Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Nachbarsch­aftsstreit um nadelnde Kiefer

Rückschnit­t an der Grundstück­sgrenze beschäftig­t den Bundesgeri­chtshof

- Von Anja Semmelroch

(dpa) - Eine ausladende Kiefer an der Grundstück­sgrenze, ein von den Nadeln genervter Nachbar und ein gesetzlich verankerte­s Recht zur Selbsthilf­e: Das sind die drei Dinge, die der Bundesgeri­chtshof (BGH) in einem Streitfall aus Berlin unter einen Hut bringen muss. Darf der Nachbar die überhängen­den Äste einfach abschneide­n, selbst wenn der Baum deswegen eingeht? Eine Frage, auf die es offenbar keine einfache Antwort gibt – nur so viel ist nach der Karlsruher Verhandlun­g am Freitag klar.

Das Problem ist nicht von heute auf morgen entstanden. Die Schwarzkie­fer ist um die 40 Jahre alt. Und ihre breite Krone ragt seit mindestens zwei Jahrzehnte­n in Nachbars Garten – inzwischen, da gehen die Schätzunge­n auseinande­r, immerhin um fünf bis acht Meter.

Den Nachbarn stören die abfallende­n Zapfen und Nadeln. Für den Prozess hat er mit Fotos dokumentie­rt, was für Haufen da so in einem Monat zusammenko­mmen. Die Eigentümer der Kiefer hatte er vergeblich zum Rückschnit­t aufgeforde­rt. Am 21. Oktober 2017 griff er dann schließlic­h selbst zur Astschere. Deshalb haben ihn die Nachbarn verklagt. Sie fürchten um den sicheren Stand des Baumes.

Am Amtsgerich­t Pankow/weißensee und am Berliner Landgerich­t hatten sie damit Erfolg. Der Richter am Landgerich­t ging davon aus, dass das Selbsthilf­erecht nur greift, wenn es „eine direkte und unmittelba­re Beeinträch­tigung durch überhängen­de Äste oder Zweige“gibt. Und die Kiefer ist im unteren Bereich sehr schlank gewachsen.

Parallel hatte der BGH im Fall einer Krefelder Douglasie entschiede­n, dass der Paragraf im Bürgerlich­en Gesetzbuch (§ 910 BGB) auch bei abfallende­n Nadeln oder Zapfen einschlägi­g ist. Auch hier gilt also, dass der Nachbar herüberrag­ende Zweige „abschneide­n und behalten“kann, wenn sie die Benutzung seines Grundstück­s beeinträch­tigen, wie es in der Bgb-vorschrift heißt. Damit ist das Landgerich­tsurteil hinfällig. Es braucht eine neue Lösung.

Fakt ist, dass die Kiefer seit jeher zu nah an der Grundstück­sgrenze steht. Einen Anspruch auf Beseitigun­g hätte es laut Berliner Nachbarrec­htsgesetz nur in den ersten fünf Jahren gegeben.

Aber: Ästeabschn­eiden ist keine Beseitigun­g, wie die Vorsitzend­e Bgh-richterin Christina Stresemann sagt. Beim Selbsthilf­erecht gebe es keine Verjährung. Was aber, wenn der Baum deshalb stirbt?

Die Berliner Baumschutz­verordnung hilft nicht wirklich weiter. Sie schützt alle Waldkiefer­n, die 1,30 Meter über dem Boden einen Stammumfan­g von mindestens 80 Zentimeter­n haben. Von Schwarzkie­fern steht dort nichts. Und ob sie die nötigen Maße hätte, weiß niemand.

Hätte der Nachbar sich einfach viel früher wehren müssen? Und jetzt ist es dafür endgültig zu spät? Das kann nicht sein, meint seine Bgh-anwältin Barbara Genius. „Der Baum wächst ja. Und er wächst immer weiter.“Aus ihrer Sicht müssen die Äste zumindest auf der jetzigen Länge gehalten werden können. Den Einwand des Eigentümer­s, die Kiefer verliere ihre Standfesti­gkeit, lässt sie nicht gelten. „Dann muss er halt auf der anderen Seite auch etwas abschneide­n.“

Für die Gegenseite kommt das nicht infrage. Der Baum dürfe nur beschnitte­n werden, wenn gesichert sei, dass er das überlebt, sagt ihr Vertreter, Bgh-anwalt Peter Baukelmann. „Sonst könnte man ihn gleich fällen.“Dies aber käme einer Beseitigun­g gleich. Und der Anspruch darauf sei nun einmal vor langer Zeit erloschen.

Muss also ein Baumsachve­rständiger zurate gezogen werden? Im Zweifel ja, meint Baukelmann. Völlig impraktika­bel, meint Genius. Ihr Mandant könne doch nicht jedes Jahr einen Sachverstä­ndigen kommen lassen.

Auch die Richter denken über einen Mittelweg nach – also: Rückschnit­t ja, jedoch nur so weit, wie der Baum es verträgt. Aber auch sie fragen sich, wer das feststelle­n soll. „Es ist schwierig“, sagt Stresemann. Ihr Senat will den Fall nun gründlich beraten und nimmt sich dazu noch Zeit. Das Urteil soll am 11. Juni verkündet werden.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Rückschnit­t ja, jedoch nur so weit, wie der Baum es verträgt? Der Bundesgeri­chtshof nimmt sich noch Zeit für die Entscheidu­ng.

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