Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Rabiat und zart – das Rotkehlchen
Bei der erstmals öffentlichen Wahl wird es zum zweiten Mal nach 1992 Vogel des Jahres
Nach Wochenenden ist bei der Interpretation der Zahlen zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Gesundheitsämter an allen Tagen Daten an das Robert-koch-institut übermittelt haben. In der Tabelle werden die zu Redaktionsschluss neuesten verfügbaren Zahlen angegeben. Dadurch kann es zu Abweichungen zu nationalen und lokalen Zahlen kommen. Die 7-Tage-inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab. Quellen: Robert-koch-institut von Freitag, 7.50 Uhr; Landesgesundheitsamt Badenwürttemberg von Freitag, 16 Uhr; Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit von Freitag, 8 Uhr.
(KNA) - Das Rotkehlchen ist der Rabauke unter den heimischen Federtieren. Die Art ist für ihr territoriales Verhalten bekannt, sie verteidigt ihr Revier unerschrocken gegen Konkurrenten. Selbst Männer mit rötlichen Bärten wurden von dem Flatterer schon attackiert, wie der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) berichtet. Ebendieses aggressive Rotkehlchen ist der neue Vogel des Jahres, zum zweiten Mal nach 1992. Das haben der Nabu und sein Kooperationspartner, der bayerische Landesbund für Vogelschutz (LBV), am Freitagabend in Berlin verkündet.
Die Wahl zum Vogel des Jahres gibt es seit 50 Jahren. Sie soll auf die Gefährdung von Arten und Lebensräumen hinweisen. Inzwischen hat die Aktion – vom Baum bis zum Höhlentier des Jahres – viele Nachahmer gefunden.
Über den Jahresvogel hatten bisher stets Experten entschieden. Zum Jubiläum fand die Kür erstmals öffentlich statt. Bis Ende 2020 konnten Tierfreunde aus 307 in Deutschland vorkommenden Arten ihren Lieblingsvogel nominieren. Danach folgte eine Stichwahl zwischen den zehn Meistnominierten. Neben dem Rotkehlchen waren das: Amsel, Blaumeise, Feldlerche, Eisvogel, Goldregenpfeifer, Kiebitz, Rauchschwalbe, Stadttaube und Haussperling. Insgesamt haben laut LBV und Nabu rund 460 000 Menschen abgestimmt. Dies sei „überwältigend“. Daher solle die Wahl zum Jahresvogel auch in Zukunft öffentlich ablaufen. An der Stichwahl beteiligt waren mehr als 326 000 Vogelfreunde. Das Rotkehlchen bekam 59 338 Stimmen und lag so vor Rauchschwalbe und Kiebitz.
Den Haussperling übrigens hatten die Regensburger Domspatzen favorisiert. Die Unterstufe des weltberühmten Knabenchors aus der Oberpfalz rief extra ein Wahlkampfteam namens „Spatzen für Spatzen“ins Leben. Zur Begründung hieß es: Der Haussperling gelte als geselliger Vogel und als zunehmend gefährdet. Zu schaffen machen ihm nämlich Nahrungsmangel durch allzu aufgeräumte Landschaften und Nistplatznot, weil durch Sanierungen Nischen an Gebäuden verschwinden. „Da lag es nahe, dass die Domspatzen sich für ihn einsetzen.“
Mit dem immer mehr bedrängten Spatzen hätten sich wohl auch Ornithologen anfreunden können. Von ihnen gab es im Vorfeld Kritik an der öffentlichen Vogelwahl. Die Leute wählten doch vor allem, was sie ständig sähen, etwa die Stadttaube, hieß es. Dies konterkariere den Lebensraumund Artenschutzgedanken. Beim letztjährigen Jahresvogel war dieser Aspekt noch essenziell: Der Bestand der Turteltaube ist wegen Lebensraumzerstörung und Bejagung seit 1980 um fast 90 Prozent eingebrochen.
Um das Rotkehlchen steht’s hingegen gut. Der bloß bis 20 Gramm leichte Insekten-, Beeren- und sogar Fischfresser gilt mit etwa vier Millionen Brutpaaren als einer der häufigsten Vögel hierzulande. Das war schon so bei seiner ersten Wahl 1992; damals aber hatten saurer Regen samt Waldsterben das Rotkehlchen mancherorts vertrieben. Und damit auch seinen holden Gesang: „Die Töne perlen, die Stimmung (…) wird als feierlich, wehmütig oder melancholisch bezeichnet“, schreibt das Blvhandbuch Vögel. Die Art wird demnach bis zu 17 Jahre alt, ist sommers wie winters in Parks und Gärten zu sehen und nistet selbst in alten Gießkannen.
Wo das Rotkehlchen nicht vorkommt: in der Bibel. Und das, obwohl Vögel im Allgemeinen darin zigfach zu finden sind. Vielleicht wegen ihres Lebens am Himmel, nahe bei Gott? Im Lukas-evangelium etwa dient ein Vogelverweis zur Betonung der göttlichen Fürsorge: „Seht die Raben an: Sie säen nicht, sie ernten auch nicht, sie haben auch keinen Keller und keine Scheune, und Gott ernährt sie doch.“
Auch wenn es im Buch der Bücher keine Rolle spielt, für Christen kann das Rotkehlchen dennoch als bedeutsam gelten. Gleich mehrere Legenden bringen das Tier mit Jesus in Verbindung. Eine geht so: Als Jesus geboren wurde, war im Stall von Bethlehem auch ein Vogel zugegen. Als alle anderen Anwesenden schliefen, drohte das Feuer zu erlöschen, Jesus begann bereits zu zittern. Nur der Vogel bemerkte dies und fachte die Glut sodann mit Flügelschlägen an. Dabei verbrannte sich das Tier vor lauter Eifer sein Brustgefieder und das halbe Gesicht – seither heißt es Rotkehlchen.
Anderen Geschichten nach tröstete der Vogel Jesus am Kreuz mit seinem Gesang oder zog dort einen Dorn aus dessen Stirn. Jedenfalls kam Jesu Blut auf das Tier – und dieses so zu seinem Aussehen. Das rabiate Rotkehlchen – es scheint also auch eine zarte Seite zu haben.