Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Bäume pflanzen fürs Klima
Ärmel hochkrempeln, Loch buddeln, Tanne rein: Damit lassen sich nicht nur Beliebtheitspunkte sammeln – Viele Organisationen widmen sich entsprechenden Waldschutzprojekten
Und noch einmal mit Schwung. Zweieinhalb Kilo wiegt eine Wiedehopfhaue, ihr durchgeschmiedeter Kopf hat eine scharfe Seite, unter deren Hieb widerspenstige Fichtenwurzeln bersten. Sie hat auch eine platte Seite, mit der wir Waldarbeiterinnen und Waldarbeiter den freigegebenen Boden aufhebeln, aufgraben, aufstemmen. Bis ein Loch entstanden ist im Humus, in dem nun eine Miniatur-weißtanne ihren Platz findet. In einer Baumschule ist sie gewachsen, ihre noch feinen Wurzeln sind zu einem Ballen vernetzt, das schützte sie auf ihrem Weg bis zu ihrem neuen Standort vor Austrocknung. Nun hat sie hier auf rund 1200 Metern ihr Ziel erreicht. Anders als die flachwurzelnde Fichte werden ihre Pfahlwurzeln tief hinein ins Erdreich greifen und so den steilen Hang oberhalb von Bayrischzell in Oberbayern stabilisieren. Neben dieser Schutzfunktion wird die Tanne in ihrem hoffentlich langen Leben tonnenweise Kohlendioxid aus der Luft binden und das Erdreich unter ihr kühlen, sodass dort andere Waldbewohner leben können.
Das junge Bäumchen ist eines von Tausenden, die in den kommenden Tagen gepflanzt werden: von uns, den Teilnehmenden des Bergwaldprojektes. Der gemeinnützige Verein ist ein Kind des Waldsterbens, er entstand Ende der 1980er-jahre in der Schweiz und wird in Deutschland seit 1993 als Verein geführt. Die einwöchigen Freiwilligeneeinsätze bringen Laien in forstliche Arbeit, anfangs vor allem im Schutzwald oberhalb der Ortschaften im Gebirge, um Siedlungen vor Erdrutschen und Lawinen zu schützen. Doch das Bewusstsein um die Bedeutung des Waldes entwickelte sich weiter und damit auch die Tätigkeitsfelder des Bergwaldprojektes: Heute gibt es rund 150 Einsätze in ganz Deutschland, von der Nordsee bis zum Allgäu. Die Freiwilligen arbeiten üblicherweise eine Woche, sie renaturieren Moore, pflanzen standortgerechte Bäume oder schützen den Wald vor Wildschäden. Professor Ulrich Kohnle, Abteilungsleiter „Waldwachstum“an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-württemberg findet diese Art von Engagement ziemlich genial: „Gäbe es diese Art von Aktionen noch nicht, man müsste sie glatt neu erfinden.“Für besonders wertvoll hält er die Öffentlichkeitswirkung, weil die Pflanzungen den Menschen vor Augen führen können, „wo konkreter Handlungsbedarf besteht und das schlichtes Nichtstun kein wirklich guter Ratgeber ist.“
Ärmel hochkrempeln, Loch buddeln, Tanne rein: alles gut? Hilft es gegen den Klimawandel, mehr Bäume zu setzen? In Eigenarbeit – so wie die Freiwilligen beim Bergwaldprojekt – oder als Spendende für Unternehmen, die das Pflanzen professionell organisieren? In der Politik, der Wirtschaft und bei Umweltverbänden gehört das Pflanzen von Bäumen jedenfalls seit Jahren zu den Mitteln, mit dem man verlässlich Beliebtheitspunkte sammeln kann. Die Idee dahinter erscheint so einfach wie wirkungsvoll: Im Rahmen der Photosynthese speichern die Pflanzen Kohlenstoff in ihren Wurzeln und geben Sauerstoff wieder in die Atmosphäre ab. So können sie das klimaschädliche Kohlendioxid neutralisieren. Um es noch ein wenig konkreter zu machen, hat die Bayerische Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft durchkalkuliert, was ein Baum fürs Klima bringt: So zieht eine 30 Meter hohe alleinstehende Buche, die auf Brusthöhe einen Durchmesser von 45 Zentimetern hat, in ihrem Leben im Durchschnitt gut drei Tonnen Kohlendioxid aus der Luft. Zum Vergleich: Ein Mensch verursacht in einem Jahr etwa neun Tonnen Co2-emissionen. Um den Kohlendioxidausstoß, den ein Mensch innerhalb eines Jahres verursacht, zu neutralisieren, wäre nach dieser Kalkulation also die Lebensleistung von drei Buchen notwendig.
Drei Buchen pro Mensch: Leicht hochzurechnen, wie viele Milliarden Bäume der Planet da braucht. Hat er überhaupt so viele Flächen frei? Dieser Frage sind Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich nachgegangen. Sie haben Satellitenbilder ausgewertet, um zu sehen, wo auf der Welt noch Bäume gepflanzt werden könnten. Ergebnis: 900 Millionen Hektar wären auf der ganzen Welt noch frei fürs Bäumepflanzen. Die Studie zeigt auch, wo eine Aufforstung am besten möglich wäre. Die meiste Fläche entfällt auf nur sechs Länder, allen voran Russland mit 151 Millionen Hektar, in Folge die Vereinigten Staaten (103 Millionen Hektar), Kanada (78,4 Millionen Hektar), Australien (58 Millionen Hektar), Brasilien (49,7 Millionen Hektar) und China (40,2 Millionen Hektar).
Dass keines dieser Länder derzeit größere Waldbauprojekte plant, ist bekannt. Im Gegenteil wird die grüne Lunge der Erde, der Regenwald im brasilianischen Amazonasgebiet, so massiv gerodet wie seit Jahrzehnten nicht. Doch folgt man den Worten von Tom Crowther,
Eth-professor und Mitautor der Studie, gehört das Thema Waldbau auf die Top-prioritätenliste der Weltpolitik: „Wir alle wussten, dass die Aufforstung der Wälder einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels
Folge hat in Deutschland zum Absterben ganzer Waldflächen geführt. Die Anzahl der geschädigten und gefällten Bäume hat sich binnen zwei Jahren auf 32 Millionen Kubikmeter nahezu versechsfacht. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, sind 2019 demnach etwa 32 Millionen Kubikmeter Schadholz geschlagen worden.
Genügend Grund, Alarm zu schlagen und sich dem Wald intensiver zu widmen. Deshalb beschäftigt sich diese Ausgabe des Wochenendemagazins fast ausschließlich mit dem Thema Wald – mit seinen Problemen, aber auch mit seinem großen Wert für die Menschen. (sim)
leisten könnte. Aber bislang war unklar, wie groß der Effekt wäre. Unsere Studie zeigt deutlich, dass Flächen zu bewalden ein wirksames Mittel wäre, um Kohlenstoff in der Atmosphäre zu reduzieren. Allerdings müssen wir schnell handeln, denn es wird Jahrzehnte dauern, bis die Wälder reifen und ihr Potenzial als natürliche Co2speicher ausschöpfen.“
Wo die Politik nicht agiert, tun es andere: Viele Organisationen investieren dazu in Aufforstungsprojekte, um ihre Co2-emissionen rechnerisch auszugleichen. Der Marktführer für Co2-kompensationen in Deutschland ist Atmosfair. Die Organisation investiert allerdings nicht in Waldschutzprojekte. Warum, beantwortet die Homepage. Das Problem der Dauerhaftigkeit sei ungelöst: „Ein Wald muss mindestens 50, wenn nicht 100 Jahre bestehen, um eine nennenswerte Klimaschutzwirkung auch dann noch zu haben, wenn er danach wieder abgeholzt wird oder zum Beispiel durch Schädlingsbefall verschwindet. Kein Projektbetreiber und kein Schutzsystem oder Klimaschutzstandard kann das garantieren.“Atmosfair finanziert stattdessen erneuerbare Energien und Umweltbildung.
Als Vorzeigeprojekt für weltweite Baumpflanzungen galt lange die Organisation Plant-for-theplanet. Sie wurde 2007 als Stiftung vom damals neunjährigen deutschen Schüler Felix Finkbeiner gegründet. Für jeden gespendeten Euro würde ein Baum gepflanzt, heißt es, insgesamt seien das nach eigenen Angaben bis heute mehr als zehn Millionen Bäume. Recherchen der Wochenzeitung „Zeit“berichten jedoch von fragwürdigen Angaben und zu hohen Versprechen. So sei etwa die Überlebensrate der Setzlinge weit entfernt von den versprochenen 94 Prozent. Das hänge auch mit der Pflanzpraxis zusammen: Auf Satellitenbildern aus Mexiko ist der „Zeit“zufolge zu erkennen, dass Plant-for-the-planet keine komplett neuen Wälder pflanzt, sondern bestehende Wälder verdichtet. Finkbeiner wies die Vorwürfe in einer offenen Stellungnahme zurück, die weiterhin im Netz zu lesen ist. Er tat dies, indem er etwa erklärt, weshalb seine Organisation Wälder nachverdichtet („Beispielsweise, um die Artenvielfalt zu erhöhen“). Und auf die Form der „Zeit“berichterstattung antwortet er: „Pflanzungen, die in dem Artikel angezweifelt werden, wären vor Ort besuchbar gewesen. Doch dies wurde abgelehnt.“
Klar ist auf jeden Fall: „Loch buddeln, Baum setzen und fertig“reicht nicht, um von Aufforstung zu sprechen. Entscheidend ist die Zeit nach dem Auspflanzen. Wo der Boden in schlechtem Zustand ist, wo Dürre herrscht oder wo zu hohe Wildbestände die Setzlinge fressen, sinken die Überlebenschancen der Jungbäume, das investierte Geld ist dahin. Einige Experten halten Waldbauprojekte deshalb nicht für den besten Weg, um den Klimawandel zu stoppen. Der Nabu etwa fordert: „Finanzhilfen sollten nicht nur in die schnelle Aufforstung geschädigter Flächen und den Umbau naturferner Forste fließen. Der Erhalt der noch intakten und naturnahen Waldökosysteme ist mindestens genauso wichtig.“
Bäume pflanzen fürs Klima ist komplizierter als gedacht. Eine, die sich gut damit auskennt, ist Bettina Joa. Sie arbeitet in der Stabsstelle Gesellschaftlicher Wandel der Forstlichen Versuchsanstalt Badenwürttemberg (FVA) im Forschungsprojekt „Bürgerschaftliches und unternehmerisches Engagement in der aktiven Wiederbewaldung“. „Die größte Transparenz und Erlebbarkeit bieten Anbieter, die vor Ort pflanzen. In dem Fall kann man die Pflanzflächen immer wieder besuchen und sehen, was aus den Bäumen geworden ist.“Denn, so Joa: „Das Pflanzen von Bäumen ist nur der erste Schritt. Danach bedarf es an Schutz und Pflege. Zum Beispiel sollten die Pflanzen vor Konkurrenz durch gegebenenfalls unerwünschte Begleitvegetation und vor Wildverbiss geschützt werden.“Wichtig sei auch, dass die Aktionen von Forstfachleuten fachkundig organisiert und angeleitet werden.
Als empfehlenswerte Anbieter nennt Joa die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald: „Sie ist vermutlich die älteste Organisation, die sich der Wiederaufforstung in Deutschland verschrieben hat. Neben Pflanzaktionen ist Waldpädagogik und Umweltbildung ein wichtiges Tätigkeitsfeld des Naturschutzverbandes.“Einen guten Eindruck habe sie auch von einigen neueren Initiativen, die ebenfalls in Deutschland pflanzen, Joa nennt hier den „Green Forest Fund“, der unter anderem Aktionen rund um Heidelberg bietet, sowie „Deutschland forstet auf“mit deutschlandweiten Pflanzund Pflegeaktionen. Die dritte Empfehlung der Referentin ist das eingangs genannte Bergwaldprojekt als eine „ebenfalls sehr erfahrene Organisation“. Also: Alle ran an die Wiedehopfhaue!