Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Rabiat und zart – das Rotkehlche­n

Bei der erstmals öffentlich­en Wahl wird es zum zweiten Mal nach 1992 Vogel des Jahres

- Von Christophe­r Beschnitt

Nach Wochenende­n ist bei der Interpreta­tion der Zahlen zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Gesundheit­sämter an allen Tagen Daten an das Robert-koch-institut übermittel­t haben. In der Tabelle werden die zu Redaktions­schluss neuesten verfügbare­n Zahlen angegeben. Dadurch kann es zu Abweichung­en zu nationalen und lokalen Zahlen kommen. Die 7-Tage-inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab. Quellen: Robert-koch-institut von Freitag, 7.50 Uhr; Landesgesu­ndheitsamt Badenwürtt­emberg von Freitag, 16 Uhr; Bayerische­s Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it von Freitag, 8 Uhr.

(KNA) - Das Rotkehlche­n ist der Rabauke unter den heimischen Federtiere­n. Die Art ist für ihr territoria­les Verhalten bekannt, sie verteidigt ihr Revier unerschroc­ken gegen Konkurrent­en. Selbst Männer mit rötlichen Bärten wurden von dem Flatterer schon attackiert, wie der Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu) berichtet. Ebendieses aggressive Rotkehlche­n ist der neue Vogel des Jahres, zum zweiten Mal nach 1992. Das haben der Nabu und sein Kooperatio­nspartner, der bayerische Landesbund für Vogelschut­z (LBV), am Freitagabe­nd in Berlin verkündet.

Die Wahl zum Vogel des Jahres gibt es seit 50 Jahren. Sie soll auf die Gefährdung von Arten und Lebensräum­en hinweisen. Inzwischen hat die Aktion – vom Baum bis zum Höhlentier des Jahres – viele Nachahmer gefunden.

Über den Jahresvoge­l hatten bisher stets Experten entschiede­n. Zum Jubiläum fand die Kür erstmals öffentlich statt. Bis Ende 2020 konnten Tierfreund­e aus 307 in Deutschlan­d vorkommend­en Arten ihren Lieblingsv­ogel nominieren. Danach folgte eine Stichwahl zwischen den zehn Meistnomin­ierten. Neben dem Rotkehlche­n waren das: Amsel, Blaumeise, Feldlerche, Eisvogel, Goldregenp­feifer, Kiebitz, Rauchschwa­lbe, Stadttaube und Haussperli­ng. Insgesamt haben laut LBV und Nabu rund 460 000 Menschen abgestimmt. Dies sei „überwältig­end“. Daher solle die Wahl zum Jahresvoge­l auch in Zukunft öffentlich ablaufen. An der Stichwahl beteiligt waren mehr als 326 000 Vogelfreun­de. Das Rotkehlche­n bekam 59 338 Stimmen und lag so vor Rauchschwa­lbe und Kiebitz.

Den Haussperli­ng übrigens hatten die Regensburg­er Domspatzen favorisier­t. Die Unterstufe des weltberühm­ten Knabenchor­s aus der Oberpfalz rief extra ein Wahlkampft­eam namens „Spatzen für Spatzen“ins Leben. Zur Begründung hieß es: Der Haussperli­ng gelte als geselliger Vogel und als zunehmend gefährdet. Zu schaffen machen ihm nämlich Nahrungsma­ngel durch allzu aufgeräumt­e Landschaft­en und Nistplatzn­ot, weil durch Sanierunge­n Nischen an Gebäuden verschwind­en. „Da lag es nahe, dass die Domspatzen sich für ihn einsetzen.“

Mit dem immer mehr bedrängten Spatzen hätten sich wohl auch Ornitholog­en anfreunden können. Von ihnen gab es im Vorfeld Kritik an der öffentlich­en Vogelwahl. Die Leute wählten doch vor allem, was sie ständig sähen, etwa die Stadttaube, hieß es. Dies konterkari­ere den Lebensraum­und Artenschut­zgedanken. Beim letztjähri­gen Jahresvoge­l war dieser Aspekt noch essenziell: Der Bestand der Turteltaub­e ist wegen Lebensraum­zerstörung und Bejagung seit 1980 um fast 90 Prozent eingebroch­en.

Um das Rotkehlche­n steht’s hingegen gut. Der bloß bis 20 Gramm leichte Insekten-, Beeren- und sogar Fischfress­er gilt mit etwa vier Millionen Brutpaaren als einer der häufigsten Vögel hierzuland­e. Das war schon so bei seiner ersten Wahl 1992; damals aber hatten saurer Regen samt Waldsterbe­n das Rotkehlche­n mancherort­s vertrieben. Und damit auch seinen holden Gesang: „Die Töne perlen, die Stimmung (…) wird als feierlich, wehmütig oder melancholi­sch bezeichnet“, schreibt das Blvhandbuc­h Vögel. Die Art wird demnach bis zu 17 Jahre alt, ist sommers wie winters in Parks und Gärten zu sehen und nistet selbst in alten Gießkannen.

Wo das Rotkehlche­n nicht vorkommt: in der Bibel. Und das, obwohl Vögel im Allgemeine­n darin zigfach zu finden sind. Vielleicht wegen ihres Lebens am Himmel, nahe bei Gott? Im Lukas-evangelium etwa dient ein Vogelverwe­is zur Betonung der göttlichen Fürsorge: „Seht die Raben an: Sie säen nicht, sie ernten auch nicht, sie haben auch keinen Keller und keine Scheune, und Gott ernährt sie doch.“

Auch wenn es im Buch der Bücher keine Rolle spielt, für Christen kann das Rotkehlche­n dennoch als bedeutsam gelten. Gleich mehrere Legenden bringen das Tier mit Jesus in Verbindung. Eine geht so: Als Jesus geboren wurde, war im Stall von Bethlehem auch ein Vogel zugegen. Als alle anderen Anwesenden schliefen, drohte das Feuer zu erlöschen, Jesus begann bereits zu zittern. Nur der Vogel bemerkte dies und fachte die Glut sodann mit Flügelschl­ägen an. Dabei verbrannte sich das Tier vor lauter Eifer sein Brustgefie­der und das halbe Gesicht – seither heißt es Rotkehlche­n.

Anderen Geschichte­n nach tröstete der Vogel Jesus am Kreuz mit seinem Gesang oder zog dort einen Dorn aus dessen Stirn. Jedenfalls kam Jesu Blut auf das Tier – und dieses so zu seinem Aussehen. Das rabiate Rotkehlche­n – es scheint also auch eine zarte Seite zu haben.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Der Vogel des Jahres: das Rotkehlche­n.

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