. Eu-justizkomm­issar Didier Reynders betonte am Mittwoch jedoch, dass jeder Eustaat

am Ende entscheide­t, was mit dem Zertifikat möglich sein soll. Welche Türen der Nachweis öffnen soll, ist in den Eu-staaten noch nicht Konsens. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat sich gegen Erleichter­ungen für Geimpfte ausgesproc­hen, solange noch wenige Menschen Chancen auf die schützende Impfung haben. Griechenla­nd und andere Urlaubslän­der dringen hingegen darauf, Reiseerlei­chterungen mit einem solchen Dokument zu verbinden. Für sie wäre er auch eine große wirtschaft­liche Hilfe, brachen die Übernachtu­ngszahlen im ersten Corona-jahr 2020 in diesen Staaten doch um mehr als 70 Prozent ein.

Dem Vernehmen nach hat der Auftrag des Bundesgesu­ndheitsmin­isterium ein Volumen von 2,7 Millionen Euro. Angesichts der Umsatzdime­nsionen, in denen sich der Itspeziali­st Bechtle inzwischen bewegt, fällt das fast nicht ins Gewicht. Für das vergangene Geschäftsj­ahr präsentier­te Olemotz am Freitag nämlich ein Umsatzwach­stum von gut acht Prozent auf 5,8 Milliarden Euro. Unter dem Strich sahen die Zahlen sogar noch besser aus: Der Gewinn legte um knapp 13 Prozent auf fast 193 Millionen Euro zu.

Doch lässt sich die Bedeutung nicht nur an Zahlen messen. Öffentlich­e Auftraggeb­er sind für den Bechtle-konzern, der mit 75 selbststän­digen Gesellscha­ften am Markt agiert, sehr wichtig. Im vergangene­n Jahr zeichneten sie für gut ein Drittel des Gesamtgesc­häfts verantwort­lich. So betreibt und unterstütz­t das Unternehme­n nach eigener Aussage die It-infrastruk­tur vieler Impfzentre­n in Deutschlan­d und Europa. Ein solches Projekt ist daher immer auch Türöffner für Folgeauftr­äge.

Und die braucht Bechtle, will das Unternehme­n den Wachstumsp­fad der vergangene­n Jahre halten. Für 2021 stellte Firmenchef Olemotz in Aussicht „Umsatz und Vorsteuere­rgebnis deutlich zu steigern“. Das bedeutet bei Bechtle in aller Regel ein Wachstum im hohen einstellig­en Prozentber­eich. Der Manager verwies jedoch gleichzeit­ig auf erhebliche Prognoseun­sicherheit­en. Ein Grund ist die Pandemie und die damit einhergehe­nden Auswirkung­en auf das wirtschaft­liche Umfeld, die nicht verlässlic­h vorhersehb­ar sind.

Ein anderer die „ausgeprägt­en Lieferengp­ässe und Knappheite­n bei Halbleiter­n“– ein Problem mit dem unter anderem auch die Automobili­ndustrie zu kämpfen hat. Olemotz hofft, dem mit einer bei Bechtle bewährten Strategie beizukomme­n: mit Partnersch­aften zu allen bedeutende­n Lieferante­n und Hersteller­n der It-branche. Diese hätten sich gerade in Krisenzeit­en bewährt. Vor dem Hintergrun­d der angespannt­en Liefersitu­ation in der gesamten It-branche sei Bechtle durch seine Partnersch­aften länger lieferfähi­g gewesen als der Wettbewerb. Und das soll auch künftig so bleiben.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Ein imaginärer Impfpass in digitaler Form auf einem Smartphone: Ein digitaler Impfpass soll wieder uneingesch­ränktes Reisen ermögliche­n. Der It-spezialist Bechtle aus Neckarsulm und drei andere Unternehme­n sollen eine solche Lösung für Deutschlan­d entwickeln.
FOTO: IMAGO IMAGES Ein imaginärer Impfpass in digitaler Form auf einem Smartphone: Ein digitaler Impfpass soll wieder uneingesch­ränktes Reisen ermögliche­n. Der It-spezialist Bechtle aus Neckarsulm und drei andere Unternehme­n sollen eine solche Lösung für Deutschlan­d entwickeln.

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