Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Erste Hausnummern gibt es seit 1768
Riedlinger Straßennamen und ihre Geschichten dazu
- „Mitten durch den Friedhof führt einer der gangbarsten Wege, unter den freundlichen Schatten einer Pappel-allee“führt Johann Daniel Memminger 1827 in der ersten Oberamtsbeschreibung Riedlingen aus. Sehr beschaulich! Und dennoch wurden alle Bürger, die „ein Gefährt besaßen, aufgefordert, zur Seite zu fahren und solange stehen zu bleiben, bis der Landesherr vorüberpassiert war“. Schnelles Fahren und Reiten in den Straßen der hiesigen Stadt sowie über die Brücken war folglich ein Problem, worauf die Riedlinger Zeitung 1851 hinwies. Und wenn der reisende Pfarrer Heinrich Hansjakob aus Haslach im Kinzigtal 1906 in seinen Erinnerungen „Sonnige Tage“feststellt: „Wer Riedlingen in seiner alten, leider verwahrlosten Schönheit sehen will, der muß einzelne hintere Gassen durchstreifen.“
Man kann sich kaum eine Vorstellung machen, wie es vor Kanalisation und Abwasserregelung auf den Straßen der Stadt ausgesehen hat. Straßendreck stammte nicht nur von den menschlichen Fäkalien, sondern kam auch vom Vieh, vor allem von den Schweinen, die bis ins 14. Jahrhundert frei auf den Straßen herumliefen. Bei Regen floss die Gülle aus den Dunglegen heraus und suchte sich den Weg durch die Fahrrinnen der Straßen in die Riedlinger Unterstadt, um dann in die Donau zu münden. Nicht zu übersehen war die Verschmutzung durch das Handwerk, vor allem der Metzger, Gerber und Färber.
Auf jeden Fall waren Bewohner der „Oberstadt“(Marktplatz bis Ende Lange Straße) im Vorteil gegenüber den Bewohnern der Unterstadt („Donaustraße - Haldenstraße – Käshof“). Mangels Haustoiletten benützten die Menschen ein Nachtgeschirr und entleerten es am Morgen in die Mistschütte oder Dunglege, die sich vor jedem Haus befand. Urin wurde nachts auch aus dem Fenster in den „Winkel“entleert. „Darf von keiner Zelle, weder das Nachtgeschirr noch etwas anderes durch die Fensteröffnung ausgeschüttet werden“setzte 1828 die Hausordnung des Spitals zum Hl. Geist den Hospitaliten ein Verbot.
Um die Straßen und Gassen innerhalb der Stadtmauer einigermaßen befahr- und begehbar zu halten, dafür sorgte bis 1875 ein Pflastergeldeinnehmer, der ankommende Fuhrwerke zur Kasse bat. Und da jeder fast jeden innerhalb der Stadt kannte, war die Benennung von Wegen, Gassen und Straßen kein vordringliches Anliegen und ist eine verhältnismäßig späte Errungenschaft unserer Zivilisation. In den Kaufverträgen wurden als Orientierungshilfe nur benachbarte Hausbesitzer und deren Gebäude genannt. Ab und zu bezogen sich genauere Hinweise auf wichtige öffentliche Gebäude. Das konnten Wirtshäuser („Hirsch“, „Lamm“), das „Kaufhaus“(heute Rathaus), das „Pfarrhaus“, ein „Tor“oder der „Markt“sein.
1768 erstellte die Verwaltung ein „Hausverzeichnis mit Bewohnern“. „Nummern, wie solche an die Häuser und Thüren zu notieren waren für Bürgerhäuser mit Benennung der Anzahl darin wohnender Familien“(Hauptstaatsarchiv Stuttgart). Die Nummerierung war nicht nach Straßen gegliedert, sondern verlief entlang der Häuserzeilen von Nr. 1 bis 200. In den 200 Bürgerhäuser wohnten 290 Familien. Ab Nr. 201 wurden öffentliche Gebäude aufgelistet wie „lateinische Schul, deutsche Schul,
Scharfrichter Haus, Weiler Thurm, Brucktor Turm, Mühle Tor Turm, Waag Mühle, Zollhauser Mühle, Färbe, Säg Mühle und Ziegelhütte“. Zwei Jahre später, 1770, verfügte Kaiserin Maria Theresia dann die erste, einheitliche Nummerierung sämtlicher Häuser in Wien und in den Vorstädten. Bis dahin hatte man sich dort auch mit Hausnamen oder Hauszeichen beholfen. Auf Geheiß Kaiser Josephs II. mussten ab 1786 die Häuser durchnummeriert werden. Es erging an die Pfarrer über die Diözesanbischöfe die Anweisung, in den Kirchenbüchern und der „Seelen-beschreibung“zu den Personenstandsangaben auch die Hausnummern einzutragen, was wohl zum Teil lasch gehandhabt worden war. Die Pfarrherrn mussten dazu „ernstlich ermahnt“werden.
Die Zählung begann 1786 in Riedlingen, anders als 1768, beim „Donautor“mit der Nummer 1 und zog sich in Reihen den Straßen entlang durch die Innenstadt. Die Vorstädte wurden daran angehängt und die Nummernzahl endete mit 262 als dem Haus des Scharfrichters an der Altheimer Straße. Im Katasterplan, erstellt für alle Siedlungen im Königreich Württemberg zwischen 1818 und 1840, sind erste Straßennamen festgelegt, die bis heute weitgehend Gültigkeit haben. Doch die meisten Namen sind wesentlich älter und lassen sich aus den Dokumenten der Archive herausfiltern. 1343 wird ein „Haus in der Stadt an dem Mühltor (erbaut 1332), 1376 das Haus des Ammans Hans von Andelfingen beim „Wiler [Weiler] Tor“(erbaut 1346) genannt, 1383 ein Haus vor dem „Mühlturm“(erbaut 1332) und 1384 die Badstube beim „Brucktor“(erbaut 1347) erwähnt. Die drei Stadttore waren also die frühesten Hinweise auf die Lage von Häusern. Nicht mehr bekannt ist der Name „Höll“(Bereich Weilerkapelle - Gammertinger
Str.), der 1360 als Ortsangabe genannt wird. Ab 1392 taucht regelmäßig der „Markt“auf. 1420 ist ein Haus „by der Kirchen gelegen“erwähnt. 1436 liest man „auf der Halden“(Haldenstraße), wo ein Bürger ein Wohnhaus besaß. 1498 ist ein Hausbesitzer bei der „unteren Badstube beim Wassertürlein“(Ausgang von der „Froschlache“zur Donau) genannt. Seit 1515 ist der „Käshof“namentlich bekannt. Die Bezeichnung bezog sich ursprünglich auf ein Gebäude, einen Hof. 1580 taucht die „Wasserstapfe“auf, 1621 die „Pfaffengasse“mit den Stiftungshäusern der Kapläne, die einige Zeit „Schulgasse“hieß und dann – wie heute – Pfaffenund Schulgasse“. Ab 1704 kennt man Namen für die heutige „Donaustraße“in Form von „Brucktorgasse, Donautorgasse, Donaugasse“, „der lebhaftesten Straße bei dem Bruck- oder Donautor gelegenen Wohn- und Wirtshaus zum Engel“, wie 1810 geschrieben steht.
Bis heute gibt die schon 1767 so genannte „Mühlgasse“zwischen „Haldenstraße“und „Marktplatz“ob ihres Namens Rätsel auf. Zwischen „Marktplatz“und dem 1747 „Weibermarkt“genannten Platz als Verbindung zur Unterstadt liegt die „Lange Straße“. Relativ einfallslos als wohl längstes Straßenstück in der Altstadt so genannt, hieß dieser Teil um 1800 auch schon „Hauptstraße“, später „Marktplatzstraße“und im Katasterplan dann verbindlich „Lange Straße“. Bis zu diesem Zeitpunkt konkurrierte mit der heutigen „Storchengasse“die „Scheibengasse“, so genannt nach dem gleichnamigen Gasthaus im Gebäude Storchengasse 5. „Am Bergle“wurde der Staffelweg vom „Weibermarkt“zur „Wasserstapfe“schon um 1800 genannt und die „Vollmergasse“erinnert an das gleichnamige Gasthaus in der „Weilerstraße“. Vor 1800 wurde zwischen „Wasserstapfe“und „Wasserschapfe“
unterschieden. Die 1794 erwähnte „Kreuzgasse“beim gleichnamigen Gasthaus ist im Katasterplan noch nicht eingetragen und erhielt später den Namen „Mühltorstraße“.
Die „Weilerstraße“wurde auch schon „Postgasse“oder „Weilertorgasse“genannt, die „Froschlache“ist seit 1679 namentlich bekannt. Im Bereich der Weilerkapelle galt die Ortsbezeichnung „beim Ziegeltor“(Weilertor gemeint), weil dort der Lehmabbau für die städtische Ziegelei war. Interessant ist die Benennungsgeschichte der „Ilgengasse“. Dort stand einst ein Wirtshaus „Ilge“- oberhalb des Gasthauses „Pflug“. Ilge ist die alte Bezeichnung für Lilie, die in früher Zeit sicher dicht an dicht im feuchten Stadtgraben wuchs. „Rössleund Fuchsgasse“erhielten ihre Namen von der dominanten Wirtschaft „Fuchs“am Marktplatz und dem „Goldenen Rössle“, auch als „Amtshaus“bekannt, einst gegenüber der „Schönen Stiege“gelegen.
Aus heutiger Sicht haben die Altvorderen die Namen der Straßen und Gassen in der Altstadt mit großer historischer Bezugnahme gewählt. Was auffällt, ist kein einziger Hinweis auf die rund 500-jährige Zugehörigkeit zum Habsburgerreich, aber auch nicht zum Königreich Württemberg. Bezüge zur Politik stellte erst das „Dritte Reich“1934 mit „Hindenburgstraße“und dem „Adolf-hitler-platz und -Brunnen“in der Grabenstraße vor dem Schulhaus. 1939 sollte auf Antrag eines Stadtrates die „Adolf-gröber“-straße in „Horstwessel“-straße umbenannt werden. Das wollte man dem berühmten Riedlinger dann doch nicht antun.
Im Gegensatz zu Pfarrer Hansjakob muss man heute feststellen, dass Riedlingen in nahezu allen Gassen einen baulich wohl erhaltenen Eindruck macht, der die Besucher immer wieder beeindruckt, ja begeistert.