Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Reisefreiheit dank Bechtle
Der It-spezialist aus Neckarsulm soll einen digitalen Impfpass für Deutschland mitentwickeln
- Noch geht nichts ohne den gelben Impfpass aus Papier. Doch bald schon sollen Geimpfte Informationen wie Impfzeitpunkt und Impfstoff auch bequem auf ihren Smartphones digital speichern können. So will es die EU und so will es das Bundesgesundheitsministerium. Die Technik dafür kommt unter anderem aus Baden-württemberg, genauer gesagt aus Neckarsulm, vom It-dienstleister Bechtle. Geht es nach dem Willen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), soll das Mdax-unternehmen zusammen mit dem Us-konzern IBM, dem Softwareunternehmen Ubirch und der It-genossenschaft Govdigital den digitalen Impfpass für Deutschland entwickeln. Die für öffentliche Aufträge übliche Einspruchsfrist endete in der Nacht zum Freitag. Auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“bestätigte ein Ministeriumssprecher: „Die Unternehmen haben den Zuschlag erhalten.“
Mit Verweis auf ein abgestimmtes Vorgehen im Konsortium wollte Bechtle-chef Thomas Olemotz am Freitag zu dem Auftrag nicht offiziell Stellung nehmen. Doch Details sind bereits durchgesickert. Demnach kommt die Technik für den digitalen Impfpass von Ubirch und Govdigital, während Bechtle und IBM die Anbindung an bestehende Praxissysteme und die Umsetzung in Prüf-apps für Veranstalter realisieren sollen. Beworben hatte sich darum auch die Deutsche Telekom.
Wie genau das Endprodukt aussieht, ist zwar noch offen. Doch erste Praxiserfahrungen werden bereits gesammelt: Im Kreisimpfzentrum Meßstetten im Zollernalbkreis. Dort haben die Partner Ubirch und Govdigital ein Pilotprojekt für solche Impfausweise gestartet. Seit gut einem Monat erhalten alle Bürger nach der zweiten Corona-impfung vor Ort einen digitalen Impfnachweis im Scheckkartenformat. Die Nachfrage ist groß: mittlerweile sind über 1000 Ausweise ausgestellt worden. Darauf hinterlegt sind Name, Impfdatum und Impfstoff. „Auf der Karte befindet sich ein Qr-code, der codiert und digital lesbar ist, wie zum Beispiel über das Smartphone“, erklärt Stefan
Hermann, Leiter des Kreisimpfzentrums. Künftig soll der Impfnachweis jedoch auf einer Smartphone-app funktionieren.
Die Technologie kommt von der Kölner Firma Ubirch in Kooperation mit Govdigital und basiert auf einer sogenannten Blockchain. Daten werden damit dezentral gespeichert und gelten als fälschungssicher. Nach der Corona-impfung beim Arzt erhält der Patient lediglich den Qr-code mit allen relevanten Informationen, der entweder auf dem Smartphone oder, wie zurzeit noch in Meßstetten, auf einer Scheckkarte mitgeführt werden kann. Wichtig: Nur die geimpfte Person verfügt über diesen
Qr-code, und nur sie entscheidet, wem sie ihn später zum Zwecke der Verifikation vorzeigt. Einen zentralen Speicherort gibt es nicht. Parallel dazu wird ein Prüfwert erstellt, der dann beispielsweise am Flughafen, im Stadion oder bei sonstigen Veranstaltern mit dem Qr-code des Geimpften abgeglichen werden kann.
Die Zielsetzung ist klar: Die Politik will mit dem Dokument Reisen und dadurch eine Sommersaison für den Tourismus ermöglichen. Deshalb ist Eile geboten. Bereits zur Jahresmitte soll das Dokument funktionieren, Eu-weit. Eu-justizkommissar Didier Reynders betonte am Mittwoch jedoch, dass jeder Eustaat
am Ende entscheidet, was mit dem Zertifikat möglich sein soll. Welche Türen der Nachweis öffnen soll, ist in den Eu-staaten noch nicht Konsens. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich gegen Erleichterungen für Geimpfte ausgesprochen, solange noch wenige Menschen Chancen auf die schützende Impfung haben. Griechenland und andere Urlaubsländer dringen hingegen darauf, Reiseerleichterungen mit einem solchen Dokument zu verbinden. Für sie wäre er auch eine große wirtschaftliche Hilfe, brachen die Übernachtungszahlen im ersten Corona-jahr 2020 in diesen Staaten doch um mehr als 70 Prozent ein.
Dem Vernehmen nach hat der Auftrag des Bundesgesundheitsministerium ein Volumen von 2,7 Millionen Euro. Angesichts der Umsatzdimensionen, in denen sich der Itspezialist Bechtle inzwischen bewegt, fällt das fast nicht ins Gewicht. Für das vergangene Geschäftsjahr präsentierte Olemotz am Freitag nämlich ein Umsatzwachstum von gut acht Prozent auf 5,8 Milliarden Euro. Unter dem Strich sahen die Zahlen sogar noch besser aus: Der Gewinn legte um knapp 13 Prozent auf fast 193 Millionen Euro zu.
Doch lässt sich die Bedeutung nicht nur an Zahlen messen. Öffentliche Auftraggeber sind für den Bechtle-konzern, der mit 75 selbstständigen Gesellschaften am Markt agiert, sehr wichtig. Im vergangenen Jahr zeichneten sie für gut ein Drittel des Gesamtgeschäfts verantwortlich. So betreibt und unterstützt das Unternehmen nach eigener Aussage die It-infrastruktur vieler Impfzentren in Deutschland und Europa. Ein solches Projekt ist daher immer auch Türöffner für Folgeaufträge.
Und die braucht Bechtle, will das Unternehmen den Wachstumspfad der vergangenen Jahre halten. Für 2021 stellte Firmenchef Olemotz in Aussicht „Umsatz und Vorsteuerergebnis deutlich zu steigern“. Das bedeutet bei Bechtle in aller Regel ein Wachstum im hohen einstelligen Prozentbereich. Der Manager verwies jedoch gleichzeitig auf erhebliche Prognoseunsicherheiten. Ein Grund ist die Pandemie und die damit einhergehenden Auswirkungen auf das wirtschaftliche Umfeld, die nicht verlässlich vorhersehbar sind.
Ein anderer die „ausgeprägten Lieferengpässe und Knappheiten bei Halbleitern“– ein Problem mit dem unter anderem auch die Automobilindustrie zu kämpfen hat. Olemotz hofft, dem mit einer bei Bechtle bewährten Strategie beizukommen: mit Partnerschaften zu allen bedeutenden Lieferanten und Herstellern der It-branche. Diese hätten sich gerade in Krisenzeiten bewährt. Vor dem Hintergrund der angespannten Liefersituation in der gesamten It-branche sei Bechtle durch seine Partnerschaften länger lieferfähig gewesen als der Wettbewerb. Und das soll auch künftig so bleiben.