Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Forscher aus Leidenscha­ft

Die Biontech-gründer Özlem Türeci und Ugur Sahin erhalten das Bundesverd­ienstkreuz

- Von Finn Mayer-kuckuk und Benjamin Wagener

- Der 9. November hat für Ugur Sahin und Özlem Türeci die entscheide­nde Wegmarke markiert. An diesem Montag erhielten die Gründer des Mainzer Pharmaspez­ialisten Biontech die Daten der Phase-3-studie. Daten, die zeigen sollten, wie wirksam der von den Forschern entwickelt­e Impfstoff gegen das Coronaviru­s sein würde. „Der 9. November war der Tag der Wahrheit, von da an war klar, wie effektiv der Impfstoff tatsächlic­h wirkt und wie gut er damit gegen Covid-19 funktionie­rt“, erzählt Biontec-aufsichtsr­atschef Helmut Jeggle im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Aufgrund der signifikan­ten Wirksamkei­t war für die beiden an dem Tag klar, dass Biontech mit dem Impfstoff eine wirksame Waffe gegen die Pandemie beitragen kann.“

Für diese Leistung, die Sahin und Türeci vollbracht haben und die in diesen Stunden im November zuerst dem Ehepaar selbst klar geworden ist, hat Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier die beiden am Freitag mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net. Steinmeier würdigte sie als herausrage­nde Wissenscha­ftler und mutige Unternehme­r. „Ihre bahnbreche­nde Entdeckung rettet Menschenle­ben, sie rettet Existenzen, sie sichert unser gesellscha­ftliches, wirtschaft­liches und kulturelle­s Überleben“, sagte der Bundespräs­ident. Im Beisein von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verlieh Steinmeier Sahin und Türeci das große Verdienstk­reuz mit Stern, eine der höchsten Auszeichnu­ngen der Bundesrepu­blik.

Türeci und Sahin riefen zur Zuversicht und zu Pragmatism­us bei der Überwindun­g der Pandemie auf. „Das Licht im Dunkeln wird heller“, sagte Türeci. Durch eine internatio­nale Kraftanstr­engung sei schon viel erreicht worden. Die Aufgabe sei aber erst gelöst, wenn jeder einen Impfstoff erhalten könne.

Worte, die zur Charakteri­stik passen, die Biontech-aufsichtsr­atschef Jeggle von Türeci und Sahin zeichnet. „Für beide ist eine bessere Medikation für Patienten ein Lebensziel“, sagt Jeggle. „Türeci und Sahin sind unglaublic­h bodenständ­ig und geleitet vom wissenscha­ftlichen Streben, das Immunsyste­m, die Krankheit und die eigenen Technologi­en besser zu verstehen.“Den Stolz auf die beiden, den Stolz darauf, dass Türeci und Sahin in Rekordzeit ein sehr gutes Medikament gegen die Pandemie entwickelt haben, kann der gebürtige Oberschwab­e nicht verhehlen. „Sie haben etwas für die Menschheit geleistet. Mit ihrem Beitrag werden täglich Menschenle­ben gerettet, das zeigt der Rückgang der Mortalität­sraten“, sagt Helmut Jeggle.

Als die Pandemie vor gut einem Jahr in China ausbrach und die ersten Berichte über das Virus von Fernost nach Europa kamen, war dieser Erfolg nicht absehbar. Noch in der Woche der ersten Berichte beginnen Sahin und Türeci mit ihrer Entwicklun­gsarbeit und setzen sich an die Spitze der Impfstofff­orschung. Sie wissen, dass sich mit ihrer Technik, die die Eigenschaf­ten der Boten-ribonuklei­nsäure (MRNA) nutzt, in kurzer Zeit Mittel gegen fast jeden Erreger bauen lassen. Sie wissen auch, dass Impfungen gegen Corona grundsätzl­ich möglich sind. Sie treffen eine gewagte Entscheidu­ng – und stellen alle Ressourcen von Biontech hinter das Projekt „Lichtgesch­windigkeit“. Es ist ein Wagnis, denn die mrna-technologi­e ist für Impfstoffe noch so gut wie nicht erprobt.

Die Zuversicht Sahins und Türecis basiert auf den Erfahrunge­n, die sie mit ihrem Unternehme­n Biontech gemacht haben und mit dem sie ihre bis dahin gewonnen Erkenntnis­se über Boten-ribonuklei­nsäure zur Heilung und Vorbeugung verschiede­ner Krankheite­n nutzen wollten. Die beiden haben das Verfahren zwar nicht erfunden, aber sie gehören zu einer Handvoll von Gründern weltweit, die den Mut hatten, ein Unternehme­n um diese bisher unerprobte Technik herum aufzubauen. Bei Biontech in Mainz, wo Sahin bis heute auch Uni-professor ist, befinden sich daher einige der modernsten Forschungs­stätten für mrnatherap­ien. Der 2008 gegründete Biotech-spezialist ist dabei das zweite Unternehme­n von Türeci und Sahin. Bereits 2002 gründeten sie Ganymed Pharmaceut­icals, das sie 2016 an Japaner verkauft haben.

Sahin, 55, stammt aus dem südtürkisc­hen Iskenderun. Türeci, 54, ist in Niedersach­sen geboren, wuchs aber anfangs in Istanbul auf. Beide sind in Deutschlan­d zu Schule und Uni gegangen und haben in der Wissenscha­ft Karriere gemacht. Weggefährt­en beschreibe­n die beiden ähnlich wie Jeggle als uneitel. Dabei ist Türeci deutlich zurückhalt­ender. Sie schiebt oft ihren Mann vor, wenn es um Auftritte und das Rampenlich­t geht – daher ist er in den Medien stärker präsent, zumal er bei Biontech die Rolle des Firmenchef­s übernimmt. Türeci ist offiziell Forschungs­chefin. Doch es gibt die beiden nur im Paket, und sie treffen Entscheidu­ngen gemeinsam. Sie teilen sich oft ein Videokonfe­renz-fenster, wenn sie vom Homeoffice aus ihr Unternehme­n lenken.

Sahin ist trotz seiner ruhigen Art sehr gut darin, Sachverhal­te in der Öffentlich­keit zu erklären. Seine sanfte Stimme hilft dabei, Vertrauen in seine Techniken und Produkte zu schaffen. Er transporti­ert durch diese Aussagen und seine Sprechweis­e die Botschaft: Dieser Mann wäre untröstlic­h, wenn eines seiner Produkte jemandem schaden würde. Umso glaubwürdi­ger kann der ausgebilde­te Arzt versichern, wie überzeugt er von deren Sicherheit ist.

Der Aufstieg zum Professor und Unternehme­r war Sahin nicht in die Wiege gelegt. Als die deutsche Industrie

einst Gastarbeit­er angeworben hat, war Sahins Vater einer davon. Er hat bei Ford in Köln am Band gearbeitet. Türeci kommt dagegen aus einem Arzthausha­lt in Niedersach­sen; sie studierte Medizin, um in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Beide gingen Ende der 1990er-jahre an die Uniklinik des Saarlandes in Homburg, wo sie sich kennenlern­ten und ein Paar wurden. Den Wechsel an die Universitä­t Mainz machten die beiden bereits gemeinsam. Dort fingen sie an, die Möglichkei­ten gentechnis­cher Krebsthera­pie zu erforschen. Am Tag ihrer Hochzeit schauen sie nachmittag­s bei ihren Experiment­en im Labor vorbei: Sie sind echte Forscher aus Leidenscha­ft.

Für eine Unternehme­nsgründung dagegen reicht gute Wissenscha­ft allein nicht – dafür ist reichlich Kapital nötig. Doch die Begeisteru­ng für die Möglichkei­ten moderner Biomedizin hilft auch hier. Sie überzeugte­n zur Jahrhunder­twende die Pharmainve­storen und Hexal-gründer Thomas und Andreas Strüngmann, bei ihnen einzusteig­en. Biontech-aufsichtsr­atschef Helmut Jeggle erinnert sich im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“an diese Zeit. „Wir waren begeistert von der Art und Weise, wie Sahin und Türeci Wissenscha­ft betreiben. Nach einer Präsentati­on saßen wir zu siebt am Tisch und beschlosse­n, die Projekte auf mrna-basis nachhaltig zu finanziere­n“, erzählt Jeggle. Die Strüngmann­s werden zu den wichtigste­n Geldgebern von Biontech. 2019 kommen dann erste konkrete Erfolgsmel­dungen: Die Forscher des Unternehme­ns heilen Krebspatie­nten mit ihrer experiment­ellen Therapie.

Der Schritt von Sahin und Türeci, vor einem Jahr die gesamten Kapazitäte­n von Biontech auf die Entwicklun­g eines Corona-impfstoffe­s zu setzen, erscheint im Rückblick klug und sinnvoll, war in der Situation jedoch enorm riskant. Wenn das Vakzin nicht funktionie­rt, wenn das Projekt sich als eine Nummer zu groß herausstel­lt, hat ein kleines Unternehme­n sein Kapital verbrannt. Türeci und Sahin zeigen sich jetzt als Unternehme­r im besten Sinn. Sie gehen Risiken ein, um ihre Firma voranzubri­ngen – und nützen zugleich der Gesellscha­ft und der Gesamtwirt­schaft. Die Entwicklun­g des Impfstoffs war auch nicht von Steuergeld finanziert, wie häufig angenommen wird, sondern rein privat.

Auch die frühe Entscheidu­ng für den Us-konzern Pfizer als Partner erwies sich als richtig. Während Deutschlan­d noch diskutiert­e, ob Corona überhaupt eine reale Gefahr sei, entwarf Pfizer bereits Studien, die genau die richtigen Fragen beantworte­ten. Anders als bei Astra-zeneca lag ein Fokus durchaus bei älteren Testperson­en, die den Impfstoff tatsächlic­h am nötigsten brauchen. Die Partner organisier­ten da auch schon den Übergang zur Massenprod­uktion. Für Biontech war auch das ein riskanter Schritt. Das Unternehme­n hatte bisher nur Einzeldose­n seiner Wirkstoffe für Forschungs­zwecke hergestell­t. Das Führungste­am um Türeci und Sahin arbeitete Tag und Nacht, um Herstellun­gspartner heranzuzie­hen.

Der Kontrast zu anderen Pharmahers­tellern zeigt, wie gut Biontech in dieser schwierige­n Zeit organisier­t war. Zwar haben die Regierunge­n beim Konkurrent­en Astra-zeneca mehr Dosen bestellt. Astra-zeneca hat seine Lieferfähi­gkeit jedoch konstant überschätz­t und auch durch seine Studienano­rdnung für Verwirrung gesorgt. Der französisc­he Hersteller Sanofi ist mit seinem Impfstoffp­rojekt sogar komplett gescheiter­t. Biontech hält dagegen nicht nur seine Verspreche­n, sondern übertrifft sie sogar. In den kommenden Wochen erhält die EU zehn Millionen zusätzlich­e Dosen, die über den vorher mitgeteilt­en Lieferplan hinausgehe­n.

Natürlich hat sich der Einsatz auch für Sahin und Türeci gelohnt. Die Gründer sind heute, nachdem der Aktienkurs so stark gestiegen ist, mehrfache Milliardär­e. Wegbegleit­er beschreibe­n die beiden jedoch weiterhin als zurückhalt­endes Ehepaar – kein Vergleich mit den abgehobene­n Entreprene­uren aus der Welt des Silicon Valley. So hat sie am Freitag auch der Bundespräs­ident im Schloss Bellevue kennengele­rnt: bescheiden – und sichtbar überarbeit­et.

 ?? FOTO: STEFAN F. SÄMMER/IMAGO IMAGES ?? Die Biontech-gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci: „Für beide ist eine bessere Medikation für Patienten ein Lebensziel“, sagt Helmut Jeggle über die beiden Wissenscha­ftler. Der gebürtige Oberschwab­e ist der Aufsichtsr­atschef des Unternehme­ns Biontech.
FOTO: STEFAN F. SÄMMER/IMAGO IMAGES Die Biontech-gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci: „Für beide ist eine bessere Medikation für Patienten ein Lebensziel“, sagt Helmut Jeggle über die beiden Wissenscha­ftler. Der gebürtige Oberschwab­e ist der Aufsichtsr­atschef des Unternehme­ns Biontech.
 ?? FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA ?? Türeci und Sahin bei der Ehrung im Schloss Bellevue: Wegbegleit­er beschreibe­n sie trotz allen Erfolgs als bodenständ­ig und bescheiden.
FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Türeci und Sahin bei der Ehrung im Schloss Bellevue: Wegbegleit­er beschreibe­n sie trotz allen Erfolgs als bodenständ­ig und bescheiden.

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