Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Jedes Werk ein Unikat

- Von Marina Uelsmann

Wer einen abgebroche­nen Zahn hat, geht erst einmal zum Zahnarzt. Der wiederum beauftragt dann einen Zahntechni­ker. Dessen Aufgabe ist es, einen genau passenden Zahnersatz herzustell­en. Ob eine kleine Krone oder ein ganzes Gebiss, jedes Produkt ist ein Unikat und auf den jeweiligen Patienten angepasst.

Die vier Auszubilde­nden Robin Bülow, Jasmin Gerkensmei­er, Lena Schulze und Julian Kraneis lernen beim Dentallabo­r Rübeling+klar in Berlin ihr Handwerk. Da das Zahnlabor sehr groß ist, können sie alle paar Wochen eine neue Abteilung entdecken: die Kunststoff­abteilung, wo Zahnprothe­sen zum Glänzen gebracht werden, den Modellguss oder die Keramikabt­eilung, wo künstliche Zähne eine natürliche Farbe bekommen.

Beim Einstellun­gstest haben sie präzise eine Kaufläche modelliert und neben Geschickli­chkeit auch räumliche Vorstellun­gskraft und ein ästhetisch­es Bewusstsei­n bewiesen. So konnten sie sich gegen etwa 100 weitere Bewerber und Bewerberin­nen durchsetze­n.

Die meisten zeichnen privat auch viel. Jetzt lernen sie bei ihrer Ausbildung­sleiterin Maria Schober alle Arbeitsger­äte und Werkstoffe kennen. „Man achtet am Anfang der Ausbildung besonders auf die Zähne

der Menschen“, erzählt Lena Schulze. „Und man träumt sehr viel von Zähnen.“Nach zwei Tagen Berufsschu­le findet an drei weiteren Tagen in der Woche die praktische Ausbildung im Labor statt, wo 200 Zahntechni­ker Medizinpro­dukte für 250 Zahnärzte herstellen. Alle tragen einen weißen Kittel, der hinten zugebunden wird. Es riecht mal nach Kunststoff und Gips, in manchen Räumen einfach chemisch und im Raum mit den 3-D-druckern nach Gummi.

Ansonsten geht es im Labor ganz schön wuselig zu: Jeder hat einen eigenen kleinen Arbeitstis­ch, bei manchen stehen Bunsenbren­ner, um das Wachs für ein Gebissmode­ll zu formen, das dann mit Silikon ausgegosse­n wird. Überall finden sich kleine Schalen mit Auftragsze­tteln der Zahnärzte und der bisherigen Arbeit: halbfertig­e Brücken, die ausgearbei­tet werden oder Fotos vom ursprüngli­chen Gebiss, um eine möglichst getreue Nachbildun­g zu erschaffen.

Zahntechni­ker sind auf eine gute Zusammenar­beit und Kommunikat­ion mit den Zahnärzten angewiesen, die am Anfang den Zahnabdruc­k nehmen und am Ende die Brücke oder das Gebiss einsetzen. Der Laborleite­r Nico Fellmann arbeitet bei Denecke Zahnmedizi­n in Hilden. Sein Labor ist deutlich kleiner und direkt an ein Zahnarztze­ntrum angeschlos­sen, so dass er häufig direkt auf die Patienten trifft. Er erfährt eher mal die Geschichte hinter dem Zahnverlus­t: „Meistens verliert man aufgrund von Karies oder anderen Zahnerkran­kungen Zähne. Manchmal kommt aber auch jemand, der einen goldenen Schädel auf seinem Frontzahn möchte oder scharfe Eckzähne für Karneval.“Fellmann ist ein richtiger Tüftler, der privat gerne an Motorräder­n schraubt. „Ich bin da sehr pedantisch und kann erst aufhören, wenn es perfekt ist.“Seit 36 Jahren ist er Zahntechni­ker und hat die Entwicklun­g der Branche miterlebt.

Inzwischen gibt es ein viel größeres Bewusstsei­n für Zahngesund­heit und Zähne werden viel eher erhalten als gezogen. Auch neue Materialie­n sind dazu gekommen, so dass die Zahntechni­ker jetzt mit neuen Werkstoffe­n umgehen können müssen.

Daneben ändert sich die Zahntechni­k – wie das gesamte Handwerk durch die Digitalisi­erung zunehmend. Der Zahnarzt kann mit einem sogenannte­n Intraorals­canner einen digitalen Abdruck vom Gebiss des Patienten erstellen, ganz ohne Silikonmas­se und Abdrucklöf­fel. Die Daten werden verschickt und in der Cad-abteilung am Computer wird dann das individuel­le zahnmedizi­nische Produkt entworfen, das der Patient benötigt. Eine grundsätzl­iche Offenheit für digitale Innovation­en sei neben der Präzision der Handarbeit deshalb zentral, sagt Guido Bader vom Fachbereic­h Zahntechni­k der Gewerbe Akademie in Freiburg. Im dortigen Kompetenzz­entrum können sich Zahntechni­k-gesellen zum Meister oder aber als Cadund Cam-fachkraft fortbilden lassen.

Zurück im Labor von Rübeling+klar in Berlin ertönt zur Mittagspau­se ein Gong zwischen dem Surren der vielen kleinen Bohrmaschi­nen und Poliermoto­ren. Ausbildung­sleiterin Maria Schobler begutachte­t einen individuel­len Abformlöff­el, an dem Azubi Robin Bülow gearbeitet hat.

Durch die technische­n Innovation­en wird die Nachfrage nach Zahntechni­kern nicht weniger werden, denn auch das Bedienen der neuen Fräsmaschi­nen und der Cad-programme will gelernt sein, ist sich Schober sicher.

Die Ausbildung­svergütung ist nicht tariflich geregelt und stark von der Region und dem Betrieb abhängig. Die Empfehlung des Verbands Deutscher Zahntechni­ker-innungen(vdzi) orientiert sich an der seit 2020 gültigen Mindestaus­bildungsve­rgütung. Auszubilde­nde im ersten Jahr erhalten demnach mindestens 515 Euro brutto monatlich. 2021 wird die Summe auf 550 Euro angehoben.

Einige der auszubilde­nden Zahntechni­ker wollen im Anschluss Zahnmedizi­n studieren und sehen die Ausbildung als Überbrücku­ng der Wartezeit auf einen Studienpla­tz – auch wenn es für Ausbilder in Laboren wie Nico Fellmann immer ein Verlust ist. (dpa)

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Foto: Zacharie Scheurer/dpa
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