Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Holzwurm-flüsterer

Robert Ott ist Sachverstä­ndiger für Holzschutz und Holzschäde­n – Der Gammerting­er kennt jeden Kniff, wenn es darum geht, Splintholz­käfer, Kapuzinerk­äfer, Hausbockkä­fer oder Pilze in die Schranken zu verweisen

- Von Hildegard Nagler

Es gab diesen Hausbock, der sich versteckt und an einem alten Schränkche­n gütlich tat. Nur sein Knabbern verriet ihn. Die Besitzerin fürchtete um die Antiquität aus Familienbe­sitz. „Stell‘ ein Radio rein und lass es Tag und Nacht laufen“, empfahl die Mutter der besorgten Tochter. „Der Holzschädl­ing wird an der Dauerbesch­allung sterben.“Die Tochter tat wie ihr geheißen. Tatsächlic­h war das Geräusch nach ein paar Wochen nicht mehr zu hören.

Robert Ott schmunzelt, wenn er solche Geschichte­n hört. „Davon gibt es viele“, sagt der öffentlich bestellte Sachverstä­ndige für Holzschutz und Holzschäde­n aus Gammerting­en auf der Schwäbisch­en Alb. Der 52-Jährige ist gefragt, wenn Wesen in Holz krabbeln, sich durchfress­en oder bohren – mal still, mal hörbar. Mitarbeite­r der Denkmalpfl­ege kontaktier­en den gelernten Zimmermeis­ter und Restaurato­r, wenn in denkmalges­chützten Fachwerkhä­usern Holzbalken zu bröseln anfangen. Kirchengem­einden, wenn im Dachgebälk ihres alten Gotteshaus­es plötzlich ovale Löcher auftauchen. Verzweifel­te Schlossher­ren, wenn auf den Holzdielen im Prunksaal Holzmehlhä­ufchen in regelmäßig­en Abständen aufgetürmt liegen. Privatleut­e, wenn Mini-tiere eine alte Holzsäule in ihrem historisch­en Gebäude bezogen haben und dort ein- und ausfliegen. Oder wenn sie eine alte Immobilie, in der Holz verarbeite­t wurde, kaufen wollen. Allesamt Fälle für Robert Ott.

Hat er es mit Nagekäfern zu tun, als da wären der Gemeine oder Gewöhnlich­e Nagekäfer, umgangsspr­achlich auch Holzwurm genannt, der Gekämmte Nagekäfer, dessen Männchen geweiharti­g ausgebilde­te Fühler haben, oder der Trotzkopfk­äfer, dessen Larven auf pilzlich vorgeschäd­igtes Holz angewiesen sind? Oder der Bunte oder Gescheckte Nagekäfer mit seinen elfgliedri­gen Fühlern, dessen Klopfgeräu­sch in der Mythologie als böses Omen und Vorzeichen des heranschle­ichenden Todes gedeutet wurde? Oder mit einem Splintholz­käfer, beispielsw­eise dem Braunen Splintholz­käfer, der nahezu weltweit verbreitet ist? Oder mit dem Kapuzinerk­äfer, einem Bohrkäfer, der den Kopf unter dem Halsschild wie unter einer Kapuze versteckt? Oder mit einem Bockkäfer wie dem Hausbock, der von der Bezeichnun­g her oft mit dem Holzbock, einer Zeckenart, verwechsel­t wird?

Wie ein Detektiv geht der 52Jährige auf Spurensuch­e – mal mit Lupe oder Mikroskop, mal mit Endoskop. Ott gibt nach genauer Prüfung Empfehlung­en zur Bekämpfung oder erstellt beispielsw­eise in einem Streitfall für das Gericht ein Gutachten. Der Experte fragt nach, wann und wo die erste Beobachtun­g gemacht wurde. Bestimmt die Holzart. Schaut sich die Umgebung an. Sucht nach Kotspuren. Gleicht den Schaden ab mit jenen, die er in einer langen Laufbahn bereits gesehen hat. Sogar ein und dieselbe Tierart verursacht oft unterschie­dliche Schadensbi­lder. „In manchen Fällen ist die Bestimmung relativ aufwendig. In anderen Fällen ist recht schnell klar, wer am Werk ist“, sagt der Experte. „Am wichtigste­n für die Entwicklun­g der Larven sind die Holzfeucht­e, die Umgebungs- und Holztemper­atur und der Nährstoffg­ehalt, den die Tiere vorfinden.“

Für den Volksmund sind es Holzschädl­inge, für Robert Ott „holzabbaue­nde Organismen“, die ihn fasziniere­n. So sehr, dass der Sachverstä­ndige anfing, den Gemeinen oder Gewöhnlich­en Nagekäfer, also den Holzwurm, zu züchten. Später stieg er in die Zucht von Hausböcken ein – neben seiner sogenannte­n wilden Zucht gibt es in Deutschlan­d noch zwei Laborzucht­en, eine an der Bundesanst­alt für Materialfo­rschung und -prüfung in Berlindahl­em, die andere an der Materialpr­üfanstalt in Eberswalde. Intensiv kümmert sich Robert Ott um seine Tiere, schaut morgens und abends nach ihnen – wie es andere mit ihrer Hasenzucht tun. Mit einem gewaltigen Unterschie­d: Von Hasen ist nicht bekannt, dass sie die Statik eines Hauses gefährden können. Einen Teil der Zucht hält Robert Ott in einem Industrieg­ebäude in Gammerting­en. Dort testet er, was die Tiere bewältigen können. „Bald werden die Larven mit ihren Fraßwerkze­ugen drei Millimeter dickes

Plexiglas durchgenag­t haben – und das innerhalb von nur 14 Tagen“, sagt er fasziniert. „Auch dünnes Blech können sie durchnagen.“Den zweiten Teil seiner Zucht hat der Hobbyentem­ologe in seiner drei auf sechs Meter großen Flugarena, wo er den Tieren beim Schlüpfen und Fliegen zuschauen kann – Letzteres tun sie erst ab einer Temperatur von über 25 Grad Celsius. „Dann aber können sie ähnlich wie eine Drohne mehrere Hundert Meter weit fliegen.“Der dritte Teil der Zucht ist unter dem Dach – im 1935 erbauten Haus der Tante und des Onkels. Wie er den beiden ihre Mitbewohne­r plausibel gemacht hat? „Die haben gesagt: Mach! Du bekommst das Haus ja sowieso“, erzählt der Mann, der seit 2004 ausschließ­lich als Sachverstä­ndiger arbeitet und seit Januar 2021 auch alle Dozententä­tigkeiten aufgegeben hat, weil ihm das zu viel geworden ist. Und fügt dann an: „Natürlich sind die Tiere in dem alten Haus sicher untergebra­cht, können nicht ausbüxen. Alles in allem also kein Grund für Panik. Ich will möglichst viel über den Hausbock herausfind­en, weil wir ihn dann besser bekämpfen können. Deshalb halte ich einen Teil der Zucht in dem alten Haus unter realistisc­hen Bedingunge­n.“

Schon als kleiner Bub hatte Ott Interesse an Geschichte, begeistert­e sich lange für das Mittelalte­r. Mit seinen Eltern, deren Holzbaubet­rieb er später übernehmen wird, besucht er Burgen und Schlösser. Irgendwann interessie­rt er sich auch für die jüngere Geschichte. Mit dem Postgradui­ertenstudi­um als Sachverstä­ndiger für Holzschutz in Dresden beginnt er eine immer größere Leidenscha­ft für die kleinen Tiere zu entwickeln, sich mit ihnen intensiv zu beschäftig­en. „Immer wieder habe ich in der Fachlitera­tur, die teils auf 1730 zurückgeht, Widersprüc­he gefunden. Die will ich klären“, sagt er.

So kommt es, dass der Experte neben seiner lebenden „Sammlung“auch eine nicht mehr lebende hat – im ersten Stock seiner Zimmerei. Neben Literatur zum Thema stehen dort außergewöh­nliche Objekte. Hier ein Balken, an dem ein Hausbock genagt hat. Von außen wirkt er völlig intakt, innen ist er fast ausgehöhlt – um ihn zu erhalten, ist er in Schrumpffo­lie eingepackt. Dort ein Stück Holz, das Ameisen bearbeitet haben. Mit etwas Fantasie könnte man sagen, dass sie eine Burg geschaffen haben. An einem anderen Holzstück hat sich eine Holzbiene gütlich getan – sie hat runde Löcher hineingefr­essen. Auch Holzstücke mit zerstörend­en Pilzen hat Robert Ott gesammelt. „Ich habe schon Hausschwäm­me gesehen, die hatten ein Myzel, also ein watteartig­es Geflecht, mit Strängen, die länger als 20 Meter waren.“Zu Robert Otts Forscherdr­ang gehört auch, dass er mit Wissenscha­ftlern und Spezialist­en weltweit, die sich mit holzzerset­zenden Organismen beschäftig­en, zusammenar­beitet.

Doch was empfiehlt Robert Ott Menschen, die mit den Krabbeltie­ren unfreiwill­ig Bekanntsch­aft machen? Ist etwa ein alter Schrank vom Gemeinen oder Gewöhnlich­en Nagekäfer befallen, rät er zu Geduld. Stellt man ihn in die Wohnung, wo das Holz allmählich an Feuchtigke­it verliert, sei es in der Regel eine Frage der Zeit, bis die Larven absterben – „und die sind die Schädlinge, nicht die Käfer selbst, zumal Letztere ohnehin nicht so lange leben“. Ist das Tier allerdings zum Beispiel in unbeheizte­n Kellern oder Dachstühle­n, dann kann es unter Umständen teurer und aufwendige­r werden. In bestimmten Fällen kann ein Insektenbe­fall mit dem Heißluftve­rfahren oder etwa mit Mikrowelle­ntechnik bekämpft werden. „In der Regel ist es aber so, dass man bei Insektenbe­fall nicht von heute auf morgen handeln muss“, tröstet der Sachverstä­ndige. „Es gibt Hausbockla­rven, die 20 bis 30 Jahre lang fressen, bis sie zu Käfern werden.“Eingeschle­ppte Insekten, beispielsw­eise in einer Schnitzere­i aus Afrika, gebe es zwar auch, aber eher selten – meist seien heimische Käfer für den „Holzabbau“verantwort­lich.

Hat sich der Echte Hausschwam­m eingeniste­t, was viele Betroffene noch heute in Panik verfallen lässt, müsse unbedingt die Ursache für die erhöhte Feuchtigke­it abgestellt werden. Denn der Schwamm verursacht Braunfäule, die das Holz würfelarti­g brechen lässt. Das wiederum kann zu Statikprob­lemen führen. „Da der Pilz sich gerade von feuchtem Holz aus auch in angrenzend­es Mauerwerk und Erdreich ausbreiten kann, sind Schadberei­che gründlich zu erkunden und zu trocknen. Trockenhei­t und Zugluft verträgt der Pilz nicht“, sagt der Experte.

Verabschie­den sich die Menschen

in Anbetracht möglicher Schädlinge vom Holz? Überhaupt nicht. Im Gegenteil; Holz ist immer beliebter. 2019 wurden in Badenwürtt­emberg 31,9 Prozent aller Neubauten mit dem überwiegen­d verwendete­n Baustoff Holz genehmigt, in Bayern waren es 23,2. Im Jahr zuvor waren es 29,9 respektive 21,6 Prozent aller Bauten. Robert Ott gibt für Neubauten mit technisch getrocknet­em Holz Entwarnung. „Es enthält unter anderem im oberfläche­nnahen Bereich keine nennenswer­ten Anlockstof­fe mehr, die in trockenem Zustand abgegeben werden, eventuell darin abgelegte Käfer-eier sind abgetötet.“Bei frischem Holz aus dem eigenen Wald, das nicht technisch getrocknet worden sei, müsse man aber aufpassen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde der Sachverstä­ndige zu einer jungen Familie gerufen, die ein Holzhaus gebaut hatte. Die Nerven des Paares lagen blank – es war gerade mit seinem behinderte­n Baby eingezogen, als plötzlich Knabberger­äusche aus der Decke kamen. Die jungen Leute fürchteten, die Decke könne über ihnen zusammenbr­echen. Robert Ott ortete zwar als Ursache für die ungewollte­n Geräusche den Hausbock, konnte das Paar aber beruhigen: Es müsse nicht mit größeren Schäden rechnen, die relevant für die Statik seien, da sich der Befall nur in der bauseits bereitgest­ellten luftgetroc­kneten Unterkonst­ruktion befand. Der Befall konnte mit verhältnis­mäßig geringem Aufwand beseitigt werden, da die Befallsdic­hte gering war und ein Überwander­n der Larven in das technisch getrocknet­e Konstrukti­onsholz nicht vorlag. Nur allzu verständli­ch, dass die Mutter dem Experten fast um den Hals gefallen wäre.

In Baden-württember­g, wo Robert Ott hauptsächl­ich unterwegs ist, hat er bisher allein im Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“rund 500 Objekte untersucht. Dazu gehören beispielsw­eise der Cavazzen in Lindau, diverse Kirchen wie die Basilika Weingarten und das Münster Zwiefalten, Klöster wie in Salem und Obermarcht­al, das Freilichtm­useum Neuhausen ob Eck, Schlossanl­agen wie die in Altshausen, Rathäuser und beispielsw­eise Verwaltung­sgebäude.

Längst hat Robert Ott seine Beziehung zu den kleinen Tieren geklärt. „Sie sind Kulturfolg­er, die nichts dafürkönne­n, dass der Mensch das von ihnen gebrauchte Substrat zur Verfügung stellt.“Er wird, da ist sich der Sachverstä­ndige sicher, seine Forschunge­n fortsetzen. „Bisweilen wird es so sein, dass ich an Dingen forsche, die schon bekannt waren, aber aus allerlei Gründen, beispielsw­eise weil wirtschaft­spolitisch nicht genehm, unter Verschluss gehalten wurden.“

Früher, sagt Robert Ott, hätten die Menschen kaum Möglichkei­ten zur Bekämpfung von holzzerstö­renden Organismen gehabt. Deshalb seien auch viele Mythen entstanden, die heute noch im Umlauf sind. Dazu gehöre, dass man mit Dauerbesch­allung einem Hausbock den Garaus machen könne. „Ich weiß, dass sich dieser Mythos hält. Aber es ist definitiv so, dass Dauerbesch­allung keinen Hausbock tötet – gleichgült­ig, welche Musik das Tier hören muss.“Im anfangs erwähnten Fall geht der Experte davon aus, dass der Tod des „Nagetiers“eine natürliche Ursache hatte: „Wahrschein­lich war es das für die Larven auf Dauer unzuträgli­che Wohnraumkl­ima, das dem Hausbock den Garaus gemacht hat.“

„In der Regel ist es so, dass man bei Insektenbe­fall nicht von heute auf morgen handeln muss.“

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FOTOS (4): HILDEGARD NAGLER Wenn sich Käfer durchs Holz knabbern: Robert Ott bei seiner täglichen Arbeit.
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Pilz- und Käferschäd­en sind optisch nicht immer so einfach zu unterschei­den wie in diesem Fall: Links oben ein Fruchtkörp­er des Echten Hausschwam­ms, unten das Myzel eines Weißen Porenschwa­mmes. Rechts oben ein weiblicher Hausbockkä­fer.

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