Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Panikkäufe vor Ostern und gestörte Warenströme
Südwest-verbände halten Corona-beschlüsse für unsinnig – Maßnahmen würden mehr schaden als nutzen
- Timo Sternagel betreibt einen Edeka-markt in der Gemeinde Grünkraut im Landkreis Ravensburg und ist ziemlich irritiert angesichts der neuen Corona-beschlüsse von Bund und Ländern. Die sehen unter anderem einen harten Lockdown an Ostern vor. Der Lebensmitteleinzelhandel soll auch am Gründonnerstag „einen Ruhetag“einlegen – also komplett schließen. Nur am Ostersamstag darf er öffnen.
Noch ist unklar, inwieweit Badenwürttemberg die Regelungen übernimmt und ausgestaltet. „Es gibt da noch viele komplexe rechtliche Fragen“, sagte Baden-württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag. Er könne sich aber vorstellen, dass der Ruhetag wie ein Feiertag behandelt werde.
Aus Südwest-händlersicht ist das Vorhaben – auch ohne bisherige konkrete Ausgestaltung – schon jetzt als sinnlos zu bewerten. „Die Menschen werden auf die anderen Tage ausweichen.“Wer nicht am Gründonnerstag einkaufen könne, komme dann eben am Ostersamstag. „Damit ist dann gar nichts gewonnen“, sagte Sternagel.
Im Gegenteil: Die Menschen könnten die Türen am Samstag geradezu einrennen und sich im Geschäft dicht an dicht drängen, weil sie sonst keine Möglichkeit für den Ostereinkauf haben, fürchtet Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-württemberg. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“sagte sie am Dienstag: „Für den Gründonnerstag werden die Kunden ein Ventil suchen. Sie werden sich auf andere Tage verteilen.“Sie wolle den Teufel nicht an die Wand malen, aber man müsse mit Panikeinkäufen rechnen.
Zusätzlich sei ein Schließen des Lebensmitteleinzelhandels am Gründonnerstag eine riesige logistische Herausforderung, sagte Hagmann. „Die Warenströme müssen anders kanalisiert werden. Dazu brauchen wir aber auch die Lastwagen und die Fahrer und die Ausnahmegenehmigungen, an Karfreitag zu liefern“. Es werde hier von der Politik massiv in den Warenkreislauf eingegriffen. „Wenn in den Strukturen der Lieferketten nur ein Tag an Logistik fehlt, wird das über Wochen hinaus spürbar sein.“
Das sieht nicht nur der Südwesthandel so, sondern auch die Industrie. „Die Unternehmer laufen bei uns Sturm wie noch nie zuvor“, sagte Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden. „Unzählige Stimmen sind fassungslos über den ‚konfusen Aprilscherz‘, der wenig bringt, viel kostet und noch mehr Fragen auslöst, die noch immer nicht beantwortet sind.“
Bei einem harten Osterlockdown würden Lieferketten unterbrochen, Arbeits- und Schichtpläne durchkreuzt, offen sei die Frage, wer mit Ausnahmegenehmigung arbeiten darf und ob dann Feiertagszuschläge gezahlt werden müssen. „Allein die Diskussion darüber verschlingt Ressourcen, die man gerade jetzt dringend benötigt“, sagte Münzer.
Neben des harten Oster-lockdowns sehen die neuen Corona-beschlüsse von Bund und Ländern auch eine allgemeine Verlängerung des bisherigen Lockdowns bis zum 18. April vor. Im Beschluss wird dies mit dem „starken Infektionsgeschehen“und einer „exponentiellen Dynamik“begründet. Auch diese Pläne der Politik stoßen auf massive Kritik bei der Südwest-wirtschaft.
Der neueste Corona-beschluss zeige eindeutig, dass „Bund und Länder weiterhin wie gebannt auf die Inzidenzen starren“, sagte Hagmann vom Handelsverband. Stattdessen müsse man dringend wegkommen von einer alleinigen Betrachtung der Inzidenzwerte als Grund für Schließungen, hin zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise unter Berücksichtigung aller relevanten Indikatoren. „Wie sieht es mit den Intensivbettenbelegungen
aus? Wie sind die Krankheitsverläufe? Wie viele sind schon geimpft oder welche Mittel gebe es mittlerweile um Krankheitsverläufe zu mildern?“All solche Fragen müssten laut Hagmann viel stärker in die Entscheidungen mit einbezogen werden.
„Es ist sehr enttäuschend, dass nach über einem Jahr mit Corona erneut nur der Lockdown als Kerninstrument zur Pandemiebekämpfung herangezogen wird“, sagte auch Handelsexperte Peter Jany vom BWIHK auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Einzig die Siebentage-inzidenz entscheide weiter über den Stillstand.
Was die Themen Impfen, Testen und Nachverfolgen betreffe, sei durch langwierige Diskussionen bereits viel Zeit verloren worden, teilte Bwihk-präsident Wolfgang Grenke am Dienstag mit. „Wir brauchen dringend den politischen Willen, innovative Öffnungskonzepte zuzulassen, um die Ergebnisse schnell in die Fläche übertragen zu können.“
Auch Gastronomie und Hotellerie beispielsweise haben sich – angesichts der Aussicht auf Tests und Impfungen – bereits viel Hoffnung auf das Ostergeschäft gemacht, das traditionell zu den umsatzstärksten Wochen in diesen Branchen gehört. „Den stark angeschlagenen Unternehmen geht wirtschaftlich zunehmend die Luft aus“, sagte Jany. Nun wird die Branche doppelt enttäuscht. Denn während der neue Bund-länder-beschluss keinerlei Lockerungen für den Urlaub im eigenen Land vorsieht, muss die Hotel- und Gaststättenbranche mit ansehen, wie die Touristen auf die spanische Insel Mallorca strömen.
„Die Reisemöglichkeiten nach Mallorca bei gleichzeitigem Lockdown vor Ort sorgen natürlich für absolutes Unverständnis und erschüttern das Vertrauen in die Politik“, sagte Tobias Zwiener, Geschäftsführer Grundsatzfragen beim Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Baden-württemberg. Die Gastronomie und Hotellerie sehe sich erneut in die Rolle eines Sonderopfers gedrängt, während andere Bereiche, wie in diesem Fall die Reisebranche, nicht beschränkt würden. „Nach dem wirkungslosen Lockdown light ab dem 2. November und dem anschließenden Dauerlockdown für unsere Branche ist die Verzweiflung groß“, sagte Zwiener. Mehr als 70 Prozent der Betriebe bangen bundesweit laut Dehoga um ihre Existenz. Schnelle finanzielle Entschädigungen für die vom Staat verursachten Versäumnisse seien jetzt das Mindeste, sagte Guido Zöllick, Präsident des Bundesverbandes. „Es müssen jetzt Taten folgen, anstatt das Missmanagement beim Impfen und bei den Hilfen fortzusetzen.“
Der Baden-württembergische Handwerkstag zeigte sich derweil erschüttert, dass die Umsetzung der neuesten Corona-beschlüsse von Bund und Ländern im Südwesten weiter teils unklar ist. „Dass die Landesregierung heute nicht in der Lage ist zu erklären, was die Beschlüsse konkret für das Land und seine Unternehmen bedeuten, macht uns fassungslos“, teilte Handwerkstagspräsident Rainer Reichhold am Dienstag mit. Als Beispiel nannte er den zum Ruhetag erklärten Gründonnerstag, also 1. April. „Hier wird ein Arbeitstag kurzerhand zum Feiertag erklärt, ohne zu sagen, wie das Ganze umgesetzt werden soll.“Und weiter: „Umgehend für Klarheit sorgen, handeln statt nur verordnen – dazu mehr impfen und schnell mehr testen: Das sind die Hausaufgaben, die die öffentliche Hand jetzt endlich erledigen muss.“