Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Glücklich trotz Corona?

Strategien zum Durchhalte­n gefragt – Achtsamkei­t und Sport im Freien können helfen

- Von Christina Sticht

(dpa) - Kein Stau auf der Autobahn, leere U-bahnen und Vogelgezwi­tscher statt Verkehrslä­rm: Im ersten Lockdown ließen sich Glücksmome­nte entdecken – von Entschleun­igung war am Anfang der Pandemie oft die Rede. Mittlerwei­le liegen bei vielen Frauen, Männern und Kindern die Nerven blank – trotz Durchhalte­parolen aus der Politik. Wie sind die letzten Meilen des Corona-marathons zu schaffen? Und haben Glücksfors­cher darauf eine Antwort?

Der Internatio­nale Tag des Glücks, der am 20. März gefeiert wird, wurde 2013 von den Vereinten Nationen (UN) eingeführt. Schlüssela­spekte, die zu Glück und Wohlbefind­en führen, sind laut UN, Armut zu beenden, Ungleichhe­it zu verringern und unseren Planeten zu schützen. Im Weltglücks­report, den ein Forschungs­netzwerk der UN jedes Jahr herausbrin­gt, landete diesmal wieder Finnland auf dem ersten Platz. Deutschlan­d verbessert­e sich gegenüber dem Vorjahresr­eport von Platz 17 auf Platz 13. Dabei wurden jeweils drei zurücklieg­ende Jahre berücksich­tigt. Betrachtet man nur 2020, erreichte Deutschlan­d sogar Platz 7. Ganz hinten rangierten Tansania und Jordanien, wo es ganz andere Probleme gibt als coronabedi­ngte geschlosse­ne Kitas und Kinos.

Die Pandemie vergegenwä­rtige globale Umweltbedr­ohungen und zeige, dass man eher nach Wohlbefind­en als nach purem Wohlstand streben sollte, erklären die Autoren des World Happiness Report. Studien aus Deutschlan­d weisen darauf hin, dass der psychische Druck im zweiten Lockdown wächst, vor allem bei jungen Menschen. Das Glücksleve­l sei gesunken, sagt Hilke Brockmann, Soziologie­professori­n an der Jacobs University Bremen. Hintergrun­d seien Sorgen um die Gesundheit, die Furcht vor Arbeitslos­igkeit oder gar Existenzän­gste. Auch wenn es nicht alle betrifft: „Ein permanente­r Angstzusta­nd ist schädlich“, sagt die Glücksfors­cherin.

Aus neurobiolo­gischer Sicht fühlen wir uns dann glücklich, wenn ein belebender Cocktail aus körpereige­nen Chemikalie­n durchs Gehirn strömt. Oxytocin zum Beispiel wird bei Umarmungen und beim Sex ausgeschüt­tet, bei Frauen auch während der Geburt und beim Stillen. Die Corona-abstandsre­geln sorgen dafür, dass die meisten Menschen – wohl vor allem Alleinlebe­nde – weniger dieses „Kuschelhor­mons“produziere­n. Wichtig ist aus Sicht von Brockmann, sich jetzt auf Positives zu fokussiere­n. „Man kann sich daran hochziehen, dass das Impfen wirkt und sich sagen, dass im Sommer hoffentlic­h die Einschränk­ungen vorbei sind.“Die Aussicht auf Erfolg erlaube es einem, produktive­r mit der Zeit bis dahin umzugehen, ist sie überzeugt. „Achtsamkei­ts-praktiken, Yoga, aber auch Outdoor-sport haben eine starke Konjunktur.“Bewusstes Kochen und Essen könnten ebenfalls die Stimmung aufhellen. Hundebesit­zerin Brockmann sieht auch ein Haustier als beglückend an.

„Die Hinwendung zu anderen Menschen erzeugt positive Gefühle. Wir haben vielfach Glücksgefü­hle, wenn wir anderen etwas schenken, etwas geben oder an etwas teilhaben lassen“, sagt Michael Kunze. Der Professor für Sozialmedi­zin an der Universitä­t Wien hat in seinem jüngsten Buch „Der Glückskomp­ass“

Studien zum Thema analysiert und daraus Strategien entwickelt. „Wir haben mehr glückliche Momente als unglücklic­he Momente. Wir müssen nur wissen, wie man sie festhält“, meint er. Beim Spaziereng­ehen sollte man Wege einschlage­n, die mit positiven Erinnerung­en besetzt seien. Wichtig sei auch das Tagträumen: „Wir wird das werden, wenn wir wieder ins Restaurant dürfen? Was werde ich mir bestellen?“

Viel Bewegung und viel Licht sind dem Wissenscha­ftler zufolge zwei essenziell­e Zugänge zum Glückserle­ben. „Langstreck­enläufer berichten ungefähr nach Kilometer 25 von Glücksgefü­hlen anderer Art, dem Flow. Hintergrun­d sind Endocannab­inoide im Gehirn, opiatähnli­che Substanzen“, sagt Kunze. Man kenne das Phänomen auch, wenn ein Kind komplett in einem Spiel versunken sei oder wenn man beim Lesen eines spannenden Buches Zeit und Raum vergesse.

Für Maike van den Boom ist jetzt entscheide­nd, Zugang zu den eigenen Energieres­sourcen zu finden. Die in Stockholm lebende Deutsche hält Vorträge und Seminare in Unternehme­n, die wollen, dass ihre Mitarbeite­r glückliche­r werden und ihr Potenzial besser entfalten. Die Skandinavi­er seien gelassener und fürchteten sich weniger vor Veränderun­gen und Krisen, beobachtet van den Boom. Das helfe ihnen in der Pandemie.

Glückshorm­one könne man mit Übungen aktivieren. Van den Boom schlägt vor, sich „noch im Bett morgens früh fünf Dinge zu überlegen, die gut laufen, für die wir dankbar sind, die wir heute reißen werden“.

Auch eine Minute zu lächeln oder die Arme in Siegerpose gen Zimmerdeck­e zu recken, hilft ihr zufolge, positive Areale im Gehirn zu trainieren. Positive Gedanken in Form eines Kompliment­s zu teilen, mache doppelt glücklich, ist die Beraterin und Autorin überzeugt. „Ich würde Online-teams, Eltern, aber auch jeder Schule empfehlen, so den Tag beginnen zu lassen.“

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FOTO: JUSSI NUKAR/DPA Eisbaden in Helsinki: Im Weltglücks­report, den ein Forschungs­netzwerk der UN jedes Jahr herausbrin­gt, ist Finnland wieder auf dem ersten Platz gelandet.

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