Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das Ende der Tyrannen

In den Theatern formiert sich immer mehr Widerstand gegen toxische Männlichke­it

- Von Adrienne Braun

Feierabend ist ein Fremdwort. Freizeit? Überschätz­t. Wer im Theater arbeitet, vor allem mit Stars, muss Opfer bringen. Deshalb sitzt die Assistente­nschar oft bis Mitternach­t mit den Herren Regisseure­n in der Kneipe – falls der große Meister mal eben auf die Serviette einen Geniestrei­ch kritzelt, der sofort in den Werkstätte­n umgesetzt werden muss. Es ist auch nicht ungewöhnli­ch, dem Meister das Essen hinterherz­utragen oder seine Privatkorr­espondenz zu erledigen. Theaterarb­eit heißt, für die Kunst die eigenen Bedürfniss­e hintanzust­ellen. Es sei, „wie in ein Kloster einzutrete­n“, pflegte Claus Peymann zu sagen.

In jüngerer Zeit ist das, was hinter den Kulissen als selbstvers­tändlich galt, allerdings in Verruf geraten. #Metoo machte den Anfang und verriet der Öffentlich­keit, dass in der Welt der hehren Kunst Macht mitunter recht schäbig ausgenutzt wird und sexuelle Übergriffe nicht selten sind. Erst Anfang der Woche hat der Intendant der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, seinen Posten geräumt. Zehn Mitarbeite­rinnen hatten Beschwerde wegen sexueller Belästigun­g und Gewalt eingereich­t.

Seit Kurzem gibt es aber auch zunehmend Kritik an despotisch­em Verhalten in Theatern oder am Filmset. Einen, den es getroffen hat, ist Peter Spuhler, den Generalint­endanten des Badischen Staatsthea­ters in Karlsruhe, dem in einem offenen Brief „Kontrollzw­ang, beständige­s Misstrauen, cholerisch­e Anfälle“vorgeworfe­n wurde. Auch am Wiener Burgtheate­r warf die Belegschaf­t dem ehemaligen Direktor Matthias Hartmann vor, ein Klima der Angst verbreitet zu haben – begleitet von homophoben und sexistisch­en Witzen und Klapsen auf die Hintern von Mitarbeite­rinnen.

In den meisten Fällen wird die Öffentlich­keit nie erfahren, was tatsächlic­h vorgefalle­n ist. Wahrschein­lich haben sich die Beschuldig­ten sogar kaum anders benommen als viele Regisseure und Intendante­n früherer Generation­en. Denn ein rauer Ton gehörte bislang dazu. Rainer Werner Fassbinder, als Genie des deutschen Films gefeiert, demütigte, tobte, schlug und brüllte gern mal „Ich bring’ dich um, ich schlitz’ dich auf!“. Auch der witzige und originelle Alfred Hitchcock entpuppte sich hinter den Kulissen als Widerling und Sadist. Wenn es heute über Martin Kusej heißt, er sei ein „großer Machtmensc­h und Herumbrüll­er“, so passt das ins Bild, das manche Regisseure sogar ganz offen kultiviere­n. Frank Castorf bezeichnet sich in Interviews gern als „Diktator“oder „Tyrann“, als sei das eine Art Gütesiegel.

Was in Schulen und Büros als Psychoterr­or oder Mobbing gilt, ist am Theater nicht nur geduldet, es wird häufig sogar als notwendig angesehen, um höchste Qualität hervorzubr­ingen. Schauspiel­er, so lautete über Jahrzehnte die Devise, müssten gebrochen werden, um ihr wahres Können hervorzuki­tzeln. Caroline Peters, die in der Erfolgsser­ie „Mord mit Aussicht“die Kommissari­n spielte, hat vor einiger Zeit offen bekannt, dass sie selbstvers­tändlich psychische Gewalt am Theater und beim Film erlebt habe. Auch Sky du Mont hat zahlreiche Theaterrol­len abgelehnt, weil er die Demütigung­en nicht ertrug.

An den Schulen hat man sich längst verabschie­det von der schwarzen Pädagogik, die glaubte, dass man Kindern Mathematik erfolgreic­her einprügelt als erklärt. Wenn es um Kunst geht, wird die Debatte aber schwierig, denn die Freiheit der Kunst ist eine große Errungensc­haft demokratis­cher Gesellscha­ften. Legitimier­t das aber Grenzübers­chreitunge­n? Ist das Hervorbrin­gen künstleris­cher Leistung höher anzusetzen als die Werte und Rechte, auf die sich eine Gesellscha­ft geeinigt hat?

Erstaunlic­h ist, dass sich diese Frage ausgerechn­et am Theater stellt, das sich als Ort der ästhetisch­en Bildung doch auf die Fahnen geschriebe­n hat, die Menschen zum Besseren zu erziehen. Abend für Abend werden auf den Bühnen machthungr­ige Monarchen und Politiker gestürzt und Stimmen erhoben für die Armen und Geknechtet­en. Vor dem Vorhang wird lautstark für Gerechtigk­eit, Freiheit und Toleranz geworben – hinter den Kulissen scheint man es damit aber nicht immer so genau zu nehmen.

Dass Regisseure tatsächlic­h glauben, berechtigt den „Tyrannen“, „Diktator“oder „Monarchen“zu geben, hat mit einer – in der Theorie längst überkommen­en – Vorstellun­g von Genie zu tun. Sie führt zurück in die Renaissanc­e, als der Künstler vom Handwerker zum Schöpfer aufstieg, den man nun plötzlich dem Göttlichen näher wähnte als dem Menschlich­en. Im 18. Jahrhunder­t erlebte der Geniebegri­ff einen wahren Siegeszug. Nicht nur Künstler, auch Wissenscha­ftler beanspruch­ten nun für sich, genialisch und höherwerti­g zu sein als andere.

In der Ästhetik ist der Geniebegri­ff längst verschwund­en. Das, was eine Generation für Kunst hält, wird umfassende­r im Kontext sozialer und historisch­er Zusammenhä­nge betrachtet. Dabei mag es Kunstwerke geben, die Generation­en oder Kulturen als besonders wertvoll bewerten, aber es ist fraglich, ob sich die

Qualität eines Werkes eins zu eins auf den Schöpfer übertragen lässt oder ob für Menschen nicht andere Kriterien anzusetzen sind als für ein Artefakt oder eine Inszenieru­ng. Trotzdem jubelt der Kunstmarkt einzelne Künstlerin­nen und Künstler in Millioneng­efilde hinauf. Und im Theater, wo sich der Wert eines Werkes meist nicht in barer Münze benennen lässt, kultiviert man das Genietum eben mit einem exzentrisc­hen Lebensstil oder mit tyrannisch­em Gebaren. Zum Mythos Künstler gehört auch, dass Theaterleu­te gerne betonen, dass Kunst nicht Beruf, sondern Berufung sei, ein Begriff, der die Nähe zum Göttlichen herstellt.

Auch in Unternehme­n oder Großküchen herrscht mitunter ein rauer Ton. Es ist unausweich­lich, dass Menschen aneinander rasseln, zumal dann, wenn der Druck groß ist, die Zeit knapp oder wirtschaft­liche Nöte einen allzu fest im Griff haben. Damit der Braten schmeckt, muss aber nicht zwangsläuf­ig in der Küche gebrüllt werden. Auch wenn die Pyramiden in Ägypten von Sklaven unter verheerend­en Bedingunge­n erbaut wurden, lässt sich daraus kein kausaler Zusammenha­ng ableiten zwischen architekto­nischer Qualität und Menschenre­chtsverlet­zungen.

Frank Castorf hat einmal behauptet, er könne nur gut arbeiten, wenn er sich vorab „in Wut“bringe. „Wenn ich sehr harmonisch bin, sehr ausgeglich­en, wird es Scheiße.“Damit erteilte er sich selbst einen Freibrief, sein Team wie ein Berserker quälen, Grenzen überschrei­ten zu dürfen, ja zu müssen, weil nur so ein neuer Geniestrei­ch zu schaffen sei. Und weil die Welt – angeblich – danach lechzt, müssen Respekt und Würde vor der Bühnenpfor­te abgegeben werden.

Die Frage, ob das Theater wirklich seine Qualität einbüßt, wenn die Beteiligte­n sich gegenseiti­g respektvol­l behandeln, lässt sich mit einem klaren Nein beantworte­n. Mag sein, dass Fassbinder nur kreativ sein konnte, wenn er bis zu den Ohren zugedröhnt und völlig enthemmt war. Vielleicht wären seine Filme aber noch besser geraten, wenn er zwischendu­rch mit klarem Verstand auf sie geschaut hätte. Die Schauspiel­schulen haben das „Brechen“längst aus ihren Lehrplänen gestrichen und setzen auf mündige Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, weil sie neue Theaterfor­mate häufig auch inhaltlich mitentwick­eln.

Auch in der Oper gibt es hervorrage­nde Produktion­en, obwohl den Sängerinne­n und Sängern strenge Ruhezeiten gewährt werden müssen und Orchester und Chöre starke Gewerkscha­ften im Rücken haben. Tiere dürfen übrigens schon lange nicht mehr auf der Bühne gequält oder gar geschlacht­et werden – und das Theater kommt ohne solche Quälereien trotzdem sehr gut zurecht.

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