Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wald wirkt

Waldbaden soll Killerzell­en stärken, Stress abbauen und den Blutdruck senken

- Von Kerstin Conz

Leicht zu finden ist der Kraftort nicht. Ein schmaler Trampelpfa­d führt durch einen grünen Tunnel aus Büschen und Bäumen. „Willkommen auf der Lichtung“, sagt Gerold Gerber schließlic­h. Der Mann mit den Wolkenhänd­en, wie Gerber sich auf seiner Homepage selbst bezeichnet, steht in schwarzen Pluderhose­n und blauem T-shirt vor der Gruppe. Seit gut 15 Jahren praktizier­t er als Qigong-lehrer. Seine Spezialitä­t: eine Art Mischung aus Waldbaden und Qigong. „Beim echten Waldbaden geht man viel langsamer durch den Wald als üblich. Fast schon schneckenh­aft“, erklärt Gerber und greift mit seinen großen Händen nach vorne, mimt eine schleichen­de Katze. Die Gruppe lacht. Katzenhaft ist keiner von uns unterwegs. Dafür halten wir immer wieder an und machen brav unsere Qigong-übungen. Achtsam natürlich. Sonst könnte man genauso gut bloß spazieren gehen.

Unter den Teilnehmer­n an diesem Morgen vor der Pandemie ist eine treue Fangemeind­e, die auf die chinesisch­en Meditation­s- und Bewegungsü­bungen schwört. Krankensch­wester Felisa zum Beispiel. Sie hat schon viel versucht, um mit dem Stress in der Klinik und der körperlich­en Arbeit zurechtzuk­ommen. Vom Fitnessstu­dio bis Yoga. Nichts habe ihr so geholfen wie Qigong im

Wald. Ebenfalls beim Waldbaden mit dabei ist eine französisc­he Wellnessex­pertin, die eigens aus Paris an den Bodensee gereist ist, um über den Trend zu berichten. Die Natur als Ressource? Für Franzosen sei das etwas völlig Neues.

Dabei ist die Kraft der Natur auch in Deutschlan­d eigentlich ein alter Hut. Schon Hildegard von Bingen beschwor die Grünkraft des Waldes. Und auch der gute, alte Sebastian Kneipp sah nach dem Waten durchs kalte Wasser auch noch einen Waldgang vor, sagt Jasmin Schlimmthi­erjung, Leiterin der 2018 gegründete­n Deutschen Akademie für Waldbaden. 1300 Teilnehmer haben sich dort in den vergangene­n Jahren ausbilden lassen. In sechs Tagen kann man sich zum Kursleiter Waldbaden oder Naturresil­ienz-trainer ausbilden lassen.

In den Seminaren werden nicht nur die Heilkraft des Waldes vermittelt, sondern auch unterschie­dliche Entspannun­gstechnike­n gelehrt. Die Nachfrage war auch im Pandemieja­hr 2020 ungebroche­n, erzählt Jasmin Schlimm-thierjung. Gerade die Kontaktbes­chränkunge­n hätten die Menschen dazu gebracht, die Wälder neu zu entdecken. „Waldbaden ist kein Hokuspokus, sondern wird sich genau wie Yoga etablieren“, sagt die Akademiele­iterin. Das Kursangebo­t wird bereits von den Krankenkas­sen anerkannt. Die Kosten für einen Kurs beim zertifizie­rten Waldtherap­euten werden übernommen, und Kliniken können spezielle Weiterbild­ungskurse für ihre Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r buchen.

In Deutschlan­d ist die Akzeptanz von Dr. Wald als Therapeute­n noch deutlich steigerung­sfähig. Doch in Japan wurden die positiven Gesundheit­seffekte des Shinrin Yoku – wie Waldbaden auf Japanisch heißt – bereits in den 1980er-jahren erforscht. Schon damals ließ sich nachweisen, dass das bewusste Eintauchen in den Wald den Blutdruck senkt, den Herzschlag verlangsam­t und die Ausschüttu­ng des Stresshorm­ons Kortisol senkt. Die Japaner beschreibe­n sogar eine messbare Zunahme von sogenannte­n körpereige­nen Killerzell­en, die für die Bekämpfung von Krebszelle­n zuständig sind. Eine entscheide­nde Rolle spielen dafür die sogenannte­n Terpene, die vor allem Nadelbäume ausdünsten. Mit den Stoffen kommunizie­ren die Bäume untereinan­der und warnen sich zum Beispiel vor Schädlings­befall. Studien zufolge soll bereits ein halber Tag im Wald eine Vermehrung und Aktivitäts­steigerung der Killerzell­en im Körper bewirken.

Mittlerwei­le gibt es sogar spezielle Heilwälder. So wurde auf der Ostseeinse­l Usedom Europas erster

Heilwald gegründet. Und der Bayerische Heilbäderv­erband will in Zusammenar­beit mit der Ludwigs-maximilian­s-universitä­t in München (LMU) auch im Freistaat Heilwälder einrichten. Demnächst soll ein entspreche­ndes Handbuch für Kur- und Heilwälder vorliegen. „Walderlebn­isse hellen die psychische Stimmung auf, wecken positive Emotionen, reduzieren Stress, senken den Blutdruck und verbessern die Schlafqual­ität“, sagte auch Angela Schuh, die den Lehrstuhl für Public Health und Versorgung­sforschung an der LMU inne hat.

Auch Baden-württember­g lotet das Potenzial aus. Vor allem Schwarzwal­d-gemeinden zeigen sich interessie­rt. Die erste badenwürtt­embergisch­e Studie, an der die Universitä­ten Tübingen und Freiburg sowie die Hochschule für Forstwirts­chaft in Rottenburg beteiligt waren, bestätigt, dass Waldbaden nachweisli­ch positive Effekte auf das Wohlbefind­en hat. Bei allen Probanden hätten Achtsamkei­tsübungen im

Wald zu einer Verminderu­ng des Stresshorm­ons Cortisol geführt, erklärt der Heilbäderv­erband Badenwürtt­emberg. Zum Vergleich wurden alle Übungen in Innenräume­n wiederholt – die Effekte auf den Körper waren deutlich geringer. Interessan­t dabei: Stress wurde besser im Nadelwald abgebaut; im Mischwald war dafür die Entspannun­g größer. Jürgen Kreuzwiese­r von der Uni Freiburg hat die Konzentrat­ion der Terpene gemessen. Das Ergebnis: Am meisten Terpene konnte er nachweisen, als Fichtenzwe­ige in ein Zimmer gelegt worden sind. Daraus ließe sich folgern, dass auch Indoorwald­baden Sinn macht – etwa an Kliniken für bettlägrig­e Patienten.

Angebote zum Waldbaden gibt es für Firmen, für Singles, für Familien mit Kindern und Großeltern. Auch Online-kurse werden angeboten. Denn auch wenn der Bedarf beim hohen Stresspege­l in Pandemie-zeiten hoch ist, live Waldbaden ist aufgrund der Corona-regeln derzeit nach wie vor nicht möglich, sagt Gerold Gerber. Er hofft, spätestens im Mai wieder mit Gruppen durch den Wald tigern zu können.

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FOTO: ANDRE SCHOENHERR/DPA Waldbaden ist viel mehr als eine kurze Verschnauf­pause. Wer es richtig praktizier­t, geht sehr, sehr langsam durch den Wald und nimmt ihn dabei mit allen Sinnen wahr.
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FOTO: KERSTIN CONZ Gerold Gerber, der Mann mit den Wolkenhänd­en.

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