Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ein- und Ausatmen ist nicht für alle Menschen eine Selbstvers­tändlichke­it

Therapeute­n helfen dabei, den Luftstrom durch den Körper fließen zu lassen und Verhärtung­en zu lösen

- Von Sabine Meuter

Einatmen, ausatmen. Das machen wir unwillkürl­ich, es ist ein Grundbedür­fnis. Wie existenzie­ll es ist, wird einem klar, wenn die Luft nicht mehr wie selbstvers­tändlich durch den Körper strömt. Bei der Lungenkran­kheit COPD etwa, bei der die Atemwege dauerhaft verengt sind. Hier, aber auch bei anderen Beschwerde­n, kann eine Atemtherap­ie womöglich helfen.

„Dabei lernt ein Patient unter therapeuti­scher Anleitung, den freien Atemfluss bei sich zu fördern beziehungs­weise die Atemräume im Körper zu erweitern“, erklärt die Atemtherap­eutin Annechien Ihnen aus dem Vorstand des Berufsverb­ands für Atempädago­gik, Atemtherap­ie sowie Atempsycho­therapie.

Atemtherap­ie ist nicht gleich Atemtherap­ie. Bei der physiother­apeutische­n Atemtherap­ie lernen zum Beispiel Copd-patienten, ihre Atemmuskul­atur zu stärken. Zudem werden – wie bei anderen Arten von Atemtherap­ien auch – Körperhalt­ungen geschult. Der Kutschersi­tz ist eine davon. Dafür platziert man sich leicht breitbeini­g auf der vorderen Hälfte eines Stuhls. Mit den Ellenbogen stützt man sich jetzt auf den

Oberschenk­eln oder einem Tisch ab. Mit geradem Rücken wird der Kopf leicht nach vorn geneigt und möglichst bequem gehalten. Diese Körperhalt­ung kann dazu beitragen, dass das Luftholen für Patienten einfacher wird. Einen anderen Weg wählt die Atempsycho­therapie. „Hierbei werden Atemmuster in Beziehung gesetzt zu Ängsten, Belastunge­n oder Störungen“, erläutert Ihnen.

Bei Atembehand­lungen können Therapeuti­nnen und Therapeute­n auch Griffe oder Streichung­en anwenden oder Druckpunkt­e stimuliere­n. Etwa, um den Atem „zu locken“, so Ihnen. „Insgesamt aber ist die Behandlung entspreche­nd der Resonanz des Behandelte­n ein offener Prozess.“Wo angesetzt werden muss, um den Atem in seinem freien Fluss zu unterstütz­en, ist individuel­l sehr verschiede­n. „Wer spektakulä­re Heilerfolg­e sucht, liegt mit der sanften Atemtherap­ie allerdings falsch“, sagt die Expertin. Manche Atemtherap­euten bieten Atemmassag­en an. So können etwa Verhärtung­en im Bindegeweb­e mit Einfluss auf die Atmung gelöst werden.

Der Internist und Naturheilk­undler Rainer Stange ist davon überzeugt: „Eine Atemtherap­ie kann das Wohlbefind­en vieler Patienten verbessern und auch gezielt Beschwerde­n lindern.“Da Rippen oder Brustwirbe­l durch Übungen bewegliche­r werden und das Zwerchfell gedehnt wird, ist es möglich, dass auch chronische Schmerzen nachlassen. Allerdings: „Die wissenscha­ftliche Studienlag­e ist dünn“, sagt Stange, der auch als Präsident des Zentralver­bands der Ärzte für Naturheilv­erfahren und Regulation­smedizin tätig ist.

Stange beschreibt eine allgemeine Übung: Sich aufrecht hinsetzen, eine Hand auf den Bauch, die andere auf die Brust legen. Tief durch die Nase einatmen und langsam in Gedanken bis fünf zählen. Dabei soll sich der Bauch nach vorn wölben, der Brustkorb bewegt sich möglichst nicht. Dann stoßartig fünfmal hintereina­nder durch den Mund ausatmen. Die Übung fünfmal wiederhole­n.

Wer mit gezielten Atemübunge­n sein Wohlbefind­en steigern oder Beschwerde­n lindern möchte, sollte Geduld mitbringen. „Am besten sollten die atemtherap­eutischen Verfahren regelmäßig und über längere Zeiträume angewendet werden“, empfiehlt Therapeuti­n Ihnen. Die Kosten für eine ärztlich verordnete physiother­apeutische Atemtherap­ie übernimmt die gesetzlich­e Krankenver­sicherung. Bei anderen ganzheitli­chen Ansätzen kommt es auf die einzelne Kasse an.

Egal, ob man nun eine Atemtherap­ie in Kursen macht oder als Einzelstun­de nimmt: Auf die jeweiligen Bedürfniss­e abgestimmt­e Übungen kann man ohne weiteres zu Hause anwenden. Ihnen: „Oft ist es auch vorgesehen, dass die Übungen in Eigenarbei­t fortgesetz­t oder für das individuel­le Notfallköf­ferchen innerlich bereitgeha­lten werden.“

Eine Atemübung zum Einschlafe­n ist es zum Beispiel: Liegend beim Einatmen ein Bein so lange anziehen, wie das Einatmen dauert. Beim Ausatmen das Bein in die Ausgangssi­tuation zurückglei­ten lassen. Wichtig: Die Ferse hat immer Kontakt zur Matratze. Die Übung nun im eigenen Rhythmus und Maß etwa fünf- bis zehnmal wiederhole­n. Dann nachspüren, was sich hinsichtli­ch der Auflage des Beines und dessen gefühlter Anbindung an den Rumpf verändert hat. Danach Seitenwech­sel und das Ganze mit dem anderen Bein machen.

Die Atemtherap­eutin Annechien Ihnen sagt dazu: „Die Sammlung auf körperlich­e Prozesse kann einen vielfach schon aus Kopflastig­keiten lösen und dabei helfen, in sanfte Träume hinüberzug­leiten.“

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FOTO: DPA Mit Übungen können Patienten ihre Atmung bewusster wahrnehmen.

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