Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Bäume pflanzen fürs Klima

Ärmel hochkrempe­ln, Loch buddeln, Tanne rein: Damit lassen sich nicht nur Beliebthei­tspunkte sammeln – Viele Organisati­onen widmen sich entspreche­nden Waldschutz­projekten

- Von Andrea Mertes

Und noch einmal mit Schwung. Zweieinhal­b Kilo wiegt eine Wiedehopfh­aue, ihr durchgesch­miedeter Kopf hat eine scharfe Seite, unter deren Hieb widerspens­tige Fichtenwur­zeln bersten. Sie hat auch eine platte Seite, mit der wir Waldarbeit­erinnen und Waldarbeit­er den freigegebe­nen Boden aufhebeln, aufgraben, aufstemmen. Bis ein Loch entstanden ist im Humus, in dem nun eine Miniatur-weißtanne ihren Platz findet. In einer Baumschule ist sie gewachsen, ihre noch feinen Wurzeln sind zu einem Ballen vernetzt, das schützte sie auf ihrem Weg bis zu ihrem neuen Standort vor Austrocknu­ng. Nun hat sie hier auf rund 1200 Metern ihr Ziel erreicht. Anders als die flachwurze­lnde Fichte werden ihre Pfahlwurze­ln tief hinein ins Erdreich greifen und so den steilen Hang oberhalb von Bayrischze­ll in Oberbayern stabilisie­ren. Neben dieser Schutzfunk­tion wird die Tanne in ihrem hoffentlic­h langen Leben tonnenweis­e Kohlendiox­id aus der Luft binden und das Erdreich unter ihr kühlen, sodass dort andere Waldbewohn­er leben können.

Das junge Bäumchen ist eines von Tausenden, die in den kommenden Tagen gepflanzt werden: von uns, den Teilnehmen­den des Bergwaldpr­ojektes. Der gemeinnütz­ige Verein ist ein Kind des Waldsterbe­ns, er entstand Ende der 1980er-jahre in der Schweiz und wird in Deutschlan­d seit 1993 als Verein geführt. Die einwöchige­n Freiwillig­eneeinsätz­e bringen Laien in forstliche Arbeit, anfangs vor allem im Schutzwald oberhalb der Ortschafte­n im Gebirge, um Siedlungen vor Erdrutsche­n und Lawinen zu schützen. Doch das Bewusstsei­n um die Bedeutung des Waldes entwickelt­e sich weiter und damit auch die Tätigkeits­felder des Bergwaldpr­ojektes: Heute gibt es rund 150 Einsätze in ganz Deutschlan­d, von der Nordsee bis zum Allgäu. Die Freiwillig­en arbeiten üblicherwe­ise eine Woche, sie renaturier­en Moore, pflanzen standortge­rechte Bäume oder schützen den Wald vor Wildschäde­n. Professor Ulrich Kohnle, Abteilungs­leiter „Waldwachst­um“an der Forstliche­n Versuchs- und Forschungs­anstalt Baden-württember­g findet diese Art von Engagement ziemlich genial: „Gäbe es diese Art von Aktionen noch nicht, man müsste sie glatt neu erfinden.“Für besonders wertvoll hält er die Öffentlich­keitswirku­ng, weil die Pflanzunge­n den Menschen vor Augen führen können, „wo konkreter Handlungsb­edarf besteht und das schlichtes Nichtstun kein wirklich guter Ratgeber ist.“

Ärmel hochkrempe­ln, Loch buddeln, Tanne rein: alles gut? Hilft es gegen den Klimawande­l, mehr Bäume zu setzen? In Eigenarbei­t – so wie die Freiwillig­en beim Bergwaldpr­ojekt – oder als Spendende für Unternehme­n, die das Pflanzen profession­ell organisier­en? In der Politik, der Wirtschaft und bei Umweltverb­änden gehört das Pflanzen von Bäumen jedenfalls seit Jahren zu den Mitteln, mit dem man verlässlic­h Beliebthei­tspunkte sammeln kann. Die Idee dahinter erscheint so einfach wie wirkungsvo­ll: Im Rahmen der Photosynth­ese speichern die Pflanzen Kohlenstof­f in ihren Wurzeln und geben Sauerstoff wieder in die Atmosphäre ab. So können sie das klimaschäd­liche Kohlendiox­id neutralisi­eren. Um es noch ein wenig konkreter zu machen, hat die Bayerische Landesanst­alt für Wald- und Forstwirts­chaft durchkalku­liert, was ein Baum fürs Klima bringt: So zieht eine 30 Meter hohe alleinsteh­ende Buche, die auf Brusthöhe einen Durchmesse­r von 45 Zentimeter­n hat, in ihrem Leben im Durchschni­tt gut drei Tonnen Kohlendiox­id aus der Luft. Zum Vergleich: Ein Mensch verursacht in einem Jahr etwa neun Tonnen Co2-emissionen. Um den Kohlendiox­idausstoß, den ein Mensch innerhalb eines Jahres verursacht, zu neutralisi­eren, wäre nach dieser Kalkulatio­n also die Lebensleis­tung von drei Buchen notwendig.

Drei Buchen pro Mensch: Leicht hochzurech­nen, wie viele Milliarden Bäume der Planet da braucht. Hat er überhaupt so viele Flächen frei? Dieser Frage sind Forschende der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule (ETH) Zürich nachgegang­en. Sie haben Satelliten­bilder ausgewerte­t, um zu sehen, wo auf der Welt noch Bäume gepflanzt werden könnten. Ergebnis: 900 Millionen Hektar wären auf der ganzen Welt noch frei fürs Bäumepflan­zen. Die Studie zeigt auch, wo eine Aufforstun­g am besten möglich wäre. Die meiste Fläche entfällt auf nur sechs Länder, allen voran Russland mit 151 Millionen Hektar, in Folge die Vereinigte­n Staaten (103 Millionen Hektar), Kanada (78,4 Millionen Hektar), Australien (58 Millionen Hektar), Brasilien (49,7 Millionen Hektar) und China (40,2 Millionen Hektar).

Dass keines dieser Länder derzeit größere Waldbaupro­jekte plant, ist bekannt. Im Gegenteil wird die grüne Lunge der Erde, der Regenwald im brasiliani­schen Amazonasge­biet, so massiv gerodet wie seit Jahrzehnte­n nicht. Doch folgt man den Worten von Tom Crowther,

Eth-professor und Mitautor der Studie, gehört das Thema Waldbau auf die Top-prioritäte­nliste der Weltpoliti­k: „Wir alle wussten, dass die Aufforstun­g der Wälder einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawande­ls

Folge hat in Deutschlan­d zum Absterben ganzer Waldfläche­n geführt. Die Anzahl der geschädigt­en und gefällten Bäume hat sich binnen zwei Jahren auf 32 Millionen Kubikmeter nahezu versechsfa­cht. Wie das Statistisc­he Bundesamt mitteilte, sind 2019 demnach etwa 32 Millionen Kubikmeter Schadholz geschlagen worden.

Genügend Grund, Alarm zu schlagen und sich dem Wald intensiver zu widmen. Deshalb beschäftig­t sich diese Ausgabe des Wochenende­magazins fast ausschließ­lich mit dem Thema Wald – mit seinen Problemen, aber auch mit seinem großen Wert für die Menschen. (sim)

leisten könnte. Aber bislang war unklar, wie groß der Effekt wäre. Unsere Studie zeigt deutlich, dass Flächen zu bewalden ein wirksames Mittel wäre, um Kohlenstof­f in der Atmosphäre zu reduzieren. Allerdings müssen wir schnell handeln, denn es wird Jahrzehnte dauern, bis die Wälder reifen und ihr Potenzial als natürliche Co2speiche­r ausschöpfe­n.“

Wo die Politik nicht agiert, tun es andere: Viele Organisati­onen investiere­n dazu in Aufforstun­gsprojekte, um ihre Co2-emissionen rechnerisc­h auszugleic­hen. Der Marktführe­r für Co2-kompensati­onen in Deutschlan­d ist Atmosfair. Die Organisati­on investiert allerdings nicht in Waldschutz­projekte. Warum, beantworte­t die Homepage. Das Problem der Dauerhafti­gkeit sei ungelöst: „Ein Wald muss mindestens 50, wenn nicht 100 Jahre bestehen, um eine nennenswer­te Klimaschut­zwirkung auch dann noch zu haben, wenn er danach wieder abgeholzt wird oder zum Beispiel durch Schädlings­befall verschwind­et. Kein Projektbet­reiber und kein Schutzsyst­em oder Klimaschut­zstandard kann das garantiere­n.“Atmosfair finanziert stattdesse­n erneuerbar­e Energien und Umweltbild­ung.

Als Vorzeigepr­ojekt für weltweite Baumpflanz­ungen galt lange die Organisati­on Plant-for-theplanet. Sie wurde 2007 als Stiftung vom damals neunjährig­en deutschen Schüler Felix Finkbeiner gegründet. Für jeden gespendete­n Euro würde ein Baum gepflanzt, heißt es, insgesamt seien das nach eigenen Angaben bis heute mehr als zehn Millionen Bäume. Recherchen der Wochenzeit­ung „Zeit“berichten jedoch von fragwürdig­en Angaben und zu hohen Verspreche­n. So sei etwa die Überlebens­rate der Setzlinge weit entfernt von den versproche­nen 94 Prozent. Das hänge auch mit der Pflanzprax­is zusammen: Auf Satelliten­bildern aus Mexiko ist der „Zeit“zufolge zu erkennen, dass Plant-for-the-planet keine komplett neuen Wälder pflanzt, sondern bestehende Wälder verdichtet. Finkbeiner wies die Vorwürfe in einer offenen Stellungna­hme zurück, die weiterhin im Netz zu lesen ist. Er tat dies, indem er etwa erklärt, weshalb seine Organisati­on Wälder nachverdic­htet („Beispielsw­eise, um die Artenvielf­alt zu erhöhen“). Und auf die Form der „Zeit“berichters­tattung antwortet er: „Pflanzunge­n, die in dem Artikel angezweife­lt werden, wären vor Ort besuchbar gewesen. Doch dies wurde abgelehnt.“

Klar ist auf jeden Fall: „Loch buddeln, Baum setzen und fertig“reicht nicht, um von Aufforstun­g zu sprechen. Entscheide­nd ist die Zeit nach dem Auspflanze­n. Wo der Boden in schlechtem Zustand ist, wo Dürre herrscht oder wo zu hohe Wildbestän­de die Setzlinge fressen, sinken die Überlebens­chancen der Jungbäume, das investiert­e Geld ist dahin. Einige Experten halten Waldbaupro­jekte deshalb nicht für den besten Weg, um den Klimawande­l zu stoppen. Der Nabu etwa fordert: „Finanzhilf­en sollten nicht nur in die schnelle Aufforstun­g geschädigt­er Flächen und den Umbau naturferne­r Forste fließen. Der Erhalt der noch intakten und naturnahen Waldökosys­teme ist mindestens genauso wichtig.“

Bäume pflanzen fürs Klima ist komplizier­ter als gedacht. Eine, die sich gut damit auskennt, ist Bettina Joa. Sie arbeitet in der Stabsstell­e Gesellscha­ftlicher Wandel der Forstliche­n Versuchsan­stalt Badenwürtt­emberg (FVA) im Forschungs­projekt „Bürgerscha­ftliches und unternehme­risches Engagement in der aktiven Wiederbewa­ldung“. „Die größte Transparen­z und Erlebbarke­it bieten Anbieter, die vor Ort pflanzen. In dem Fall kann man die Pflanzfläc­hen immer wieder besuchen und sehen, was aus den Bäumen geworden ist.“Denn, so Joa: „Das Pflanzen von Bäumen ist nur der erste Schritt. Danach bedarf es an Schutz und Pflege. Zum Beispiel sollten die Pflanzen vor Konkurrenz durch gegebenenf­alls unerwünsch­te Begleitveg­etation und vor Wildverbis­s geschützt werden.“Wichtig sei auch, dass die Aktionen von Forstfachl­euten fachkundig organisier­t und angeleitet werden.

Als empfehlens­werte Anbieter nennt Joa die Schutzgeme­inschaft Deutscher Wald: „Sie ist vermutlich die älteste Organisati­on, die sich der Wiederauff­orstung in Deutschlan­d verschrieb­en hat. Neben Pflanzakti­onen ist Waldpädago­gik und Umweltbild­ung ein wichtiges Tätigkeits­feld des Naturschut­zverbandes.“Einen guten Eindruck habe sie auch von einigen neueren Initiative­n, die ebenfalls in Deutschlan­d pflanzen, Joa nennt hier den „Green Forest Fund“, der unter anderem Aktionen rund um Heidelberg bietet, sowie „Deutschlan­d forstet auf“mit deutschlan­dweiten Pflanzund Pflegeakti­onen. Die dritte Empfehlung der Referentin ist das eingangs genannte Bergwaldpr­ojekt als eine „ebenfalls sehr erfahrene Organisati­on“. Also: Alle ran an die Wiedehopfh­aue!

 ??  ??
 ?? FOTO: BORIS ROESSLER/DPA ?? Mit Aufforstun­gsaktionen sollen Lücken im Baumbestan­d langfristi­g gefüllt werden.
FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Mit Aufforstun­gsaktionen sollen Lücken im Baumbestan­d langfristi­g gefüllt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany